Kapitel 21

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Weil die Schule überhaupt nichts brachte, außer einer schönen Erinnerung im Kunstraum, brachte Elias mich zurück in die Stadt, wo wir uns in eine Pizzeria setzten und eine Stärkung zu uns nahmen. Wie man uns anschaute, weil wir voller Farbe waren, beachteten wir gar nicht. Elias ging seinen Gedanken nach, ich meinen. Mich hatte das Fotobuch ganz weit weggetragen und mich in einen Abgrund geworfen, aus dem ich nicht in der Lage war, wieder raus zu klettern.

Ich fühlte mich elendig. Die Bilder hatten gezeigt, dass ich Elias, Marcel und Sarah so verdammt nah gestanden hatte. Wir waren richtig gute Freunde gewesen und hatten eine super schöne Zeit zusammen verbracht. Aber ich erinnerte mich an nichts. Nicht an deren Stimmen, deren Aussehen oder die Taten, die wir gemeinsam in der Schule verbrochen hatten. Ich wusste durch Elias' Erzählungen, dass wir mehr als einmal von den Lehrern Ärger bekommen hatten, dass ich durch die drei Freunde aufgeblüht und ein neuer Mensch geworden war. Von dem stillen Mäuschen, zu einer lauten, aktiven Schülerin, die sich von den Ideen der Schulchaoten mitreißen lassen hatte.

Und das waren Sarah, Marcel und Elias gewesen. Sie hatten den Unterricht gestört, waren oft rausgeflogen, mussten nachsitzen und haben die unsinnigsten Sachen gemacht, um ihre Klasse zu unterhalten. Das war, laut Elias, deren Eigenschaften gewesen. So hatten sie getickt. Mich hatten sie bloß in das Boot dazu geholt, wovon ich mich fern gehalten hatte.

Das entsprach meinen Erinnerungen als junges Mädchen, dass ich früher eher eine ruhige Schülerin gewesen war, die niemals Grenzen überschritten und Regeln befolgt hatte. Es erklärte, wieso ich diese drei Freunde zuerst gehasst hatte, als sie der Kunst-AG beigetreten waren und hinterher eine Freundschaft geknüpft worden war.

„Caro, hast du keinen Hunger?", riss er mich aus meinen Gedanken. Ich blinzelte und sah erst auf meinen Teller, worauf noch ein dreiviertel der Pizza lag, dann sah ich ihn an und zeigte ihm ein gequältes, schiefes Lächeln.

„Tut mir leid", wisperte ich. „Du gibst dir so viel Mühe und ich..." Ich brach ab und schüttelte leicht den Kopf. Mein Herz fühlte sich so schwer an. Ursprünglich hatte ich mich auf diesen Tag gefreut, Zeit mit jemandem zu verbringen, der mich kannte und mein Freund gewesen war. Aber jetzt war ich nur noch todunglücklich, wollte am liebsten die Stunden in der Schule auslöschen. Je mehr ich erfuhr, desto trauriger wurde ich. Und das nur, weil meine Erinnerungen nicht zurück kamen.

„Ich werde mir immer so viel Mühe geben", erwiderte Elias bitterernst. „Wenn du nichts mehr von damals hören willst, lasse ich es sein aber ich werde uns nicht aufgeben."

„Uns?", fragte ich irritiert. Das warf mein Herz erneut aus der Bahn.

„Ja, uns", nickte er bestätigend und holte sein Handy hervor, um darin etwas zu suchen.

„Wer bist du, Elias?", fragte ich verstört nach.

„Ich bin Elias, einundzwanzig Jahre jung, ein mittlerweile sehr strebsamer Kerl und dein Freund, Caro", sagte er und legte mir im gleichen Atemzug sein Handy auf den Tisch. Ein weiteres Bild war abgebildet, eines von ihm und mir. „Wir sind wirklich enge Freunde", fügte er hinzu, statt mich in dem Glauben zu lassen, dass zwischen uns viel mehr war, was nicht nur seine vorherigen Worte denken lassen hatten, sondern auch dieses Foto.

Es zeigte mich, wie ich auf seinem Schoß saß, an ihm gelehnt war und meinen Arm um seine Schultern gelegt hatte. Er hatte seine Hände auf meiner Hüfte und meinem Oberschenkel liegen, zeigte ein strahlendes Grinsen, wie ich es so bei ihm noch nicht gesehen hatte. Wir sahen einander an, wirkten so vertraut und glücklich zusammen.

Der Stuhl fiel nach hinten, als ich in meinem Entsetzen aufsprang. Meine Brust fühlte sich an, als würde sie explodieren. Wie sehr musste er verletzt sein? Er gab sich so viel Mühe, versuchte alles in seiner Macht stehende und ich sah ihn noch immer als einen Fremden an. Ich hatte ihn mit meinem plötzlichen Verschwinden verletzt und auch jetzt tat ich nichts anderes.

Meine Welt zersprang wie ein Spiegel in seine tausend Teile. Das Wissen, wie nah wir uns standen, wie alleine er sich gefühlt haben musste und wie sehr er jetzt noch von mir verletzt war, zerbarst mich im Bruchteil einer Sekunde.

Ich stammelte eine Entschuldige, begann in der Pizzeria zu weinen und rannte schließlich davon. Einfach nur weg. Dieser Tag endete unter Tränen.

Verlust #catalyst500Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt