Kapitel 20

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„Hey Lolla", sagte Max; er blickte in seine Bildschirmkamera und damit direkt in meine Küche hinein.

„Hey Max, wie gehts dir? Alles klar? Was macht das Studium? Wie geht's Camilla?", ließ ich alle angestauten Fragen los.

Es war Mittwochabend und nach drei sehr stressigen Wochentagen, fand ich heute das erste Mal eine kleine Verschnaufpause. Peter hatte ich Montagmorgen das letzte Mal gesehen, weil sich die ganze Zeit unsere Termine überschnitten und die Springer am Dienstag den Tag an der Schanze gewesen waren.
Ich war zwar überrascht gewesen, da ja kein Schnee lag, aber Peter hatte mir erklärt, dass es etwas gab, dass sich Mattenspringen nannte.
Wir hatten ausgemacht, dass ich morgen zu ihm kam und meine Lernsachen mitnahm. Ich würde bei ihm wahrscheinlich nicht so produktiv wie in meiner Wohnung sein, aber ich wollte ihn nicht erst am Wochenende wieder sehen.

„Wen interessiert das denn?", grinste Max über beide Ohren. „ Erzähl mir, was mit Peter und dir los ist", forderte Max mich auf und schien ganz gespannt zu sein.

Ich wurde etwas rot, hoffte aber, dass das Licht in meiner Küche zu schwach war, als dass er es sah, und lächelte verlegen.

„Also deiner Gesichtsfarbe entnehme ich, dass es endlich richtig gefunkt hat?"

Anscheinend war das Licht in der Küche doch gut genug.

„Boah Lolla, du erzählst mir jetzt sofort, was Sache ist. Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen! Hatte er dir geschrieben? Hast du ihm erklärt, was Sache ist?" Max war immer so neugierig. Aber ich kannte das nicht anders von ihm.

„Ne, ne, alles ganz anders", fing ich jetzt an zu erzählen. „Peter hatte mir nicht geschrieben, aber ich war ja zwei Wochen später wieder bei Thomas und die Sportler waren zu einer Leistungskontrolle da..."

„Oh, lass mich raten: Du musstest ihn untersuchen? Herz abhören? Lunge abhören? Oder Adduktoren prüfen? Und dann konntest du dich nicht mehr zusammenreißen, wie er da auf der Liege vor dir lag und hast ihm deine Liebe gestanden?", dachte sich Max irgendwelche wilde Theorien aus.

„Max, wie alt bist du?", fragte ich ihn lachend.

„Älter als du", erwiderte er mein Lachen. Das stimmte, er war zwei Jahre älter als ich, also 22.

Ich vermisste diese ständigen kleinen Streitereien mit ihm. Manchmal nervten wir uns auch gegenseitig, aber wenn es fehlte, war es auch nicht richtig. Ohne ihn waren viele Sachen einfach nur noch halb so lustig.
Wie damals, als er seinen Kittel in Biochemie zu Hause vergessen hatte, ich ihm meinen Zweiten lieh - der ihm natürlich zwei Nummern zu klein war - und die Druckknöpfe vorne immer aufgingen, Max aber einfach steif und fest behauptete, das käme davon, weil er zu viel Brustmuskeln trainiert hatte. Dabei war er nicht mal im Fitnessstudio angemeldet.
Vor Lachen hatte ich während des Versuches Silbernitrat über meinen Kittel geschüttet und sah für den Rest des Tages aus, als wäre ich in eine grün-braune Pfütze gefallen.

Da ich mit Max tatsächlich lange nicht mehr geredet hatte, musste ich alles nochmal erzählen:„Nichts davon stimmt. Sogar eher das Gegenteil, wir haben kein Wort miteinander geredet, weil ich drei andere Sportler zugeteilt bekam. Das war wie Physio im dritten Semester der Leistung-Versuch, weißt du noch?"

Max nickte hastig: „Ja, und dann? Also ihr habt nicht miteinander gesprochen, hat er dich dann angerufen oder du ihn?"

„Warte doch mal ab und sei nicht so neugierig", bremste ich ihn. „Nein, er ist mit seinen Brüdern raus gegangen zum Parkplatz und..."

