Kapitel 19

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Der Unterricht war wieder im vollen Gange und Elias und ich saßen draußen auf dem Schulhof auf einer Bank. Wir schwiegen uns schon ein paar Minuten an. Seit die Kunstlehrerin preisgegeben hatte, dass sie mich schon so viele Jahre kannte, hatte meine Launen einen Tiefpunkt erreicht. Für Elias selber, der durch meine Reaktion verstanden hatte, was mich so belastete, musste das selbst ein Schock sein. Ich hatte geglaubt, dass es sich bloß um die Zeit im Fachabitur handeln würde und nicht, dass mir die Jahre davor auch fehlten.

Jetzt sah ich aus, als wäre ich in einen bunten Farbeimer gefallen aber Erinnerungen waren nicht zu mir zurück gekommen. All die Schulzeit blieb fort, war anscheinend für immer verloren. Ich hatte meine Hoffnung verloren.

„Erzählst du mir, was in den Ferien passiert ist, Caro?"

„Ich kann mich nicht einmal daran erinnern", hauchte ich deprimiert. „Der Unfall. Wo wir waren. Da ist nichts, woran ich mich erinnern kann. Ich weiß es nur von meinen Eltern und dem Zeitungsbericht, den sie mir gezeigt haben."

„Das reicht mir schon." Er lehnte sich an meine Schulter. Ich lehnte mich zurück an ihn.

„Wir haben unser Auto im Parkhaus des Flughafens gelassen, weil wir ja auch irgendwie wieder nach Hause mussten und ein Taxi war anscheinend keine Option für uns. Der Urlaub soll toll gewesen sein, sagten sie, aber Bilder existieren nicht, weil bei dem Unfall die ganze Elektronik kaputt gegangen ist. Massenkarambolage auf der Autobahn", zitierte ich die Überschrift des Titelblatts der damaligen Zeitung, die meine Eltern für mich aufgehoben hatten.

Ich hörte Elias die Luft scharf einziehen. Er versteifte sich neben mir und ich sah, wie er seine Hände zu Fäusten ballte. Das war Anzeichen genug, dass er von dem Unfall wusste.

„Ein LKW fuhr in einer Kurve auf ein Auto auf und kippte um. Ein weiteres Auto konnte nicht rechtzeitig bremsen und rammte den LKW, geriet ins Schleudern und nahm das nächste Auto mit, das sich mehrmals überschlug. Das war unser Wagen, wie ich von meinen Eltern weiß. Der LKW Fahrer überlebte. Die Insassen, die in dem Wagen saßen, auf den der LKW fuhr, starben sofort. Es war eine fünfköpfige Familie. Die Leute, die im Auto saßen, dass ins Schleudern geraten waren, hatten Glück und wurden nur leicht verletzt. Unser Auto landete auf dem Dach und musste total eingedrückt gewesen sein", erzählte ich leise. Ich zitterte unkontrollierbar, was er an seiner Schulter spüren musste. Aber er unternahm nichts, blieb still und lehnte sich nur etwas mehr gegen mich.

„Mamas Bein war komplett zerstört. Man konnte es nicht mehr retten, also hat man es ihr abgenommen und Papa hatte ein Scheißglück. Er hatte einen offenen Bruch am Bein, ein paar Rippen gebrochen und eine Platzwunde am Kopf, sowie das Nasenbein gebrochen aber ansonsten war ihm nichts passiert. Ich dagegen..." Ich geriet ins stutzen und wagte einen Blick zu meinem Nebenmann. Mein Grün traf gleich auf sein Blaugrün. Er sah mich abwartend und mit einer unbeschreiblichen Intensität an.

„Du musst nicht, wenn du nicht willst", sprach er auf eine liebevolle Art und Weise. Elias zwang mich nicht zum Reden, weil er den Schmerz in meinen Augen sah, weil er die Finsternis in mir sehen konnte.

„Dann... will ich nicht...", presste ich heraus. Ein weiteres Mal befand ich mich in seinen Armen wieder, konnte einmal mehr sein Parfüm einatmen und seinem Herzschlag lauschen.

Verlust #catalyst500Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt