Kapitel 31

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Wir waren zum Park gefahren, hatten uns auf den Rand des Brunnens gesetzt und redeten über Gott und die Welt. Es diente einzig zum Zeitvertreib und lenkte von dem eigentlichen Gespräch ab, welches uns bevor stand. Elias und ich wussten, dass wir miteinander reden mussten. Unsere Vergangenheit musste besprochen und geklärt werden. Mittlerweile machte er kein Hehl mehr daraus, dass er in mir mehr sah. Er suchte gezielt meine Nähe, hielt bei jeder Gelegenheit meine Hand.

Vielleicht war ihm nicht entgangen, wie ich mich im Freizeitpark gefühlt hatte.

Vielleicht wusste er um meine Gefühle Bescheid.

Ich sah ihm schon minutenlang zu, wie er meine Hand auf seinem Bein hielt und mit seinem Daumen zärtlich darüber strich. Er malte kleine Kreise auf meine gebräunte Haut, malte das Unendlichkeitszeichen, wobei ich mir nicht sicher war, ob es nicht eine einfache Acht war, dessen Bedeutung gleich null war. In meiner Verfassung bildete ich mir viel ein.

Was ich mir allerdings nicht einbildete, war mein schneller Herzschlag, der nur seinetwegen dermaßen außer Kontrolle geraten war. Ich fühlte mich neben ihm ohnmächtig, überwältigt von seiner Ausstrahlung, die mich so in Besitz nahm. Seit ich mir bewusst gemacht hatte, dass ich mein Herz an diesen Jungen verloren hatte, war ich wie paralysiert. Smalltalk fiel mir schwer und der Augenkontakt war kaum noch möglich. Dauernd sah ich beschämt zur Seite und wurde rot. Ich konnte seinem Blick nicht mehr standhalten, konnte ihn nicht mehr als Fremden betrachten.

Plötzlich war er jemand, dem ich näher kommen wollte. Ich wollte ihn berühren, durch seine schwarzen Haare mit meinen Fingern streichen und ihn küssen. Ich wollte Elias so sehr küssen. Von seinen starken Armen gehalten werden, seine Lippen schmecken. In meinem Kopf herrschte das reinste Kopfkino und schaltete sich nicht mehr ab.

Elias sah mich nicht mehr an, verfiel ins Schweigen und hatte einen verträumten Blick, während er einzig auf meine Hand schaute. Ich konnte ein winziges Lächeln erkennen und von der Seite sah ich, wie intensiv das Blaugrün seiner Augen leuchtete. Er musste mit seinen Gedanken gerade woanders sein.

Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Sollte ich meine Fragen aussprechen? Ihn auf unsere gemeinsame Vergangenheit ansprechen? Wollte ich mehr von ihm und mir erfahren? Ich war mir unsicher, ob es richtig gewesen wäre, ihn nach unserem allerersten Date zu fragen, ihn nach dem Tag zu fragen, als wir ein Paar geworden waren. Eigentlich war ich mir total unschlüssig, ob ich das alles überhaupt wissen wollte. War dies denn nicht ein Neuanfang? Sollte ich meinen Erinnerungsverlust nicht als eine Art Blackout akzeptieren und mir neue Erinnerungen machen? War das denn so einfach, wie es sich in meinem Kopf anhörte? Immerhin kannte Elias mich, während ich nichts von ihm wusste, bis auf die Tatsache, dass mir sein Parfüm aufgefallen war und ich mich an die Situation im Riesenrad erinnern konnte.

„Elias, deine Worte..." Ich biss mir auf die Unterlippen, griff mit der Hand in den Stoff meiner Short.

„Hm? Welche Worte?" Er drehte seinen Kopf zu mir und ich errötete, sobald sich unsere Augen trafen. Es war Zwang, mich nicht wegzudrehen, was ich am liebsten getan hätte.

„Auf dem Kettenkarussell. Waren das die Worte... von damals?", stammelte ich.

„Ja." Mehr sagte er dazu nicht. Elias umfasste meine Hand auf seinem Bein fester, ließ sie mich nicht wegziehen. Das war nicht, was ich hören wollte. Mich verletzte es ungemein, dass er mir nicht gesagt hatte, dass sie noch heute dieselbe Bedeutung hatten. Ich war regelrecht enttäuscht.

„Oh", glitt es über meine Lippen. Der Unterton war herauszuhören. Mein Blick sprach Bände. Er verstand es und sprang vom Brunnen herunter, stellte sich vor mich.

„Heute bin ich es, der gleich durchdreht."

Verlust #catalyst500Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt