Erinnerungen

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Seine Haare sehen aus, als wäre er gerade erst aufgestanden oder als hätte er einen Turbosprint auf den Zug hinter sich. Wahrscheinlich trifft sogar beides zu. Er trägt schwarze Jeans, welche ziemlich eng aussehen. Ob das für einen Mann wirklich so bequem ist? Auf seinem verwaschenen grauen Shirt steht >The River<. Ob er so ein Ökofreak ist? Rettet die Flüsse? Um den Hals trägt er eine Halskette, welche von seinem Shirt verdeckt wird. Ob sie wohl eine Bedeutung hat?






„Warum beobachtest du mich?" Ich erstarre. „Keine Sorge, ich bin es gewohnt." Ich drehe mich zu ihm um. „Was soll das heissen?" Er schaut mich irritiert an. „Na, dass ich es gewohnt bin angeschaut zu werden." Ich runzle die Stirn und schnalze mit der Zunge. „Gar nicht eingebildet der Herr." Ich drehe mich wieder zur Fensterscheibe und schliesse die Augen. Meine Sympathie für Mike fährt Achterbahn. Zeitweise finde ich ihn ganz ok, dann haut er irgendetwas raus und schon finde ich ihn wieder völlig dämlich.






 Zeitweise finde ich ihn ganz ok, dann haut er irgendetwas raus und schon finde ich ihn wieder völlig dämlich

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Wieder tippt mir jemand an die Schulter und ich schrecke erneut hoch. Diesmal jedoch etwas heftiger, denn ich war eingeschlafen. „Ticketkontrolle." Der Platz neben mir ist leer. Ich krame in meiner Tasche nach meinem Ticket und halte es dem Schaffner hin. „Danke." Er dreht sich um und kontrolliert die Tickets auf der anderen Seite. Hat Mike die Flucht ergriffen? Habe ich geschnarcht? Oder noch schlimmer.... im Schlaf gesprochen?






„Hier du Schlafmütze." Mike hält mir einen Kaffee vor die Nase und lächelt mich an. Noch völlig dusselig im Kopf nehme ich den Kaffee. „Danke, ich dachte du wärst schon weg." Er setzt sich wieder neben mich. „Dann hätte ich wohl kaum meinen Rucksack hier gelassen." Erst jetzt fällt mir auf, dass der Rucksack noch vor dem Sitz auf dem Boden liegt. Ich reibe mir über das Gesicht. „So geweckt zu werden ist nicht schön", sage ich gähnend. „Na danke, dir bring ich wieder mal einen Kaffee mit." Mike grinst mich an. „Nein, ich mein doch den Schaffner." Ich nehme einen Schluck und verbrühe mir prompt die Zunge. „Au verdammt!" Mike beginnt zu lachen und nimmt mir den Kaffee aus der Hand. „Werd du erstmal wach."





Nachdem ich mich auf der Toilette frisch gemacht habe, bekomme ich meinen Kaffee wieder zurück. Zwar schmecke ich jetzt nichts mehr aber ich werde langsam wieder wach. „Was habt ihr in Berlin denn vor?", möchte Mike wissen.

Ich erzähle ihm, mit wem ich mich treffe, woher wir uns kennen und was wir geplant haben. Er hört interessiert zu und fragt immer mal wieder genauer nach. „Da habt ihr euch aber ziemlich viel vorgenommen." „Naja die Zeit soll ja auch genutzt werden, aber nun zu dir. Was hast du denn noch so vor?" „Ich gehe in meine Wohnung und schaue was sich als nächstes ergibt." „Klingt langweilig. Hast du nicht Lust uns Berlin zu zeigen? Natürlich die Nicht-Touristen-Seite von Berlin." Er kratzt sich am Kopf. „Eigentlich kenne ich mich auch nicht so gut aus." Ich beginne zu lachen. „Und das soll ich dir jetzt glauben? Gib es doch zu, du willst nur nicht mit sieben Weibern durch Berlin stolzieren." „Erwischt. Das wäre nicht gut für mein Image", gibt er grinsend zurück. „Natürlich, das wollen wir ja nicht. Aber etwas essen gehen würde drin liegen?" „Weiss ich noch nicht." Plötzlich ist seine Miene leicht angespannt und gar nicht mehr fröhlich. „Sorry, das war eine blöde Frage", murmle ich. Mike zieht seinen Laptop und grosse Kopfhörer aus dem Rucksack. Scheinbar ist das Gespräch nun beendet.



