Kapitel 13

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Gut, dass ich zehn Minuten früher losgegangen war. Bei meinem Orientierungssinn wäre es sonst ein Wunder gewesen, hätte ich dieses Sportzentrum, von dem Domen mir gestern Abend die Adresse geschickt hatte, in weniger als einer Stunde Verspätung gefunden. Mein Handy zeigte zwar an, dass ich ganz in der Nähe war, aber irgendwie sah hier keines der Häuser nach Sport aus. Eher so große Einfamilienhäuser.

Mist! Okay, Lolla, du gehst jetzt noch die Straße runter bis zur nächsten Ecke und wenn es da nicht ist, drehst du um und rufst Domen oder Peter an.

Was ich eigentlich tunlichst vermeiden wollte. Ich wohnte schließlich schon ein ganze Weile in der Stadt. Aber in diesem Viertel, was zwar nicht weit von meinem Haus weg war, war ich noch nicht so oft gewesen. Vor allem hatte ich noch nie ein Sportzentrum gesucht.
Dabei war es wirklich schön hier. Die Straßen waren alleeartig von Lindenbäumen an der Seite gesäumt und die Häuser waren mit großen alten Eingangstüren und Balkonen im viktorianischen Stil gebaut. Sie sahen anmutig und gleichzeitig sehr beruhigend durch ihre Größe und Stärke aus.

Ich merkte, dass ich öfter spazieren gehen sollte. Mir tat es gut, an der frischen Luft zu sein und etwas anderes als abwechselnd meine vier Wände und Unigebäude zu sehen.

Ich atmete tief die kühle Luft ein. Da fiel mir ein unscheinbares, großes graues Gebäude auf: športni cénter stand an der Tür.
Ha, das musste es sein. Und ich war sogar noch halbwegs pünktlich. Also ging ich auf das Gelände zu und blieb dann stehen.

Ja, wo sollte ich eigentlich hin?

Ich wusste nicht, welches der Autos, Peter gehörte - oder seinen Eltern -, aber genauso wenig wusste ich, wo in dem Gebäude die Brüder trainierten. Deshalb beschloss ich einfach, vor der offenen Eingangstür stehen zu bleiben und zu warten. Sie mussten hier ja rauskommen, da würde ich sie wenigstens nicht verpassen.

Peter hatte mir gestern noch geschrieben, dass er sich freute, mich zu sehen und schlug vor, uns in Anwesenheit von Familienmitgliedern ganz normal wie Freunde zu verhalten, weil Domen wohl schon Verdacht geschöpft hatte und wir das ja nicht unbedingt befeuern müssten.

Ich war absolut einverstanden damit, schließlich war ich mir selber noch extrem unsicher, was meine Gefühle und Verhalten Peter gegenüber anging.

„Ist sie das, die da steht?", hörte ich eine helle Stimme von drinnen, die aber ziemlich schnell sprach, sodass ich sie nur knapp verstehen konnte.

„Hattest du noch andere Frauen erwartet, Cene?", zog ihn Domen auf. Typisch Domen. „Hast du etwa wieder Fans eingeladen? Cene, das sollst du doch nicht!"

Ich musste lachen, weil Domen bestimmt totalen Quatsch erzählte.

Sie kamen durch die Tür. Domen war zuerst bei mir: „Lolla", rief er und umarmte mich stürmisch. „Toll, dich wiederzusehen! Ich habe sogar etwas Mathe gelernt, du wirst stolz auf mich sein."

„Klasse, ich wäre dir aber sehr dankbar, würdest du mich lebend lassen." Er vergaß manchmal, dass er sehr kräftig war und erdrückte mich gerade halb. „Ich freu mich auch, dich wiederzusehen, Quälgeist", lachte ich und er boxte mir gegen die Schulter.

„Das bekommst du alles zurück beim Mathelernen", drohte ich ihm mit erhobenen Zeigefinger.

„Hey Lolla, ich bin Cene, der Mittlere. Ich weiß nicht, ob die beiden mich erwähnt haben."

Böse sah er die anderen beiden an. Eher: er versuchte böse zu gucken, denn Cene hatte so ein liebes Gesicht, dass er scheinbar gar nicht böse gucken konnte.
Er sah jünger als Domen aus mit seinen dunklen, fast schwarzen Haaren und den Pausbäckchen, wenn ich das bei ihm noch sagen durfte. Schließlich war er wahrscheinlich genau in meinem Alter, er hatte sich ja als Mittlerer vorgestellt.

Cene gab mir die Hand und drückte kräftig zu.

Ja, kein toter Fisch! Hatte ich bei ihm aber auch nicht erwartet.

„Cene, ich freue mich, dich kennenzulernen. Peter hat gesagt, du hast mal Mathe und Physik studiert? Sehr sympathisch. Ich hatte auch mal über Physik nachgedacht. In Heidelberg, wenn dir die Uni was sagt."

Cene nickte begeistert: „Klar, sagt mir die was. In Heidelberg gibt es doch dieses super coole Max-Planck-Institut für..."

„Wollen wir das vielleicht später klären...", fiel ihm Peter ins Wort, während er von hinten an uns herantrat, „...wenn ich Lolla auch begrüßen durfte."

Ich schluckte, als er auf mich zu kam und mich mit seinem schiefen Lächeln ansah. Wir hatten uns zwar gestern Morgen das letzte Mal gesehen, aber irgendwie war ich schon wieder aufgeregt, als ich ihn ansah.

Ob sich das je legen würde, dass mein Herz anfing, dem normalen Sinusrythmus die lange Nase zu zeigen, wenn er mich ansah?

Er kam zu mir und nahm mich in die Arme. „Hallo Lolla", sagte er leise und ich schmiegte mich an seine Schulter. Er schien nach dem Training geduscht zu haben, zumindest roch er stärker nach dem Nivea Shampoo als normalerweise. Ich war mir ziemlich sicher, dass es Nivea war.

„Hey Peter", murmelte ich in sein T-Shirt und merkte nicht, wie Domen hinter unserem Rücken die Augenbrauen hochzog, zu Cene sah und mit dem Finger auf uns zeigte.

Peter anscheinend schon, denn er löste sich von mir und sagte schnell: „Domen, lass den Unsinn. Wir sollte losfahren, damit ihr ordentlich lernen könnt".

Wir gingen in Richtung eines schwarzen unauffälligen Autos, wobei Peter neben mir ging und sich unsere Hände wie zufällig berührten. Ich musterte ihn von der Seite. Sein Gesichtsausdruck war ganz entspannt, als würde er in sich ruhen und als hätte er meinen Blick gespürt, sah er zu mir runter und unsere Blicke trafen sich. Unwillkürlich breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus.

„Shotgun, ich sitz vorne", rief Domen und lief zum Auto vor.

„Domen, komm mal runter. Wir sind hier nicht im Theater. Lolla sitzt vorne. Ich müsste ja um ihr Leben fürchten, wenn ich sie mit einem von euch auf die Rückbank lasse", intervenierte Peter sofort.

„Ey, ich bin nicht so wie Domen", beschwerte sich Cene.

Domen grinste seinen Bruder an: „Nö, aber du würdest alle im Auto nerven mit deinem Gerede über Mathe und Physik".

„Mich würde das nicht nerven", nahm ich Cene in Schutz, während Peter das Auto aufschloss.

„Siehst du", grinste Cene Domen triumphierend an.

„Schluss jetzt. Lolla sitzt vorne und ihr zwei: Versucht, euch nicht umzubringen, okay?", sprach Peter als Ältester ein Machtwort.

Ich fing an zu lachen. Zu dritt waren sie noch chaotischer als zu zweit, aber es war unheimlich lustig mit ihnen. Ganz gespannt war ich schon darauf, deren Haus zu sehen.

Peter fuhr vom Gelände und während Domen und Cene sich hinten schon wieder um irgendwas kabbelten, fragte ich Peter: „Wo wohnt ihr denn? Wissen eure Eltern eigentlich, dass ich komme und mit Domen Mathe lerne?"

Um den Punkt hatte ich mir natürlich schon wieder Sorgen gemacht, denn ich hatte keine Ahnung, wie ich auf Peters Eltern reagieren sollte.
Gestern Abend hatte ich nochmal kurz gegoogelt und wusste nun zumindest, dass sein Vater ein Möbelgeschäft und Peter noch zwei kleine Schwestern hatte.
Dass ich Peters Familie einfach googeln konnte, war wirklich eine der großen Vorteile von seinem Skispringer-Dasein. Ich hasste es nämlich, unvorbereitet zu sein und nicht zu wissen, was einen erwartete.
Aber das war es auch schon an neuen Informationen, denn ich war mit meinem Laptop auf den Knien im Bett eingeschlafen, so müde war ich gewesen

„Meine Eltern sind heute gar nicht da. Aber sie wissen, dass du kommst und Teammitglied bist", beruhigte er mich. „Och, es sind nur so 30km von hier, ein ziemlich kleines Dorf: Dolenje vas, ich weiß nicht, ob du das kennst."

Ich schüttelte den Kopf. Das hatte ich noch nie gehört, war aber kein Wunder, denn ich kam selten während des Semesters raus aus Ljubljana. Das jetzt war für mich quasi schon ein richtiger Ausflug.

„Hey Lolla", beugte sich Domen von der Rückbank nach vorne. „Was ich in Mathe noch nicht verstehe, ist..." begann er seine Fragen aufzuzählen und den Rest der Fahrt redeten wir über Mathe.

Als wir ausstiegen, war ich überrascht, denn ich stand vor einem recht großen und wunderschönen alten Haus. „Krass, das ist größer, als ich gedacht habe", stellte ich fest und blieb erst mal stehen.

Domen lachte. „Naja, wir sind schließlich sieben Leute. Und Nika und Ema machen noch mehr Chaos als wir, demnach kannst du dir vorstellen, dass man etwas Platz braucht. Komm, wir gehen in die Küche zum Lernen", ging er vor und schloss die Haustür auf.

Schon standen wir im Flur und man konnte seine Aussage unschwer an den gefühlt tausend Schuhen erkennen, die bunt durcheinander gewürfelt überall verteilt waren. Das gefiel mir, es sah wie in meinem Flur aus. Nur eben das Gleiche mal sieben.

„Sieht aus, als hättet ihr viel Spaß in der Familie", sagte ich und ließ mich von Domen ungeduldig in die Küche ziehen.
Er schien wirklich fest entschlossen zu sein, die Mathearbeit hinkriegen zu wollen. Aber es erstaunte mich nicht. Denn wenn bei ihm einmal der Ehrgeiz geweckt war, musste man schon fast aufpassen, dass er es nicht übertrieb.

So schien das auch beim Skispringen zu sein. Ich hatte mir ein paar Sprünge von ihm angeschaut und ohne großartig Ahnung davon zu habe, sah das sehr radikal und gewagt aus, wie er sich nach vorne stürzte. Da blieb mir noch mehr die Luft im Halse stecken als bei Peter.

„Lolla, wenn dich Domen zu sehr nervt, sag mir Bescheid und ich rette dich", rief mir Peter noch von hinten zu.
Ich schaffte es, mich noch schnell umzudrehen und ihm zuzulächeln, bevor ich in der Küche verschwand und mich zu Domen an den Tisch setzte.

Wir konzentrierten uns zwei Stunden komplett auf Mathe, bevor ich vorschlug, dass Domen sich eine kurze Pause gönnte, wir danach noch eine ganze Klausur rechneten und dann aufhörten.
Es war nicht gut, zu viel an einem Tag zu machen. Dann war das Gehirn irgendwann überfordert und nahm gar nichts mehr auf.

„Okay, darf ich den einen Zettel in meinem Zimmer suchen? Da war nämlich noch was drauf, was ich nicht verstanden hatte. Könnte aber etwas länger dauern", guckte mich Domen fragend an.

„Natürlich, da musst du doch nicht fragen", antwortete ich ihm und lachte verschmitzt. „Könnte es etwa sein, dass das Zimmer vom wehrten Herrn Domen Prevc doch nicht ganz so aufgeräumt ist, wie er mir immer klar machen will?"

„Ähm...", Domen zögerte. „Ja, gewonnen. Es ist ein einziges Chaos. Mum bekommt immer einen Anfall, wenn sie reingeht. Aber wenn es aufgeräumt ist, finde ich nichts mehr", behauptete er stur.

Ich verdreht die Augen.„Na los, geh und such das Blatt".

Er machte die Tür auf, um raus zu gehen, genau in dem Moment, als Peter reinkam.

„Woah Domen, hast du keine Augen im Kopf?", Peter trat zur Seite, um ihn durchzulassen.

Domen grinste: „Doch, hab ich, aber du bist eben immer im Weg, großer Bruder", konterte er und lief die Treppe hoch.

Peter machte die Tür hinter sich zu und trat in die Küche. „Na, wie läuft's bei euch? Ist er immer noch eine Katastrophe oder wirken deine Wunderhände bei ihm auch?" Er griff in einen der Küchenschränke und holte zwei Gläser hervor, die er mit Wasser füllte.

Ich wurde natürlich rot. Das Problem hatte ich immer noch nicht abstellen können, was mich ziemlich aufregte. Schnell ging ich zur Anrichte und trank einen großen Schluck Wasser.

„Danke! Nö, er ist ziemlich gut mittlerweile. Eine Drei ist echt drin. Je nachdem, wie die Klausur wird und wie gut er sich konzentriert, vielleicht sogar eine zwei, aber ich will nicht zu große Hoffnungen in ihm wecken. Schön realistisch bleiben."

„Oha, das wäre ja klasse", war Peter ganz begeistert. Er trat näher an mich heran und strich mir eine Haarsträhne hinter die Ohren. „Lolla, die Allheilwaffe, was?", lächelte er und seine Stimme und die Berührung sorgten für eine Gänsehaut auf meinen Armen.

„Hör doch mal auf, immer so zu übertreiben, Peter. Du machst mich ganz nervös mit so was, ich werde ständig rot und das kann ich nicht ab", erklärte ich ihm und hoffte, dass er es beherzigte.

„Du bist aber so niedlich, wenn du rot wirst", sagte er mit seiner leisen, rauen Stimme und legte eine Hand auf meine Wange, trat vor mich und hob mit seiner anderen Hand leicht mein Kinn an, um mich zu küssen.

Da ging die Tür auf und Domen stürmte in die Küche. Wir fuhren sofort auseinander.

„Hey Lolla, ich hab das Blatt...", fing er schon an zu reden, bemerkte dann aber, in welche Situation er geplatzt war und find an, laut zu lachen. „Ist klar Peter: „Lolla ist „nur" ein Teammitglied, mit dem ich mich gut verstehe", machte er Peters Stimme nach und konnte sich gar nicht mehr einkriegen.

Ich schaute zu Peter, der Domen genervt anschaute.

„Danke, Domen. Hättest du nicht fünf Minuten länger brauchen können?", fragte er ihn und ich blickte zwischen den beiden hin und her, wusste aber nicht genau, was passierte.

Ich dachte vorher, dass Domen keine Ahnung von uns hatte, nur eine Vermutung, aber so wie es aussah, schien es mehr als eine Vermutung zu sein, wenn die beiden darüber geredet hatten.

Hatte Peter tatsächlich gesagt, ich wäre nur ein Teammitglied? Gegenüber Domen?

Das hätte ich nicht erwartet, dass er gegenüber seines kleinen Bruders so etwas sagte. Auf der einen Seite war ich total mit ihm einer Meinung, dass wir diesen paar Momente zwischen uns Zeit geben und uns nicht durch öffentliche oder familiäre Erwartungshaltungen unter Druck setzen sollten.
Auf der anderen Seite: „Nur ein Teammitglied" gegenüber Domen zu sagen, hörte sich fast abwertend und beleidigend an.

„Sorry, die Tür ist leider nicht durchsichtig. Soll ich nochmal rausgehen und in zehn Minuten wiederkommen?", schmunzelte Domen.

„Ne, ne, alles gut", schaltete ich mich ein. „Wenn du den Zettel hast, können wir ja weitermachen. Kann mich eigentlich einer von euch nachher wieder nach Hause fahren?", fragte ich, denn ich hatte wenig Lust in der Dunkelheit und der Kälte Bus zu fahren, denn hier hatte ich keine Ahnung von der Busanbindung.

„Klar", sagten beide gleichzeitig. Verwirrt guckte ich beide an.