„Was für ein Auto fährt er?", Max hatte eine übertriebene Leidenschaft für Autos. Alle Autos. Neue, Alte, er konnte einem sämtliche Zylinder-, PS-Zahlen, Hubräume, alles Mögliche zu gefühlt jedem Auto runter rattern, wenn man ihn danach fragte.

Aber da ich nichts von Autos verstand, war es für mich immer nur super, super nervig. „Keine Ahnung, Max. Frag ihn selber, ich weiß es nicht und es interessiert mich auch nicht. Man bewertet Menschen nicht nach ihren Autos. Außerdem war das von seiner Mum. Er hat aber noch ein Sponsorenauto."

„Hoffentlich kein Passat. Ne Lolla, du fängst nichts mit einem an, der Passat fährt."

„Max, halt die Klappe! Willst du, dass ich weiterrede oder soll ich still sein?", ich bekam schon wieder einen Anfall bei seinem Gerede über Autos.
Früher hatte er mich ständig abgefragt, in wie vielen Sekunden, welches Auto von null auf hundert beschleunigte und ich hatte immer nur die Augen verdreht.

„Schon gut. Rede weiter."

„Okay, also Peter war auf dem Parkplatz, aber eben mit seinen Brüdern, da habe ich ihn gebeten, ob ich kurz mit ihm reden könnte..."

„Sehr gut", befand Max und nickte zustimmend.

„...aber er war voll, naja nicht direkt abweisend, also schon irgendwie, oder sauer? Zumindest hat er gesagt, dass ich es, wenn das alles nur ein Spiel gewesen wäre für mich oder ich es nicht ernst meinte, vergessen könnte.
Irgendwie wusste ich nicht, was ich sagen sollte, also habe ich kaum was gesagt - ja, ich weiß, das war nicht die schlaueste Taktik...", stoppte ich Max Einwand, denn er wollte schon wieder dazwischen reden. „Und dann ist er einfach weggegangen."

„Was?", Max schien geschockt. „Hattest du ihm in den zwei Wochen nicht geschrieben?"

„Ne", ich schüttelte den Kopf.

„Was? Wieso nicht?"

„Hä, du hattest mir doch geraten, abzuwarten, bis er mir schreibt!", wand ich empört ein.

„Hab ich nicht. Ich habe gesagt, wenn du dich nicht traust, dich mit ihm zu verabreden, dann kannst du ein, zwei Tage warten, ob Peter von sich aus schreibt. Aber doch nicht zwei Wochen Funkstille, Lolla! Er hatte doch nichts falsch gemacht."

„Oh, dann habe ich das falsch verstanden...", erwiderte ich kleinlaut.

„Außerdem musst du meine Worte nicht immer für voll nehmen, Lolla. Du bist die Schlaue von uns beiden."

„Aber nur in Biochemie, von menschlicher Kommunikation verstehe ich nichts."

„Stimmt", lachte Max. „Okay, also Peter ist weggegangen Und weiter? Ich hoffe, du hast ihn nicht einfach gehen lassen!".

„Ne, ich bin ihm hinterhergelaufen und habe ihn geküsst."

Max fielen fast die Augen aus. „Einfach so?"

„Einfach so", bestätigte ich lächelnd. Ein bisschen stolz war ich schon auf mich, dass ich mich das getraut hatte. Auch wenn ich dem Moment da nicht drüber nachgedacht hatte.

„Nochmal zum Mitschreiben", fing Max an, „du traust dich zwei Wochen nicht, ihm zu schreiben, ob ihr euch auf einen Kaffee treffen wollt und dann, als er weggeht, hältst du ihn auf und küsst ihn?"

Ich nickte. Schließlich war es so gewesen.

„Du bist ein komisches menschliches Wesen, Lolla", lachte Max ungläubig. „Ich glaube, ich werde dich nie verstehen. Immer wenn ich denke, jetzt tue ich es, kommst du und haust wieder irgendwas Neues raus. Hat er denn den Kuss erwidert? Ich meine, schließlich ist er weggegangen und war anscheinend wirklich sauer auf dich."

Wieder nickte ich und lachte jetzt übers ganze Gesicht. Das Glücksgefühl des Wochenendes kam erneut in mir hoch und bewirkte gute Laune. „Und dann hat es angefangen zu regnen und ich bin mit ihm in seine Wohnung gegangen, weil die viel näher als Meine war, und hab sogar bei ihm geschlafen und..."

„Warte, warte, du bist mit Peter in seine Wohnung gegangen und hast mit ihm geschlafen?"

„Bei ihm, Max!", korrigierte ich ihn mit Nachdruck.

„Wieso? Versöhnungssex soll der Beste sein", lachte er herzhaft über mein Gesicht, was so eine Mischung zwischen Erschrocken- und Verlegenheit darstellte.

„Max, wir hatten uns zwei Wochen nicht gesehen, wir sind nicht mal richtig zusammen und davor hatten wir uns vielleicht fünf mal oder so geküsst, okay?", erklärte ich ihm und hoffte, dass er es dabei beließ.

„Och Lolla, du musst doch nicht verlegen werden. Wir haben in Anatomie Geschlechtsorgane in jedem Detail gelernt, da hattest du auch kein Problem damit, mir zu erklären, dass die Erektion parasympathisch und die Ejakulation sympathisch reguliert wird", scherzte er über mein rotes Gesicht.

„Das ist etwas anderes, das war Wissenschaft", redete ich mich aus dieser heiklen Situation heraus. „Also, um wieder zurückzukommen, ich habe bei ihm geschlafen und..."

„Aber nicht auf dem Sofa, oder?"

„...nein Max, nicht auf dem Sofa, in seinem Bett - ja, mit ihm zusammen - und am nächsten Tag waren wir sogar bei seiner Familie zum Mittagessen. Seine Schwestern sind so süß, Max, das glaubst du gar nicht. Und seine Eltern waren auch total freundlich zu mir."

„Peter hat dich mit zu seiner Familie genommen? Na, dem scheinen die zwei Wochen ohne dich lang genug gewesen zu sein, wenn er jetzt Nägel mit Köpfen macht." Max schaute mich nachdenklich an. „War es okay für dich bei seiner Familie?", fragte er mich vorsichtig.

Ich wusste, worauf er anspielte.

„Ja", sagte ich selbst noch überrascht davon, „ich habe nur Freude gefühlt, es kam nichts von früher hoch. Es hat mich selber erstaunt, wie gut es gelaufen ist."

„Cool, das...Lolla, das freut mich ehrlich für dich!", Max meinte es auch ehrlich, das spürte ich. Und ich wusste es. Dafür hatten wir zu viel zusammen durchgemacht. „Ich will Peter unbedingt kennenlernen, sollte ich dich mal besuchen kommen! Also, wehe du verhaust es vorher, bevor ich ihn kennen gelernt habe", schwor er mich ein und ich musste lachen über den Ernst in seiner Stimme.

„Du Lolla, ich muss schon wieder Schluss machen. Camilla kommt gleich nach Hause und ich muss noch Patho fertig machen, sonst bekommt sie einen Anfall, sollte ich das machen, wenn sie da ist. Wir hören voneinander, ja?"

Anscheinend war es überall gleich mit dem ständigen Lernen. „Ist gut, grüß sie schön von mir. Ich hab dich lieb, Max! Und danke."

„Nichts zu danken, Lolla", verabschiedete er sich und wir beendeten Skype.

Ich war zufrieden, dass ich es geschafft hatte, Max endlich auf den neuesten Stand zu bringen. Es war wichtig für mich, zu wissen, dass mein bester Freund in Deutschland immer noch hinter mir stand.

Derweil in Peters Wohnung

Domens Sicht

„Traust du dich im Dunkeln nach Hause zu fahren, wenn wir noch was essen, bevor du fährst?", ärgerte mich Peter, der in der Küche stand und Wasser aufsetzte.

Eigentlich wollte ich nur meine Sportsachen von letzter oder vorletzter Woche mitnehmen, die ich noch bei ihm liegen hatte. Er weigerte sich nämlich immer, die zu waschen mit den Worten: „Das sind deine Sachen, Domen, und ich bin nicht deine Mutter, die dir die Sachen wäscht, also kümmere dich selber drum." Und bevor die noch anfingen zu schimmeln oder so, wollte ich die lieber mitnehmen.

Konnten Klamotten eigentlich schimmeln?

Boah Domen, an was für ne Scheiße denkst du eigentlich immer?, schimpfte ich selber mit mir. „Ich bin 18 und hab einen Führerschein, also halt die Klappe, Peter", antwortete ich ihm leicht mürrisch.

Das Training heute, zu dem ich erst nach der Schule hinzustoßen konnte, war wirklich anstrengend gewesen. Wir hatten Ausdauertraining und stundenlange Videoanalysen gemacht und da mein Sprungstil im Vergleich zur letzten Saison etwas umgestellt wurde beziehungsweise werden sollte - so ganz bekam ich das zu meinem Ärger noch nicht hin - ging es ziemlich lange. Und morgen hatte ich auch noch Schule. Ich beneidete Cene und Peter so dafür, dass sie nicht mehr dahin mussten.

„Also ja? Soll ich zwei Päckchen Reis machen?"

„Du kannst meinetwegen auch 50 Päckchen Reis machen. Wo sind denn die blöden Schuhe?", suchte ich meine Laufschuhe. „Peter, hast du meine Schuhe irgendwo hingetragen?"

„Das sind deine Sachen und ich..."

„Ja, ja, ich weiß, du bist nicht meine Mutter. Hast du sie irgendwo versteckt?"

Peter kam belustigt ins Wohnzimmer, wo ich meine Sachen ausgebreitet hatte und mich versuchte zu erinnern, was ich alles bei ihm gelassen hatte.

„Domen, werde doch einfach mal ordentlicher. Wieso sollte ich deine Schuhe verstecken? Meinst du, ich hatte Sehnsucht danach, dass du deine ekeligen Sportsachen auf meinem Sofa ausbreitest?" Er betrachtete leicht angewidert meine Sachen. „Die waren jetzt schon über zwei Wochen in deinem komischen Turnbeutel, willst du die nicht lieber auf den Boden legen?"

„Oh, hat der Peter Angst, dass jetzt Bakterien auf sein gerade frisch abgesaugtes Sofa kommen? Schau mal, Peter", ich nahm meine alten Socken vom Boden und warf sie aufs Sofa. „Hol schnell Lappen und Staubsauger."

„Alter, du bist erwachsen, Domen!" Peter schüttelte den Kopf. „Und nimm sofort deine Socken von meinem Sofa."

Ich lief ins Badezimmer - das im Flur -, vielleicht hatte ich die Schuhe ja da hingestellt. Ein bisschen recht hatte Peter schon, ich fand nie meine Sachen wieder in dem Chaos. Aber wenigstens hatte man dadurch was zu lachen. Auch, wenn ich diese Situation gerade nicht zum Lachen fand, sondern einfach nur genervt war.

„Deine Schuhe stehen unten im Keller. Der Schlüssel ist in meiner Jackentasche", rief mir Peter aus der Küche zu.

War das sein Ernst? Und mein Bruder wollte mir was von wegen Erwachsen-Sein erzählen? Seinem kleinen Bruder die Schuhe zu verstecken, machten 6-jährige Kinder. Hätte Ema das gemacht, hätte ich es verstanden.

„Ey Peter, ist das dein Ernst? Ich suche seit einer halben Stunde diese dämlichen Schuhe in deiner Wohnung und jetzt kommst du und erzählst mir, dass du die in Keller gestellt hast?"

„Ja."

„Wieso?"

„Deine Schuhe haben über zwei Wochen mein Badezimmer vollgestunken, Domen. Ich habe nichts dagegen, wenn du Sachen von dir hier lässt, aber nicht so eklige."

„Du hättest sie mir doch einfach mitbringen können! Zum Training oder nach Hause. Du warst doch am Wochenende zu Hause."

„Ach, soll ich als deine Mutti dir jetzt auch noch die Sachen hinterhertragen?"

Ich fing an zu lachen. „Ja, sollst du. Wo ist der Schlüssel?"

„Dass ich mit dir verwandt bin", Peter schüttelte grinsend seinen Kopf, „in meiner Jackentasche."

Gezwungenermaßen lief ich in den Keller und holte meine Schuhe hoch. Als ich wieder in die Küche kam, standen schon zwei Teller auf dem Tisch. Okay, vielleicht sollte ich doch etwas netter zu meinem großen Bruder sein, immerhin hatte er gerade für mich Reis und Gemüse mitgekocht.

„Was hast du denn so lange gemacht?", schaute Peter mich erstaunt an. „Ich dachte schon, du wärst die Treppe runtergefallen."

„Sehr witzig. Meine Beine tun weh von heute. Vor allem die Oberschenkel", jammerte ich. „Ich hätte mich mal massieren lassen sollen."

„Oh, muss Opi etwa mehr laufen gehen?"

„Haha, pass auf, dass ich dich nicht wieder abziehe in der Saison", so ganz ohne diesen Stich konnte ich nicht auskommen. Schließlich war ich letzte Saison bis zur Vierschanzen-Tournee wirklich besser als er gesprungen. Auch wenn Peter natürlich mit den Vorjahresleistungen viel mehr vorzuweisen hatte. Aber trotzdem!

„Wir werden sehen", gab er sich genügsam und wir setzten uns an den Tisch. Während ich mir den ersten Löffel in den Mund schob - nach dem Training hatte ich immer mega Hunger - fiel mir etwas ein. Ich musste meiner Biolehrerin noch so eine doofe Email schreiben, was ich für ein Referatsthema nahm und da ich es schon die letzten zwei Wochen vergessen hatte - und heute Abend zu Hause bestimmt wieder vergaß -, konnte ich es auch gleich hier machen.

„Darf ich dein Laptop benutzen?", fragte ich Peter und da der nickte, stand ich auf und lief in sein Zimmer.

„Ne, der liegt noch im Wohnzimmer. Hast du den nicht gesehen?", rief Peter mir hinterher, als ich schon fast da war.

Wäre ich sonst in sein Zimmer gelaufen, hätte ich ihn im Wohnzimmer gesehen? Manchmal dachte mein Bruder wirklich nicht nach. „Wo denn?", ich konnte ihn beim besten Willen nicht entdecken.

„Auf dem Sofa, vermutlich hast du deine ekelhaften Klamotten darauf gelegt". Der war aber auch immer nur am motzen. Statt sich zu freuen, dass sein kleiner Bruder da war und mit ihm gemeinsam Abendessen aß.

Ich fegte meine Sportsachen einfach auf den Boden und sah darunter tatsächlich Peters graues MacBook liegen. Schnell ging ich wieder zum Tisch, klappte es auf, tippte sein Passwort ein und aß nebenbei schon weiter.

„Was musst du denn machen?", wollte Peter wissen, aber ich hörte ihm nicht richtig zu, sondern klickte ungeduldig den noch offenen Internetbrowser an.

„Hm, ich muss nur...", ich stockte, „was ist das denn?"

„Was?", fragte mich Peter, der nicht wusste, worum es geht.

„Seit wann liest du denn bitte englische Texte und auch noch sowas: „The principles of the Franck-Starling mechanism and the heart efficiency", las ich vor. „Was soll das denn sein?"

„Ich kann dir den ganzen Blutfluss durchs Herz erklären", leuchteten Peters Augen auf.

Was war mit dem denn los? Normalerweise las er zwar relativ viel, aber wenn dann nur slowenische Bücher. Er war nicht wirklich gut in Englisch und redete in den Interviews immer das Gleiche, von wegen: „The competition was great, but I have to stay focus to the next jump...", egal, was die Reporter fragten.

„Als ob du den Text hier gelesen hast, Peter. Das sind...warte, 85 Seiten!", staunte ich.

„Ach so, das meinst du. Natürlich habe ich den nicht selber gelesen, der ist noch von Lolla offen, vom Wochenende. Weil sie irgendwas lernen musste, Physiologie nennt sich das."

Überrascht schaute ich auf. Ich wusste nicht, dass Peter Lolla schon in seine Wohnung mitgenommen hatte. „Lolla war hier? Wann?"

„Was tut denn das zur Sache?", entgegnete er und wollte wieder von seinem blöden Blutfluss anfangen, aber der interessierte mich gerade herzlich wenig, da Peter bestimmt eh nur nachplapperte, was Lolla ihm gesagt hatte.

„Wart ihr das ganze Wochenende bei dir?", fragte ich ihn.

Ich hatte Peter zwar am Sonntag vorgeschlagen, dass er Lolla doch mitnehmen könnte, aber ich wollte ihn eigentlich nur damit aufziehen.
Obwohl, wenn ich jetzt genauer darüber nachdachte - sie wirkten schon ziemlich vertraut, wie sie da Hand in Hand die Einfahrt entlang gekommen waren. Und wie Peter sich am Tisch nach dem Essen neben sie gesetzt, ihre Hand genommen und sie geküsst hatte.

Okay, vielleicht hätte ich mir das doch denken können mit der Wohnung. Aber erstaunt war ich trotzdem.

„Ja", antwortete Peter nur. Toll, jetzt tat er wieder einen auf schweigsam. Das machte er immer, wenn er keine Lust zu reden hatte. Bei den Reportern funktionierte es wunderbar, aber ich war sein kleiner Bruder. Ich kannte ihn.

„Wie hast du das hinbekommen?", fragte ich, denn das interessierte mich nun wirklich. „Wo wir schon dabei sind, was war das eigentlich für eine Parkplatzaktion? Es sah mir ja hochdramatisch aus."
Das Letzte sagte ich mit sarkastischem Unterton, denn es hatte wirklich wie in so einem Kitsch-Liebesfilm ausgesehen, wie Peter sich umdrehte und ging, Lolla ihn dann aufgehalten und geküsst hatte.

„Domen, iss deinen Reis auf. Mach, was du machen musst...", Peter zeigte aufs Laptop, „...und dann fährst du nach Hause, damit es nicht zu spät wird."

„Peter, entspann dich. Ich habe beschlossen, auf dem Sofa zu schlafen", nickte ich zufrieden mit meinem Plan. Da fiel mir etwas ein: „Oder schläft Lolla bei dir? Kommt sie etwa heute?"

Peter schüttelte seinen Kopf. Sah er etwa traurig aus oder bildete ich mir das nur ein? „Ne, passt schon. Ich sehe Lolla erst morgen wieder. Sie hat viel in der Uni zu tun."

„Deshalb dieser komische Text?", nickte ich in Richtung des offenen Laptops.

„Hm", brummte Peter und konzentrierte sich aufs Essen. Vermisste er sie etwa jetzt schon so doll? Wie sollte das denn erst in der Saison werden?, dachte ich mir leise, sagte aber nichts.

Peter redete von sich aus weiter: „Es war die einzige Möglichkeit am Sonntagabend, sie dazu zu überreden, hier zu schlafen anstatt in ihrer Wohnung. Indem ich ihr versprochen habe, dass sie lernen darf."

„Okay, so toll findet sie dich anscheinend doch nicht, wenn sie in deiner Wohnung ist und stumm komische Texte liest", versuchte ich Peter aus der Reserve zu locken.
Ich wusste mittlerweile ziemlich gut, wie man ihn zum reden bekam. Schließlich hatte ich auch 18 Jahre lang geübt.

„Hör doch mal auf, Domen, du hast doch gar keine Ahnung", wurde er langsam ärgerlich und schaute hoch. „Schau, ich bin so freundlich und koch meinem armen Bruder was zu essen, erlaube ihm, hier zu schlafen und dann machst du dich über mich lustig. Das ist nicht cool, Domen!" Er stand vom Tisch auf und stellte die Teller in die Spülmaschine.

„Sorry Peter, ich will doch nur, dass du mir ein bisschen was erzählst", verteidigte ich mich, aber hatte einen etwas ruhigeren Tonfall. Schließlich wollte ich ihn nicht wirklich verletzen oder aufregen. Manchmal bekam er meine Worte in die falschen Ohren.

„Schon gut."

„Also?"

„Was also?"

„Na, erzähl!"

„Was willst du denn wissen?"

„Küsst sie gut?"

„Domen, ernsthaft. Das fragt ein 15-jähriger. Ich bin 23, okay?"

„Ja, und? Bei deiner Ex-Freundin hattest du nie so leuchtende Augen oder hast sie am Tisch geküsst wie Lolla. Dann muss sie doch was haben, was andere nicht haben!", begründete ich aus meinen Augen ziemlich sachlich meine Frage. Man würde doch wohl mal fragen dürfen. „Und?", harkte ich nach.

„Ja, tut sie", bekam Peter rote Ohren. Jaja, 23, ist klar.

„Siehst du, einfache Frage, einfache Antwort. Habt ihr schon...? Ich meine, du hast sie unseren Eltern vorgestellt!", setzte ich schnell hinterher, weil Peter mich schon wieder ärgerlich ansah.

„Nein, haben wir nicht. Und wenn, dann würde ich es dir nicht erzählen! Okay Domen, du regst mich gerade echt richtig auf, aber da wir beide aus der Familie Prevc und stur sind, sitzen wir hier sonst glaube ich noch in fünf Stunden und ich wollte eigentlich heute noch schlafen gehen.
Ich habe vor drei Wochen einmal in ihrer Wohnung übernachtet, aber erstens habe ich ihr versprochen, dass sie mir vertrauen kann und zweitens wollen wir beide nichts überstürzen, deshalb ist weder da noch sonst irgendwann das passiert, was dir vorschwebt.
Erinnerst du dich noch an unser Gespräch im Hotel im Kraftraum? Nachdem sie einmal so komisch reagiert hatte?"

Ich nickte. Klar, erinnerte ich mich daran.

„Okay, an dem Wochenende, als ihr Mathe gelernt und ich sie nach Hause gefahren habe, war sie irgendwie wieder so ähnlich. Und da hatte ich dann die Befürchtung, dass sie es überhaupt nicht möchte und es war zwei Wochen nichts. Ich wollte ihr einfach Entscheidungsspielraum geben.
Na und wie sie sich entschieden hat, hast du selber gesehen. Danach sind wir dann hier her gegangen, weil es doch geregnet hatte und haben Pizza gegessen. Zufrieden?"

Meine Strategie funktionierte echt gut. Ich hatte ihn schon wieder zum Reden gebracht. Irgendwie beeindruckte mich Peters Art, von Lolla zu sprechen. Es hörte sich wirklich so an, als würde er sich viele Gedanken um sie machen. Sonst war sein Hauptaugenmerk immer nur Skispringen gewesen und Freundin so nebenbei.
Aber es hörte sich bei Lolla anders an. Ich versuchte zwar, gegen das Gefühl anzukämpfen, aber ein bisschen neidisch war ich schon auf ihn. Also nicht wegen Lolla, die war nur meine Sis, aber das Gefühl, dass Peter jemanden hatte, zu dem er sich so hingezogen fühlte. Das hatte ich noch nie. Wenn man von meiner „Freundin" in der achten Klasse mal absah.

„Ey Peter?", fragte ich scheinbar beiläufig.

„Was?", Peter schien in Gedanken versunken zu sein.

„Wie hast du das gemacht? Also ich meine, wieso du? So gut siehst du echt nicht aus! Ich seh viel besser aus als du."

Peter musste lachen. „Jetzt komm mir nicht mit dem: „Bekomme ich Tipps über Frauen von meinem großen Bruder" - Ding an, Domen. Darüber kannst du mit Cene reden."

„Pff, weil Cene ja soo viel mehr Erfahrung hat als ich!" Das stimmte, zumindest hatte ich bei der ein oder anderen Party ein Mädchen geküsst. Auch wenn das nie was richtig Ernstes war. Cene traute sich fast gar nichts. In ihm sahen die meisten nur den lieben, niedlichen Jungen.

„Dann frag eben Dad."

„Jaja, Dad sagt mir eh nur, dass ich rote Rosen oder so einen Quatsch kaufen soll", verdrehte ich die Augen. „Ich meine nur, wie hat sich zwischen euch was entwickelt? Wieso mag sie dich auf diese Art und Weise?"

„Das war das letzte Mal, dass ich dich Quälgeist hier schlafen gelassen habe", bemerkte Peter und stützte müde seinen Kopf auf seiner Hand ab. Anscheinend hatte das Training auch bei ihm mehr Spuren hinterlassen, als er zugegeben wollte.
„Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung. Ich bin einfach nur sehr dankbar, dass es so ist. Komm, lass uns schlafen gehen. Du weißt, wo Kissen und so liegen. Und stell dir einen Wecker! Nicht, dass ich dich wieder für die Schule wecken muss, ich bin nicht..."

„Ja, du bist nicht meine Mutter. Ich weiß! Es reicht auch aus, wenn du es 5 mal am Tag sagst."

Er verließ die Küche und ging in Richtung seines Zimmers.

„Peter?", sagte ich leise in den dunklen Flur hinein.

Er seufzte. „Ja?"

„Ich glaube, du hast echt Glück mit Lolla."

„Ich weiß. Würde ich an einen Gott glauben, würde ich ihm Danke sagen. Schlaf gut, Domen."

„Bis morgen." Ich holte noch Decke und Kissen aus dem Schrank im Flur und kuschelte mich dann auf's Sofa. Natürlich ohne mir den Wecker zu stellen.


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