Die rettende Dunkelheit

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Shen und Leila saßen noch drei Stunden auf Leilas Bett, aßen Pizza und Schokolade, hörten Musik und redeten über verschiedene Themen. Von ihren Lieblingsgerichten, zu Filmen, zu Musik. Sie diskutierten darüber, wer der beste Avenger war, warum Superman ein schlechter Superheld war, warum Wälder besser waren als Strände und über viele andere Dinge. Leila wollte nach der Schule Fotografie studieren, während Shen Journalismus oder Psychologie bevorzugte. Es wurde auch mal Zeit, darüber nachzudenken. Immerhin war das das letzte Jahr an ihrer Schule.

Natürlich hatten die beiden öfter als einmal unterschiedliche Meinungen was bestimme Themen anging, jedoch mussten sie nach jedem Thema so lange lachen, dass beiden Mädchen Tränen in die Augen stiegen. Dieser Nachmittag war für Shen wie ein Wellnessurlaub. Eine Erholung von ihrem stressigen Alltag. Aber als Shen um 17:53 Uhr nach Hause kam, war sie doch froh, in ihrem eigenen Bett zu liegen.

Seit ihrem ersten Treffen waren mittlerweile zwei Wochen vergangen. In der Schule hing Leila zwar meistens mit Cassandra ab, aber das war okay für Shen, da Cassie sie seit Leilas Ankommen kaum noch beachtete. Natürlich, sie wurde beim Vorbeigehen immer noch mit ihren mehr als beleidigenden Spitznamen begrüßt, aber körperliche Schäden hatte sie keine mehr abbekommen. Also war Cassandra tatsächlich die Anführerin des Idiotentrupps. Na gut, es wunderte Shen aber auch wenig. Immerhin hatte sie ja überhaupt damit angefangen.

Shen traf sich fast jeden Tag nach dem Unterricht mit Leila und sie erkundeten die Stadt, aßen in Restaurants oder nervten Luke wenn dieser von seinem Unterricht zurückkam. Seine Reaktionen auf ihre Streiche waren unglaublich lustig! Besonders weil Luke nach seinen Ausrastern jedes mal mitlachen musste.

Doch an diesem Tag war Leila krank. Das hatte sie Shen schon am Vorabend per SMS geschrieben. Seit dieser Nachricht hatte Shen ein ziemlich unangenehmes Kribbeln im Magen. Sie wusste, dass Cassandra sich nun wieder voll und ganz auf sie konzentrieren würde. Und damit hatte sie auch verdammt Recht.

Es fing schon am Morgen an. Als Shen aus ihrem Schulbus stieg, regnete es stark und sie beeilte sich, ins Schulhaus zu kommen. Aber so schnell würde sie doch nicht reinkommen. Denn von hinten kam Susan an sie heran, während John, ein rothaariger Durchschnittsschüler der mit Susan zusammen war, ihr von vorne den Weg abschnitt.
"Was willst du?", fragte Shen monoton. Sie hatte sich von Leila abgeschaut, in unangenehmen Situationen keine Reaktion zu zeigen. Das verunsicherte das Gegenüber.

Aber John antwortete nicht. Er grinste nur blöd. Als wolle er irgendjemanden anmachen, hätte aber die Sprache verloren. Und plötzlich spürte Shen zwei Hände an ihrem Rücken, die sie nach vorne stießen. Erschrocken stolperte Shen nach vorne und hätte ihr Gleichgewicht noch halten können, allerdings drückte John vor ihr ihren Körper runter und sie und ihre Tasche landeten in einer nicht gerade kleinen Pfütze.

Sie spürte, wie ihre Kleidung sich voll sog und schwerer wurde und die Haut unter dem Stoff nass und kalt wurde. Eine Gänsehaut machte sich auf ihrem Körper breit. Diese bescheuerte Pfütze musste ja auch fast einen Meter lang und fast dreißig Zentimeter tief sein!

Sofort stand Shen auf und hob ihre Tasche vom Boden auf. Auch diese war nass geworden. Seufzend schlängelte sie sich an den lachenden Schülern vorbei, ging ins Schulgebäude und verschwand auf der Mädchentoilette. Sie schnappte sich ein paar Papiertücher und fing an, die Bücher in ihrer Tasche zu trocknen. Dabei war es Shen schon klar, dass sie die Bücher am Ende des Schuljahres bezahlen musste. Na ganz toll.

Nachdem Tasche und Bücher halbwegs trocken waren, bog Shen nach links ab und ging auf ihren Spind zu. Er war hellgrün, aber ein paar Schüler hatten mit Filzstiften einen Regenbogen darüber gemalt. Für diese Sauerei musste sie zum Glück nicht zahlen, das hatte der Hausmeister ihr versichert.
Sie hatte in der ersten Stunde Chemie und das Geschichtsbuch würde sie heute auch nicht brauchen. Also gab Shen die Pin auf ihrem Spind ein, hörte ein Klicken und wollte gerade die Tür öffnen, als diese von selbst aufsprang und eine Schaumlavine auf Shen geschleudert wurde. Sie schrie erschrocken auf und taumelte gegen die Wand hinter ihr. Wer war das jetzt schon wieder?!

Wütend und beschämt zugleich wischte sie sich den Schaum aus dem Gesicht, ging wieder zu ihrem Spind und tastete nach den Büchern darin. Als sie alle hatte, musste sie feststellen, dass die Rechnung am Ende des Schuljahres höher sein würde, als ihr lieb war. Insgesamt waren jetzt sieben Schulbücher hin!

Shen wusste nicht wie sie reagieren sollte. Zum einen war sie wütend, wollte rumschreien und auf irgendetwas eintreten. Zum anderen hatte sie aber auch Angst vor den Konsequenzen, die ihr Handeln ihr einbringen würde. Ja, sie war einfach ein Angsthase. Das wusste sie.

Plötzlich hörte Shen hinter sich ein Lachen. Sie fuhr herum und sah Sam und Cassandra hinter ihr stehen, die sich dumm und dämlich lachten. Wie konnte man so einen Mist lustig finden?!
Nach einer Ewigkeit in der die beiden lachten und Shen einfach nur mit vor Zorn rotem Gesicht dastand, nahm sie schließlich all ihren Mut zusammen und
sagte: "Lasst mich mit diesem Scheiß gefälligst in Ruhe."

Stille. Niemand sagte etwas. Sam und Cassie hatten aufgehört zu lachen. Shen sah sie einfach nur an ohne sich zu regen. Und dann ertönte Sams Stimme. "Oh, die kleine Shen will sich wehren? Na gut, dann wehr dich!"
Mit diesen Worten schlug er ihr mit der Faust mitten ins Gesicht. Vor Schmerz fiel Shen nach hinten um, knallte mit dem Kopf gegen die Spinde und blieb dann stöhnend und mit Tränen in den Augen liegen.

"Na los! Wehr dich doch! Wo ist denn jetzt die selbstsichere Shen?!", schrie Sam lachend, während er auf Shen eintrat. Doch Shen wehrte sich nicht. Sie tat gar nichts. Lag nur gekrümmt auf dem Boden und wartete auf die erlösende Dunkelheit. Sie nahm mittlerweile alles nur noch in Zeitlupe war. Das einzige, was sie noch hörte war Cassandra, die schrie, er solle aufhören und die Chemielehrerin Mrs. Stone, die empört nach Hilfe schrie. Und dann wurde alles schwarz vor ihren Augen.
Endlich.



1004 Wörter.

Ihr verfluchtes Lächeln Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt