Kapitel 17

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Es war komisch auf dem Gelände einer Schule zu sein. Ich fühlte mich, als hätte ich meinen ersten Tag, dabei sollte ich jeden Winkel kennen. Womöglich waren hier sogar noch Schüler, denen ich früher begegnet war. Man hatte sich zumindest vom Sehen her gekannt. Wenn hier diese Art von Schülern waren, dann wusste ich es nicht. Jede Person lief an Elias und mir vorbei, als existierten wir gar nicht. Sie beachteten uns nicht und waren in die Gespräche mit ihren Freunden verwickelt.

Einige Gruppen standen auf dem Schulhof, unterhielten sich laut und lachten viel. Andere hatten einen Fußball und spielten über dem Hof. Mädchen saßen auf einer Bank und zogen gerade eine neue Schicht Schminke auf oder kicherten hinter vorgehaltenen Händen.

Ich sollte solche Anblicke kennen, sollte das hellgelbe Gebäude kennen, in dem die tausenden Schüler ihre Klassenräume hatten oder auch die Turnhalle, die einige Meter entfernt zwischen ein paar Bäumen stand. Aber ich erinnerte mich nicht, wie es schon gewesen war, als meine Eltern mich hier rumgeführt hatten.

So langsam verlor ich die Hoffnung, mich jemals an die letzten Jahre erinnern zu können.

Elias führte mich in das Schulgebäude. Der blaue Boden, die weißen Wände, nichts kam mir bekannt vor. Er gab sich wirklich viel Mühe, zeigte mir zuerst einen Naturwissenschaftsraum, in dem sich ein Lehrer befand und nicht sehr erfreut über unseren Besuch war. Wir entschuldigten uns zügig, um vor den Fragen des Mannes wegzulaufen.

In den nächsten Raum warf er zuerst einen Blick, bevor er mich hinein zog. Schüler verbrachten ihre Pause in dem Klassenzimmer, musterten uns skeptisch.

„Sorry, ich will meiner Freundin nur etwas zeigen", grinste Elias und zog mich an der Hand durch den Raum. „Hier hat sich nichts verändert. Die Tische stehen noch immer so, wie damals", erzählte er mir, während wir den Augenpaaren der Schüler ausgesetzt waren. Ich erinnerte mich an meine Zeit als jüngeres Mädchen, dort in der Schule hatte man die Tische ähnlich zusammen gestellt. Es war ein großes U und in der Mitte standen noch auf beiden Seiten jeweils ein Tisch.

„Wir sollten wirklich nicht hier sein", begann ich verunsichert.

„Papperlapapp! Wir sind ehemalige Schüler, wir dürfen das", behauptete er. „Das ist meine Klasse gewesen und hier hatte ich meinen Platz. Marcel und Sarah saßen neben mir." Elias zeigte auf die Tische in der hintersten Ecke. Er hatte seinen Platz am Fenster gehabt.

„Wieso war ich mit euch befreundet, wenn ich doch gar nicht in eurer Klasse war?", rutschte es mir heraus. Ich sah mich fast schon eingeschüchtert um. Es war nicht zu leugnen, dass ich mich unwohl fühlte, nicht von meinem Erinnerungsverlust erzählen wollte. Nicht vor diesen Schülerin.

„Das zeige ich dir. Komm mit!" Prompt zerrte er wieder an meiner Hand und eilte mit mir aus dem Klassenraum. Er lief mit mir die Treppen nach unten, zurück in das Erdgeschoss und in den Keller, um dort einen weiteren Raum zu betreten. Seine Schritte waren sicher, als kannte er sich hier nach all der Zeit noch aus. Ich war eifersüchtig auf ihn. Auch ich wollte mich so selbstbewusst durch das Haus bewegen.

„Das ist der Kunstraum", verkündete er grinsend. „Wir haben jeden Donnerstagnachmittag noch AGs gehabt. Du warst auch hier und so haben wir uns kennengelernt. Du hast uns damals ziemlich böse angesehen und ich weiß, dass du uns gehasst hast, weil wir so laut waren. Das hast du mir selber erzählt." In seiner Stimme schwang so viel Begeisterung. Er wirkte so glücklich und hatte diesen verträumten Blick, während er den Raum inspizierte. Im Gegensatz zu mir, konnte Elias sich erinnern, was hier passiert war. Elias konnte sich an die Zeit erinnern.

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