Während Mike Musik hört und am Laptop arbeitet - er scheint irgendetwas zu schreiben, texte ich mit den Mädels. Von meinem seltsamen und doch irgendwie interessanten Sitznachbarn erzähle ich ihnen nichts.



Mike setzt seine Kopfhörer ab und hält sie mir hin. Ohne etwas zu sagen, nehme ich sie und setze sie auf. Ich lausche der Melodie und spüre wie ich innerlich total ruhig werde. Ich schliesse die Augen. Klassische Musik erinnert mich an meine Grosseltern und versetzt mich in meine Kindheit. Mein Grossvater und ich haben früher immer Instrumente erraten gespielt. Abwechslungsweise mussten wir die Instrumente aufzählen, die wir hörten. Tränen rollen über meine Wangen. Seit Jahren habe ich einen grossen Bogen um klassische Musik gemacht. Zu sehr schmerzt mich die Erinnerung, denn meine Grosseltern leben leider nicht mehr. Mike nimmt meine Hand. Als das Lied fertig ist öffne ich die Augen und ziehe meine Hand weg. Ich nehme die Kopfhörer ab und gebe sie Mike zurück. „Danke", ich wische meinen nassen Wangen mit meinem Ärmel trocken. „Ich wollte dich nicht zum weinen bringen." „Das Lied hat mich nur an meine Grosseltern erinnert, das ist alles. Nicht so schlimm." „Ich hoffe es sind gute Erinnerungen?" Ich lächle. „Die besten."


Nach einer Weile habe ich mich wieder gefangen

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Nach einer Weile habe ich mich wieder gefangen. „Was schreibst du da? Du tippst ja wie ein irrer auf der Tastatur herum." „Ich versuche ein Buch zu schreiben aber irgendwie komme ich nicht vom Fleck. Alles was ich schreibe ist bullshit." „Darf ich etwas davon lesen?" Er klappt das Laptop zu. „Nein, das darf keiner lesen - nicht einmal ich sollte das lesen, so schlecht ist es." Er verstaut den Laptop und die Kopfhörer in seinem Rucksack. Ich muss schmunzeln. „Schreiben ist also keines deiner vielen Talente?" Er zuckt die Schultern. „Einiges was ich schreibe kommt ganz gut an." Er zwinkert mir zu aber ich habe keine Ahnung was er mir damit sagen will.






"Nächster Halt Berlin " - tönt es durch den Lautsprecher. „Schon? Das ging ja schnell", ich spüre wie ich nervös werde. Gleich treffe ich auf Rahel und Tabea. Die beiden kommen fast zeitgleich an und wir wollen gemeinsam zum Hotel. „Schade", meint Mike und steht auf. „Danke, dass du so ein netter Sitznachbar warst. Ich hätte es schlimmer treffen können." „Hat mich auch gefreut dich kennenzulernen Sophie." Er schwingt sich seinen Rucksack auf den Rücken und trifft dabei fast die Dame, die hinter ihm sitz. „Oh Pardon, habe ich sie getroffen?" „Nein nein, alles gut. Passen sie das nächste Mal einfach besser auf. Sie sind hier schliesslich nicht alleine im Zug." Ich presse die Lippen aufeinander um nicht laut zu lachen. Ich schnappe mir meine Tasche, stopfe alles hinein was noch herumliegt und begebe mich hinter Mike in Richtung Ausgang. In der Mitte des Zugabteils ziehe ich meinen Koffer aus dem Abstellfach. Mike schnappt sich einen Gitarrenkoffer. Der Herr reist also nur mit Rucksack und Instrument.



„Ich sag dann jetzt schon tschüss, am Bahnhof wird es bestimmt ziemlich voll sein", sagt Mike und dreht sich zu mir um. Er legt seine Arme um mich und drückt mich an sich. Völlig überrumpelt stehe ich einfach nur da. „Ja gut äh dann machs gut", stammle ich vor mich hin. Der Zug hält an und wir machen uns auf den Weg nach draussen. Als ich meinen Koffer die Treppe hinunter gehievt habe und mich umblicke, ist von Mike weit und breit nichts zu sehen.



Ich mache mich auf den Weg in die Eingangshalle des Bahnhofs und suche den Treffpunkt. Von weitem sehe ich bereits Rahel und Tabea.

✔️ Berlin Lovestory (Michael Patrick Kelly FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt