Zwei Tage nach Lukes Besuch wurde Shen entlassen. Über eine Woche lang hatte sie in dem weißen, langweilen und sterilen Raum mit dem nervig Piepding gedacht, sie würde verrückt werden. Alles war so langweilig, wenn Leila nicht da war und erst nachdem Luke bereits weg war, hätte Shen sich am liebsten geohrfeigt, weil sie ihn einfach hatte gehen lassen. Sie hatte seit gut fünf Tagen nicht mehr mit jemand anderem geredet als mit dem Arzt und ein paar Krankenpflegerinnen und der einzige soziale Kontakt den sie in diesen Tagen gehabt hatte, war nach zehn Minuten bereits wieder aus der Tür verschwunden, aus der nun auch Shen lief. Endlich.
Sie hatte ihre schwarze Kunstledertasche auf dem Arm, frische Kleidung, die ihr Leila bei ihrem letzten Krankenhausbesuch geliehen hatte an und lief auf zwei Krücken gestützt zum Aufzug. Sie musste wegen der Wunde an ihrem Hinterkopf für drei Tage noch nicht zur Schule und vom Sportunterricht würde sie auch für die nächsten Wochen befreit sein. Schließlich mussten Rippen auch heilen und die konnte man nicht eingipsen.
Da sie also noch Zeit hatte und es jetzt, um 11:20 Uhr sowieso schon zu spät war um zur Schule zu gehen, entschied Shen sich, zu Leila zu fahren. Mit dem Bus, natürlich. Ihr Dad war nur kurz gekommen, um irgendwelche Papiere zu unterzeichnen und damit er so tun konnte, als sei er ein sooo netter Vater. "So ein Arsch.", dachte sie und sah dabei zu, wie er seine Unterschrift unter ein paar Dokumente setzte.
Als an der Rezeption alles geklärt war, verließ die Brünette mit ihrem "Dad" das Krankenhaus und draußen angelangt konnte sie nicht anders, als einmal tief durchzuatmen. Mann, das tat gut!
Natürlich, in ihrem Zimmer gab es auch ein Fenster das man auf Kipp stellen konnte, aber das war nicht das Gleiche, wie nach einem gefühlten Schaltjahr wieder draußen stehen zu dürfen. Übertrieb Shen? Kann sein. Aber das ging ihr eigentlich ziemlich am Allerwertesten vorbei.Sie hatte nur nebenbei bemerkt, wie ihr Vater "Komm allein nach Hause, du Göre.", gesagt hatte und mit diesen Worten auf seinen braunen Seat zuging.
Nachdem sie also ein paar Sekunden lang breit lächelnd auf dem Gehweg stand und die feuchte Luft eingeatmet hatte, lief sie mit Begleitung eines leichten Nieselregens zur Bushaltestelle, die Gott sei Dank nicht weit vom Krankenhaus entfernt war. Sie hatte dem Arzt gesagt, ihr Dad würde auf dem Parkplatz auf sie warten. Natürlich war das gelogen, sonst hätte sie gar nicht weggekonnt, aber er hatte es geschluckt und so stand sie nun lächelnd und irgendwie etwas nervös an der Bushaltestelle und wartete auf den Bus, der zum Stadtzentrum führte. Von dort aus war es mit diesen lästigen Plastikteilen, die sich Krücken schimpften ein Zehnminuten-Fußweg zu Leilas Wohnung. Natürlich konnte Shen gar nicht sicher sein, ob ihre beste Freundin überhaupt Zuhause war, aber sie hoffte es inständig. Sie wusste nicht warum, aber sie hatte das Gefühl, würde sie Leila nicht bald wiedersehen, würde die Brünette von innen heraus zerbersten! Komisch, bei ihren damaligen Freunden hatte sie dieses Gefühl nie gehabt...
Shen schob den Gedanken an die vergangen Zeiten Beiseite, als ihr Bus ankam. "Belfast City Centre" stand auf der Digitalanzeige des Doppeldeckers und Shen stieg als erste in der kleinen Reihe ein. Sie zeigte ihre Jahresfahrkarte, der Busfahrer nickte kurz und schon setzte sich Shen in Bewegung und ließ sich auf den Platz hinter der Mitteltür fallen. Okay, das war vielleicht der falsche Begriff. Sie setzte sich hin, als hätte sie Angst, der Sitz könnte bei einer zu hastigen Bewegung zerbrechen. Dämlich. Shen gestand sich selbst ein, dass sie verdammt dämlich ausgesehen haben musste.
Aber was sollte sie machen? Ihren Körper so stark belasten, dass die Rippe zersplittert? Danke, aber nein danke. Sie hatte bereits genügend Probleme, da wollte sie nicht noch ihre eigene Gesundheit auf's Spiel setzen.
Nach gut fünfundzwanzig Minuten hielt der Bus im Stadtzentrum und Shen stieg aus. Plötzlich stieg ein komisches Kribbeln in ihrem Magen auf. Sie konnte es nicht beschreiben, das war anders, als wäre sie einfach nur nervös gewesen. Nein, so fühlte Nervosität sich nicht an. Das war etwas anderes. Aber was?
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Ihr verfluchtes Lächeln
Romance[...] Und dann sagte niemand mehr etwas. Sie saßen bloß schweigend an die Mauer gelehnt da, tranken abwechselnd aus der Bierflasche und beobachteten den Sonnenaufgang. Und während sie das taten, stieg in Shen ein lange verschwundenes und so sehr her...