„Domen, bevor Lolla mit dir fährt, würde ich sie lieber laufen lassen", wand Peter ein und Domen verdrehte genervt die Augen.

„Wie soll ich denn Fahrpraxis bekommen, wenn du das Auto immer selber fahren willst?", beschwerte er sich.

„Ich wollte nicht mit 23 sterben, nur weil du das Auto mit 70 Sachen in der dreißiger Zone im vierten Gang gegen eine Hauswand fährst", entgegnete Peter und wand sich mir zu: „Ich fahre dich natürlich, Lolla. Aber ich dachte, du bleibst noch zum Abendessen, bis Mum und Dad wieder da sind?"

Domen brummte vor sich hin: „So schlecht fahre ich gar nicht", während ich Peter antwortete.

„Danke Peter, aber ich würde lieber nach Hause, wenn wir fertig sind. Ich denke, wir brauchen noch so eine Stunde", schaute ich Domen an, welcher bestätigend nickte. „Ist das in Ordnung für dich?"

Nachdem Peter das bejahte und uns wieder alleine ließ, wollte ich mit Mathe weiter machen.
„So, dann zeig mir mal den berühmt-berüchtigten Zettel", forderte ich Domen auf, der mich aber nur prüfend ansah.

„Sag mal Lolla, läuft da was zwischen dir und meinem großen Bruder?"

Überrascht sah ich an: „Ähm...nein. Wie kommst du drauf? Wegen gerade? Ich hatte eine Wimper im Auge. Mehr nicht."

„Ist klar. Also ich hätte dich als kreativer eingeschätzt als das Klassische: Ich hatte was im Auge. Tu doch nicht so. Ich verstehe nicht, wieso ihr so ein Heckmeck darum macht. Das würde doch ein Blinder mit Krückstock sehen, dass zwischen euch was ist."

„Ja, weil ein Blinder auch so gut sehen kann", wand ich Peters Spruch an.

„Haha. Jetzt mal ernsthaft, Sis. Oder suchst du noch nach einem guten Grund ihn abzuservieren, weißt aber nicht wie? Soll ich dir helfen?" Domen schaute mich ganz eifrig an.

Ich musste lachen. „Ne, das ist gar nicht nötig. Du hast doch gehört: Ich bin nur ein Teammitglied, mit dem er sich gut versteht!", wiederholte ich energisch und das „nur" betonend.

„Küsst er etwa so schlecht oder wieso zierst du dich so?"

„Ne, aber..."

„Ha, also hat er dich geküsst!" Domen feixte.

„Man Domen, jetzt reiß dich zusammen. Ich finde, bevor du dich weiter um Peter und mich kümmerst, sollten wir zuerst dir eine Freundin suchen, damit du dir nicht mehr über uns den Kopf zerbrechen musst.

„Ach, du sagst schon „uns"? So weit ist es bei „euch" also schon?" Er lachte, denn er wusste langsam, wie er mich ärgern konnte.

Ich hieb ihm auf die Schulter, so lange, bis Domen die Arme hob und „Okay, okay", rief, „lass uns weiter Mathe machen."

Zufrieden senkte ich meinen Kopf und vertiefte mich wieder in die Aufgaben. Die waren zumindest logisch und nicht so komisch wie die Gefühle von Menschen. Vor allem nicht meine eigene.

Nach einer Stunde schlugen wir die Bücher zu und klatschten uns ab.

„Super, morgen wiederholst du noch ein bisschen und dann läuft das. Konzerntrier dich in der Klausur, ordne deine Gedanken und denk nach, bevor du etwas aufschreibst", gab ich ihm die letzten Tipps. „Dann funktioniert das."

„Danke Lolla, ich habe das erste Mal ein gutes Gefühl vor einer Klausur. Ich streng mich an. Und ich verspreche dir als Dank, dich nicht mehr so oft zu ärgern."

Ich lachte laut: „Domen, wir wissen beide, dass das vielleicht zehn Minuten hält, dein Versprechen, also lass es einfach. Schreib eine gute Note, das ist Dank genug."

„Mache ich", versprach er, machte die Tür auf und brüllte die Treppe nach oben: „Peter, wir sind fertig. Du kannst Lolla jetzt heimfahren."

Ich hörte oben eine Tür aufgehen. „Versteh doch endlich, dass du nicht das ganze Haus zusammen brüllen musst." Peter kam die Treppe runtergelaufen. „Da bekommt man einen Herzinfarkt."

„Lolla kann dich ja reanimieren. Schön Mund-zu-Mund-Beatmung", grinste Domen. Peter verdrehte nur die Augen.

Ich schaute auf meine Armbanduhr. „Dein Versprechen hat nichtmal eine Minute gehalten. Stark, Domen." Er tat beschämt, aber ich wusste, dass es ihm viel zu viel Spaß brachte, besonders seinen großen Bruder aufzuziehen.

„Können wir los, Lolla? Seid ihr fertig?", erkundigte sich Peter bei mir. Ich nickte und zog mir schnell Stiefeletten und Mantel an.

„Bring meine Lieblingsmathenachhilfe ordentlich nach Hause", ermahnte Domen Peter und umarmte mich, ausnahmsweise mal ohne mir sämtliche Rippen und den Hals zu brechen. „Machs gut, Sis, ich schreib dir Montag wie Mathe war. Wir sehen uns spätestens wieder, wenn du Thomas hilfst."

Ich nickte, wünschte ihm viel Glück und ging mit Peter zum Auto. Während der Fahrt sagte keiner von uns viel, ich war mit mehr oder minder komischen, verwirrenden und unlogischen Gedanken beschäftigt. Mittlerweile bekam ich es auf die Dauer nicht mehr so gut hin, alles wegzuschieben. So gerne ich es wollte.

„Ist alles gut?", sah mich Peter von der Seite aus an, während er das Auto sicher mit einer Hand steuerte. Ich nickte nur, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte.

„Möchtest du, dass ich bei dir bleibe? Ich würde liebend gerne das Abendessen gegen einen Abend mit dir eintauschen. Wir können auch in meine Wohnung gehen. Die ist zwar nicht so süß wie deine, aber das Bett ist größer", scherzte er, aber ich ging nicht drauf ein, da mich das alles überforderte.

Wieso war er jetzt wieder so? Hatte er seinen Satz vergessen?

„Danke Peter, aber ich würde gerne in meine Wohnung. Ich wusste gar nicht, dass du eine Eigene in der Stadt hast. Und ich möchte auch nicht, dass du das Abendessen meinetwegen verpasst. Die wissen ja sonst sofort, dass du bei mir bist und das wäre komisch, denn ich bin doch „nur" ein Teammitglied, mit dem du dich gut verstehst, nichts weiter." Ich vermied es, ihn anzusehen.

„Lolla, das habe ich doch nur gesagt, weil..."

„Alles in Ordnung, Peter", fiel ich ihm ins Wort. „Ich bin nur müde und würde gerne nach Hause. Du kannst mich hier am Park rauslassen. Von da aus laufe ich. Mit dem Auto darfst du da nicht hoch."

Peter nickte und ich sah aus den Augenwinkeln, wie er einen harten Zug um den Mund herum bekam. Als würde alles unter Spannung stehen. Sein Gesicht sah jetzt nicht mehr so weich und liebevoll aus, wie ich es normalweise kannte.

Er fuhr rechts ran und bremste das Auto.

„Danke fürs Fahren, Peter. Wir hören voneinander." Ich stieg aus und winkte ihm dabei zu.

Er nickte und sah traurig aus.

„Tschüss Lolla", sagt er während ich schon die Tür zumachte.

„Pass auf dich auf", hörte ich noch leise aus dem Inneren, kurz bevor die Tür zuschlug, aber ich hatte mich schon umgedreht und war losgegangen.

Ich drehte mich nochmal um und sah, wie er mich durch die Windschutzscheibe anschaute. Ein schwaches Abbild seines schiefen Lächelns leuchtete auf, aber ich konnte nichts darauf erwidern, also ging ich rückwärts weiter und drehte mich dann endgültig um.

Mit gesenktem Kopf ging ich durch die Straßen und bekam nichts von den schönen Laternen, dem Fluss oder den fröhlichen Menschen mit, die durch die Straßen flanierten und den milden Samstagabend genossen.

Über den Dächern der WeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt