Kapitel 12

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„Nathalie wird noch zur Mörderin, wenn sie hiervon erfährt", schmunzelte ich.

„Du sitzt nur auf meinen Beinen", brummte Markus und hielt die Gitarre vor uns. Statt des Brunnens, hatten wir uns eine Bank gesucht, damit er mir ein paar Akkorde beibringen konnte, wie er es schon seit Monaten tat, wenn er die Zeit fand. „Du gibst die Töne an und ich spiele über die Saiten, okay?"

Ich nickte, legte die Finger der linken Hand auf das schmale Stück der Gitarre. Die Saiten drückten sich in mein Fleisch, würden wieder einen unschönen Abdruck hinterlassen. Aber ich liebte es mit Markus zu spielen. Vor allem, nachdem wir uns eine gefühlte Ewigkeit über Elias und den gestrigen Tag an der Universität unterhalten hatten, sowie über seine Freundin. Es mussten auch schöne Dinge passieren, und die passierten seit meinem Aufwachen schließlich nur mit meinem Pfleger.

Einige Minuten gab ich die Töne vor, während er über die Saiten strich und sie erklingen ließ. Es hörte sich in meinen Ohren furchtbar an, nicht nach einer Melodie, sondern eher nach aneinandergereihten Klängen, die keinen Sinn ergaben. Aber selbst, als wir die Rollen wechselten, wurde es partout nicht besser. Ich hatte den Dreh einfach noch nicht raus, wie man eine Gitarre richtig mit den Fingern streichelte und sie einen mit wunderschönen Klängen belohnte, wie es bei Markus immer der Fall war.

Dennoch genoss ich die Minuten mit ihm, spielte voller Eifer weiter und gab mein bestes. Irgendwann würde ich die Gitarre alleine halten und spielen können. Der Tag würde bestimmt kommen. Ich hatte noch nicht die Hoffnung verloren.

„Okay, okay. Komm, lass mich das jetzt machen", lachte Markus, hielt die Gitarre zur Seite und schubste mich sanft von sich herunter. Ich lachte selber.

An seiner Seite war alles so viel einfacher. Ich vermutete zwar, dass es daran lag, weil Markus und ich uns schon so lange kannten und die meisten Tage zusammen im Krankenhaus verbracht hatten aber ich sah auch die Freundschaft zwischen uns, obwohl neun Jahre zwischen uns lagen. Wir hatten über all die Zeit ein dickes Band geflochten, unsere Beziehung zueinander immer mehr miteinander verknüpft.

„Du singst. Wie im Krankenhaus", verlangte er grinsend.

„Auf keinen Fall! Wir sind nicht alleine!"

„Tu es! Ich mag deine schiefe Stimme, Carolin", zwinkerte er frech. Ohne auf eine weitere Antwort zu warten, spielte er die ersten Töne und zeigte mir, welches Lied es war und ich schon öfters mit ihm gesungen und gespielt hatte. Ich zögerte, was ihn nicht weiter zu stören schien. Er forderte mich stumm mit seinen Augen auf, spielte einfach weiter, bis ich einsetzte. Das tat ich schließlich ergeben, legte meine Hände übereinander auf die Brust und begann zu singen. Meine Augen hielt ich geschlossen, konzentrierte mich nur auf den vorgegebenen Takt und die Melodie und versuchte meine Stimme nicht als zu schräg klingen zu lassen. Es war nicht perfekt, das wussten wir beide. Eine Sängerin konnte ich mit der Stimme nicht werden aber es machte uns beiden Spaß.

Wir zogen mit der Musik die Blicke auf uns, standen im Rampenlicht, was doch sehr beschämend war. Die Leute blieben zwar fern und die Kinder spielten fröhlich weiter, doch blieben wir nicht unbemerkt. Ich wippte etwas zum Takt mit, fühlte mich mit jedem Satz sicherer und sang etwas lauter und deutlicher.

Markus fing meinen Blick sofort auf, als ich meine Augen öffnete. Er hielt den Blickkontakt mit mir, lächelte strahlend, wie ich es anders von ihm nicht kannte. Es war ansteckend. Sein Glück war ansteckend.

Für einen Moment erwiderte ich das Strahlen, war einfach nur froh, die Zeit mit ihm verbringen zu können.

„Ich glaub's einfach nicht! Was soll das, Markus? Gehst du mir mit einem Kind fremd?", kam eine Furie auf uns zugelaufen. Sie beendete den schönen Moment mit ihrem Auftritt, nahm uns die Show und auch das Glück. Das Lächeln wich aus Markus' Gesicht. Meines erstarb ebenfalls.

„Ich kümmere mich darum, Carolin."

Ich nickte verstummt. Einen Schritt ging ich rückwärts, ehe ich mich umdrehte und zum Brunnen ging. Dort erwartete mich die nächste Überraschung. Elias.

Verlust #catalyst500Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt