Von Missgeschicken und Kaffee

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Mit schnellen Schritten lief Shen über die Straße, schlängelte sich an Geschäftsheinis mit ihren dämlichen Aktenkoffern vorbei, schubste kleine Kinder zur Seite die keinen Platz machen wollten und grüßte die ältere Dame am Milchshakestand, bei der sie sich morgens und nach der Schule normalerweise einen holte. Aber dafür hatte sie heute früh leider keine Zeit. Ihr Bus würde in zwei Minuten kommen und Shen hasste ihre Schule zwar, allerdings hasste sie es noch mehr, zu spät zu kommen. Sie wollte denen in ihrer Schule so wenig Gründe wie möglich geben, sie fertig zu machen.

Während Shen also hätzend durch die Straßen ging und währenddessen auf ihre hastig angezogene Armbanduhr starrte, die sie in der Schule abnehmen musste um sie behalten zu können, bemerkte sie das Mädchen das ihr entgegenkam nicht.

Und es kam wie es musste - ein Zusammenstoß. Vor Schreck ließ Shen ihre Tasche fallen und der Inhalt dieser flog auf den Bordstein. Die andere Jugendliche verlor den Eiskaffee, den sie in die Hand hielt und der Inhalt von genau diesem leerte sich auf Shens Oberteil aus.

"Scheiße!", rief Shen geschockt und wütend zugleich. Sie konnte nur nicht einschätzen, ob sie auf sich oder das andere Mädchen gegenüber von ihr sauer war. Langsam sah sie an sich hinunter - und musste feststellen, dass nicht nur ihr Top besudelt war. An ihren Haaren klebte der Eiskaffee auch! Sie spürte, wie er auf ihre Hose tropfte. Verdammt! Wieso musste ihr das ausgerechnet jetzt passieren?!

"Oh Gott!", hörte sie das andere Mädchen auf einmal sagen. "Oh nein, das wollte ich nicht! Tut mir wirklich leid!" Mit diesen Worten bückte sie sich und fing an, Shens Sachen aufzusammeln.

Shen starrte perplex auf den Kopf der Jugendlichen. Sie hatte blonde, am Absatz braune Haare und ein türkises Haarband. Dazu war ihre Haut ziemlich gebräunt. Sie kam definitiv nicht von hier. Wahrscheinlich aus Südamerika. Aber darum ging es nun nicht.

Schnell beugte Shen sich runter und half dabei, ihre Sachen wieder in die Tasche zu packen. "Es tut mir wirklich leid!", meinte das Mädchen erneut. Ihre Stimme klang hell, aber nicht schrill. Angenehm sanft. Aber momentan konnte Shen die Peinlichkeit in diesem Mädchen fast aus ihrer Stimme raushören.
"Ist schon in Ordnung. Bin nicht sowieso ich in dich reingerannt?", fragte Shen und versuchte, ruhig zu klingen, was ihr allerdings nicht gelang. Sie atmete schwer und die Wut war doch deutlicher aus ihrer Stimme herauszuhören als sie wollte. Innerlich schlug Shen sich selbst dafür, dass sie ihre Emotionen nicht im Griff hatte.

Als ihre Tasche wieder gepackt war, standen beide Mädchen auf und sahen sich gegenseitig an. Erst jetzt bemerkte Shen, wie hübsch ihr Gegenüber eigentlich war. Ihre sonst glatten Haare hatte das Mädchen an den Spitzen gelockt, ihr Haarband sorgte dafür, dass ihr Seitenscheitel perfekt saß, er aber nicht platt gedrückt aussah. Die Augenbrauen waren leicht nachgefahren, ihr stand das allerdings, da sie nicht zu dünn und nicht zu dick aufgemalt wurden. Sie hatte schmale, kleine Augen, kastanienbraun gehalten. Dadurch, dass ihre Augen kleiner waren, kam der Rest ihres Gesichts gut zur Geltung. Ihre Nase hatte keinen Buckel, die Nasenflügel standen nicht zu weit außen und ihre Nasenspitze war leicht abgerundet, was sie irgendwie niedlich machte. Ihre Lippen waren in ein etwas dunkleres Rosa getaucht, aber Shen war sich sicher, dass das nicht ihre natürliche Lippenfarbe war. Ansonsten waren ihre Lippen schmal und leicht nach vorne gehoben, was ihren Blick irgendwie komplett gleichgültig wirken ließ. Das Kinn war weich abgerundet, lang und schmal, ihre Wangenknochen standen leicht hervor. Shen bemerkte, dass das Mädchen etwa einen halben Kopf kleiner war als sie selbst. Wahrscheinlich war sie ungefähr 1,65 Meter groß. Sie trug eine schwarze Lederjacke und darunter ein weißes Shirt mit einem verschnörkelten Satz darauf, den Shen jedoch nicht ganz entziffern konnte. Die Blondine trug eine hellblaue Jeans, die ihre schlanken Hüften betonte und hatte schwarze Chucks an. Sie wusste nicht was, aber irgendetwas an der Fremden faszinierte Shen.

Plötzlich bemerkte Shen, dass sie eine vollkommen Fremde anstarrte. Schnell wandte sie ihren Blick ab, räusperte sich kurz und sah dem Mädchen wieder in die Augen. "Tut mir leid, dass ich in dich reingelaufen bin.", fing sie an. "Ich war nur unter Zeitdruck und...", mitten im Satz stoppte Shen, sah auf ihre Uhr und weitete die Augen. 7:58 Uhr! Sie hatte ihren Schulbus verpasst!

"Alles in Ordnung?", hörte sie das Mädchen plötzlich fragen und sah wieder zu ihr. Die Blondine hatte ein entschuldigendes Lächeln aufgesetzt und ganz ehrlich, damit sah sie verflucht süß aus.

Dann ergriff Shen wieder das Wort: "Äh..ich...ähm...Danke fürs Helfen, aber ich muss los. Wenn ich den Ersatzbus um 8:05 verpasse, bin ich so gut wie tot!"
Shen war schon losgelaufen, bevor sie den Satz überhaupt zu Ende gesprochen hatte. Größtenteils auch weil sie knallrot im Gesicht war. Dieses Mädchen war so freundlich zu ihr und sie verhielt sich wie eine aufgeblähte Henne!
Während Shen also noch die 200 Meter zu ihrer Bushaltestelle hetzte, hörte sie das Mädchen noch rufen: "Ich bin übrigens Leila!"

Auf Wiedersehen, Leila.



837 Wörter.

Ihr verfluchtes Lächeln Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt