Kapitel 03

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Als ich mittags am Park ankam, war dieser bereits wieder gut besucht. Vor allem die Leute meines Alters schienen sich der Mittagssonne gnadenlos aussetzen zu wollen. Eine größere Gruppe hatte ihre Sachen auf der Wiese verteilt, hatte eine Musikbox dabei und ließen Pop darüber laufen. Um sie herum hatte sich keiner gesetzt. Ich nahm an, dass man sich durch die Gruppe ziemlich gestört fühlte, was ich durchaus verstehen konnte. Andererseits war es schön anzusehen, wie viel Spaß sie untereinander hatten.

Ich ging wie gewohnt zum Brunnen und kletterte auf den Rand. Meine Tasche legte ich neben mir ab, um zuerst mein langes Haar zu flechten, damit es mir nicht im Gesicht herum schwirrte. Es reichte mir bis zu meiner Taille, war durch den Unfall nicht mehr geschnitten worden. Nachdem ich damals aufgewacht war und mein Spiegelbild gesehen hatte, hatte mich das sehr schockiert. Ich hatte eine Schülerin in Erinnerung, die gerade im letzten Jahr ihrer Klasse war. Meine Haare gingen zu dem Zeitpunkt bis zu meinen Schultern. Aber es war klar, dass mein Körper weiter arbeitete, während mein Geist geschlafen hatte.

Minutenlang saß ich auf dem Rand des Brunnen und tat absolut nichts. Ich ließ die Sonne meine nackten Schultern, Arme und Beine verbrennen. Sie färbte meine Haut täglich rot, jedoch bekam ich Dank der Gene meines Vaters keinen Sonnenbrand. Zumindest keinen starken. Spätestens am Morgen war die Färbung wieder weg und meine Haut erhielt von Tag zu Tag mehr braune Farbe, die ich während meines Schlafes verloren hatte. Mittlerweile ging ich wieder als lebender Mensch durch und nicht als Leiche, wie es vor Wochen gewesen war, als ich noch das Krankenhausbett gehütet hatte.

Mir fielen ein paar Jungen auf, die sich an einer Parkbank gegenüber von mir versammelt hatten. Sie redeten offensichtlich über mich, schauten mich hin und wieder an, dessen Blicke ich ganz offen erwiderte. Mit Augenkontakt hatte ich komischerweise keinerlei Probleme, obwohl meine Erinnerungen mir ziemlich deutlich zeigten, dass ich eher zu der schüchternen Sorte gehörte. Das Koma hatte mich wohl verändert. Oder der Erinnerungsverlust.

Allerdings war ich nicht waghalsig genug, um zu ihnen zu gehen und sie anzusprechen. Ein Mädchen zwischen mehreren Jungs konnte nicht gesund sein. Und auf irgendwelche Flirtereien hatte ich absolut keine Lust.

Statt mich mit ihnen weiter zu beschäftigen, zog ich meine Sandalen aus und schob sie in meine Tasche, womit ich aufstand und über den Rand des Brunnens auf die andere Seite schlenderte. Ich blieb noch einen Moment stehen und genoss den warmen Wind, der die Wassertropfen zu mir trug. Meine Augen schweiften über das große Gelände des Parks. Es waren so viele Menschen hier. Irgendwo musste es doch wenigstens eine Person geben, die mich erkannte und mir Vorwürfe für mein langes Verschwinden machen würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich ausgerechnet an diesem Brunnen niemanden treffen sollte, wo dies doch mein Lieblingsplatz war.

Die Lauten Stimmen lenkten meine Aufmerksamkeit zurück zu dem Punkt, wo ich eben noch war. Einer der Jungs bekam gerade eine Faust gegen den Oberarm geschlagen. Sie grölten und lachten und wurden noch lauter, als man sie auf mich aufmerksam machte. Nur einem schien absolut nicht zu gefallen, was gerade passierte. Ihm schien es unangenehm zu sein. Er rieb sich seinen Arm und schaute woanders hin.

„Kinder", murmelte ich und verdrehte die Augen. Ich setzte mich auf den Rand, kehrte ihnen erneut den Rücken zu und holte mein Buch aus der Tasche heraus. 

Verlust #catalyst500Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt