Dienstag war ich ohne ein Buch im Park. Ich hatte nur meinen Schlüssel mitgenommen und einen Regenschirm, den ich um die eigene Achse drehen ließ und meine Runden auf dem Rand des Brunnens lief. Schritt für Schritt ging ich vorwärts, hörte dem Prasseln des Regens auf meinem Schirm zu. Tropfen für Tropfen fiel auf das Plastik, andere fanden ihren Weg auf meine nackten Füße. Mit dem Schirm schützte ich mich nicht vor dem Wasser. Viel mehr ließ ich ihn tanzen, drehte und drehte ihn immer wieder. Dass er mir hin und wieder aus der Hand rutschte und ich das Wetter in vollem Ausmaß zu spüren bekam, störte mich keineswegs. Ich war kein Freund des Regens, allerdings war ich auch nicht aus Zucker.
Aus der Ferne beobachtete man mich. Passanten, die den Park durchqueren mussten oder ihre Hunde ausführten, warfen irritierte Blicke in meine Richtung. Für Fremde musste es unverständlich sein, wie man bei dem Wetter ein Lächeln auf den Lippen tragen und mit seinem Regenschirm so einen Unsinn treiben konnte. Es war womöglich ein Dorn im Auge der Gesellschaft. Sowas machte niemand. Schon gar nicht ein Mädchen in meinem Alter.
Wenn ich daran dachte, breitete sich in mir eine enorme Gleichgültigkeit aus. Die Leute konnten von mir denken was sie wollten. Sie konnten über mich reden. Ich hatte meinen Spaß, tobte mich nach Belieben aus und ließ mich nicht von meinen kindischen Ideen abhalten.
„Ist dir das nicht peinlich?", sprach man mich an. Prompt blieb ich stehen, lehnte die Stange des Schirms an meine Schulter und blickte zu dem sichtbar jüngeren Mädchen hinab, die ein paar Schritte entfernt von mir stand. Ihre Augen waren fest auf mich gerichtet.
„Warum?"
„Naja, dich so aufzuführen." Sie hob ihre Hand und zeigte auf mich. „Schämst du dich nicht?" Es blitzte irgendwo, erhellte den Park, der an diesem Nachmittag besonders dunkel wirkte. Die dunklen Wolken hatten die Sonne abgehalten, den Tag heller zu gestalten.
„Nein. Es macht Spaß. Solltest du auch mal machen." Dann lief ich weiter. Nur ein paar Schritte, bevor es erneut blitzte und meinen Blick auf sich zog. Ich hielt den Schirm noch immer an meine Schulter gelehnt, hielt ihn jetzt noch weiter zurück und legte den Kopf in den Nacken, um eine weite Sicht auf den Himmel zu haben. In der Ferne hörte man das Donnern, das tiefe Grollen, die Antwort auf die hellen Lichter.
Ich fragte mich, ob es den Katzen gut ging und sie das Wetter überstehen würden. Meine Hoffnung war, dass das alte Haus einen sicheren Schutz bot und sie dort einen trockenen Platz gefunden hatten. Sie würden nur krank werden, sollten sie sich bei dem Regen draußen rum treiben.
Das Mädchen entdeckte ich auf einem Weg, wie sie sich immer weiter von mir entfernte. Auch das hier war bloß eine kurze Begegnung, die nichts mit meiner Vergangenheit zu tun hatte. Sie konnte mir nicht helfen. Wieso sprachen mich fremde Menschen an und nicht die, die ich verzweifelt suchte? Ich wollte mich erinnern. Wollte meine Freunde wieder um mich herum haben. Man konnte mich doch nicht ewig alleine zurück lassen. Oder war ich schlichtweg vor meinem Unfall alleine gewesen?
Tränen bahnten sichihren Weg über meine Wangen, vermischten sich mit den Regentropfen auf meinemGesicht. Es war lange her, seit ich die Traurigkeit an mich gelassen hatte.
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Verlust #catalyst500
Teen FictionCarolin hat bei einem Unfall ihre Erinnerungen verloren. Nur ihre Kindheit ist über die Zeit im Krankenhaus zurück gekommen, doch was die letzten Jahre passiert ist, weiß sie nicht. Sie erinnert sich an den städtischen Park, in dem sie schon ihre Ki...