Was ist passiert?

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(Achtung! Aus Leilas Sicht geschrieben!)

Sie sah wirklich schrecklich aus! Ein lila-blaues Auge, ein Verband war um ihre Stirn gewickelt, und in ihrem Arm steckte eine kleine Nadel, die mit einem Schlauch verbunden war, der zu einer Art durchsichtigem Beutel führte. Leila kannte sich mit Medizin überhaupt nicht aus, aber ihr war klar, dass die Flüssigkeit in dem Beutel garantiert kein Wasser war.
Generell war Shen noch blasser als sonst. Dass soetwas überhaupt möglich war!

"Bin ich denn so abstoßend?", fragte Shen leise. Und irgendwie klang sie wie eine Betrunkene. Leila setzte ein besorgtes Lächeln auf und setzte sich auf den Plastikatstuhl neben dem Bett. "Wenn ich ehrlich sein soll...Du siehst furchtbar aus."
Shen lachte kurz, musste dann jedoch schmerzerfüllt Stöhnen und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Nach ein paar Sekunden der Stille sagte sie dann: "Rippenbruch und Gehirnerschütterung sind nicht gerade die besten Freunde wenn es darum geht, Scherze zu machen."

Entgeistert blieb Leilas Blick auf Shens schwaches Lächeln. "Du...du hast dir eine Rippe gebrochen? War das Cassandra?!", fragte sie besorgt und wütend zugleich. Wenn Cass das wirklich getan hatte, würde sie diese kleine Schnäpfe fertig machen!
Shen schüttelte vorsichtig den Kopf. "Sam. Cassandra wollte das gar nicht."
"Sam hat dich verprügelt?"
"Jepp."
"Wann?!"
"Gestern in der Schule."

Stille. Shen hatte aufgehört zu reden und war in einen Halbschlaf gefallen und Leila musste mit der ganzen Situation klarkommen. Sam, der Kapitän der Rugbymannschaft, einer der muskulösesten Jungen der Schule, hatte Shen verprügelt! Eine unfassbare Wut stieg in der Blondine um und sie ballte ihre Hände zu Fäusten, spannte sich am ganzen Körper an. Dafür würden sie beide bezahlen!

"Warum weinst du?", fragte Shen plötzlich.
"Ich weine nicht.", meinte sie nur tonlos.
"Doch. Tust du."
Mit zwei Fingern strich Leila über ihre Wange und tatsächlich: sie war nass. Wie konnte sie nicht merken, dass sie weinte? Und die bessere Frage - Warum weinte sie überhaupt? In Leilas Innerem war keine Trauer zu finden. Nur blinde, gewallte Wut. Also warum weinte sie? Und warum konnte sie nicht aufhören?

Langsam umschlossen Shens Finger Leilas Hand. Sie waren lang und dünn, aber dafür warm und irgendwie weich. "Du sollst nicht wegen mir weinen." Sagte Shen. "Das passt nicht zu dir."
Leila schlug sich ein leichtes Lächeln ab, entspannte sich und lehnte sich mit dem Rücken zurück an die Stuhllehne. Eine Weile sagten sie beide gar nichts. Leila wusste nicht, wie es Shen ging, aber irgendwie genoss sie diesen Moment. Die beiden alleine, lächelten einander an, die Finger ineinander verschränkt. Abgesehen von der Tatsache, dass sie im Krankenhaus waren, war dieser Augenblick einfach perfekt.

"Wie lange wirst du hier bleiben müssen?", fragte die Blondine schließlich.
"Ein oder zwei Wochen. Der Arzt meint, ich muss mich schonen."
Leila nickte. Zwei Wochen ohne Shen in der Schule würden ziemlich langweilig werden. Sie verkniff sich ein Seufzen.
"Ich werd dich jeden Tag besuchen kommen.", sagte sie. Aber Shen antwortete nicht. Der Griff um ihre Hand hatte sich ebenfalls gelöst. Für einen kurzen Moment hatte Leila Angst um ihre Freundin, aber ein Blick auf die Pulsanzeige, verriet, dass sie eingeschlafen war. Leila lächelte, stand vorsichtig auf und ging aus dem Zimmer.

Als sie die Tür öffnete, schreckte sie auf. Vor ihr standen Mom und Luke. Sie hatte total vergessen, dass die beiden da waren!
"Und? Wie geht's ihr?", fragte Luke. Sein Gesichtsausdruck war besorgt. Auch ihre Mutter sah keines Falls entspannt aus.
"Gehirnerschütterung und gebrochene Rippe. Aber sonst geht's ihr gut.", sagte die Blondine ernst, auch wenn der zweite Satz eher ironisch gemeint war. Natürlich ging es Shen nicht gut! Und plötzlich fielen ihr wieder Cassandra und Sam ein. Erneut stieg eine unfassbare Wut in Leila auf. Sie atmete kurz tief durch und merkte dabei, wie sehr der Gang nach Desinfektionsmittel roch. Dann holte sie ihr Handy aus der Hosentasche, tippte ihren Code ein und schrieb dann Cassandra:

Hey, hast du ne Ahnung wo Sam ist? LG, Leila
Er ist bei mir. Wieso fragst du? ,Cass
Nur so. Vergiss es. Bis dann.
Bye.

Perfekt. Dann konnte sie ja gleich beide anschnauzen! "Kannst du mich zu Cassandra fahren?", fragte sie Mom. Diese legte verwirrt den Kopf schief.
"Warum zu Cassandra?", fragte sie.
"Erzähl ich dir im Auto."
Mom nickte skeptisch und lief dann los. Leila ihr hinterher. Sie hörte Luke noch sagen: "Ich bleib bei Shen!" und war dann schon um die Ecke gebogen.

Eine Viertelstunde später stand Leila vor dem Wohnhochhaus, in dem Cass wohnte. Sie bedankte sich bei ihrer Mom und betätigte dann den Klingelknopf. Ein leises Surren war zu hören und dann ertönte eine Stimme in der Freisprechanlage: "Wer ist da?"
Das war Cassies Vater. Er hieß Thomas. Leila kündigte sich kurz an, dann summte es und die Tür ging auf. Schnell stieg sie hoch in den dritten Stock und ging durch die bereits geöffnete Tür in die Wohnung. Vor ihr standen Sam and Cassandra. Sie beide hatten zerzauste Haare und Leila sah bereits jetzt den leichten Abdruck eines Knutschflecks an Cassies Hals. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was die beiden den Tag über noch so vorhatten!

"Hey, Leila. Brauchst du was?", fragte Sam gespielt freundlich. Aber sie war schlau genug um zu erkennen, dass er sie möglichst schnell wieder loswerden wollte.
Leila blickte kurz zu der verwirrt dreinblickenden Cass und sagte dann mit völlig emotionsloser Stimme: "Was habt ihr mit Shen gemacht?"
Stille.


894 Wörter.

Ihr verfluchtes Lächeln Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt