Chaos wohin das Auge reicht

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I O L A N A

Wenn ich die Augen schloss und an meinen Bruder Ikaika dachte, kam mir zuerst ein ganz bestimmtes Erlebnis mit ihm in den Sinn. Ich war fünf Jahre alt gewesen und er hatte mir das Surfen beigebracht. Dafür waren wir in eine kleine Bucht mit winzigen Wellen gegangen und er hatte das Board total festgehalten, weil er Angst hatte, dass ich mir weh tun würde. Aber schon nach kürzester Zeit bemerkten wir, dass ich ein Naturtalent war. Noch heute hallte mir Ikaikas schallendes Lachen in den Ohren, als ich ihn mit kindlichen Argumenten davon zu überzeugen versuchte, mit mir zu richtigen Wellen zu fahren. Leicht lächelnd öffnete ich die Augen wieder und sofort wurde meine Miene ernst. Ich war nicht mehr fünf Jahre alt und mein Bruder war offensichtlich nicht mehr der, den ich mal gekannt hatte. Mühsam schluckte ich den Kloß in meinem Hals herunter und versuchte mich wieder auf den Unterricht zu konzentrieren. Glücklicherweise waren es nur noch wenige Minuten und dann war endlich Wochenende. Das konnte ich dringend brauchen, denn die Schule ließ mir kaum Zeit, mein riesiges Gefühlschaos zu ordnen. Nicht nur die Tatsache, dass Ikaika wieder aufgetaucht war, nagte an mir. Ich hatte auch immer noch keine Ahnung, was da jetzt zwischen Nahele und mir war, denn seit einiger Zeit fühlte ich mich immer komischer, wenn er in meiner Nähe war. Außerdem verhielten Kono und Adam sich irgendwie seltsam, aber ich traute mich nicht, sie darauf anzusprechen. Seufzend schrieb ich die Hausaufgaben von der Tafel ab, dann klingelte es endlich und das allgemeine Rascheln und Einpacken begann. Ich beeilte mich, sodass ich als eine der ersten den Raum verließ. Vor der Tür wartete schon mein bester Freund auf mich und lächelte mich vorsichtig an. "Hey, die anderen warten schon am Eingang." Ich nickte bloß und folgte Nahele durch die Schülermassen hindruch aus der Schule. Neben dem großen Eingangstor standen Kensi und Drew, die anderen kamen ebenfalls gerade an. Wir begrüßten uns mit Handschlägen, dann machten wir uns auf den Weg zum Shrimp-Truck. Als wir an einer Kreuzung auf das Umschalten der Ampeln warteten, schaute ich mich um und erstarrte. Erschrocken blinzelte ich und rieb mir die Augen, als ich wieder schaute war nichts zu sehen. Hatte ich jetzt schon Halluzinationen? Aber ich hatte ihn doch ganz sicher gesehen! Ohne ein Wort zu sagen, drehte ich mich um und rannte los. Als ich an der Stelle stand, wo ich ihn eben noch gesehen hatte, schaute ich mich suchend um und entschied mich, nach links zu laufen. Doch auch nach zwanzig Minuten, in denen ich jede erdenkliche Seitenstraße abgesucht hatte, hatte ich ihn nicht gefunden. Niedergeschlagen ließ ich den Kopf hängen, als mich plötzlich jemand am Handgelenk packte und gegen eine Hauswand knallte. Ich stöhnte schmerzerfüllt auf, als mein Kopf gegen den Beton stieß, doch mein Gegenüber interessierte sich dafür offensichtlich herzlich wenig. Krampfhaft hielt ich meine Tasche fest, die der Fremde mir entreißen wollte, wobei meine Hand ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Parallel versuchte ich verbissen mich zu wehren und irgendwie hier wegzukommen. Für Hilfeschreie war ich zu weit von den nächsten Häusern entfernt, ich war auf mich allein gestellt. Das dachte ich zumindest, bis mein Gegner plötzlich von mir weggerissen wurde. Erleichtert stolperte ich los, dann begriffen meine Beine, dass ich losrennen konnte und taten es. Keuchend blieb ich zehn Minuten später stehen und stützte mich auf meinen Knien ab, dann blinzelte ich und schaute zurück. Vielleicht hatte ich wirklich Halluzinationen, aber ich hätte schwören können, dass ich den Geruch meines Retters kannte. Er war mir vertraut, aber woher- Mir stockte der Atem. Ikaika! Ganz sicher! Unsicher und verwirrt über meine Gefühle stolperte ich langsam in Richtung des Shrimp-Trucks. Ich brauchte eine ganze Weile, bekam von meinem Weg aber kaum etwas mit, weil ich in Gedanken versunken war. Erst, als ich in starke Arme gezogen wurde, wachte ich aus meiner Trance auf. "Verdammt, sei nie wieder einfach weg! Ich hab mir solche Sorgen gemacht." Es war Nahele, der da erstickt flüsterte, während ich das Gefühl hatte, er wolle mir die Luft abdrücken. "Es tut mir Leid, wird nicht wieder vorkommen." Ich schluckte und löste mich von meinem besten Freund, woraufhin ich direkt von Kensi umarmt wurde. Ich ließ alles über mich ergehen und konnte meine Freunde dann davon überzeugen, dass ich einfach zu verträumt gewesen und falsch abgebogen war. Nahele wirkte zwar sehr skeptisch, aber das ignorierte ich so gut wie möglich. Dann gönnten wir uns alle zusammen eine riesige Portion Shrimps und gingen anschließend surfen. Ich versuchte so gut wie möglich, nicht mehr an Ikaika zu denken und es fiel mir gar nicht mal so schwer, weil ich mich viel mehr darauf konzentrieren musste, meine Gedanken im Bezug auf Nahele zu sortieren. Vorhin bei der Umarmung war ich noch zu verwirrt gewesen, aber wenn ich jetzt daran dachte, kribbelte es überall. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen, während ich meinen besten Freund beim Herumalbern mit Keo beobachtete. Neben mir erklang ein Kichern und ich schaute überrascht zur Seite, wo Kensi mich grinsend musterte. "Was ist los?" Sie zog eine ihrer dunkelblonden Augenbrauen hoch und grinste noch mehr. "Dich hat's total erwischt?" "Hä? Was meinst du?" "Du bist in Nahele verknallt." "So ein Quatsch!" "Ach ja? Dann bringt der bloße Gedanke an ihn dein Herz also nicht zum schneller Schlagen oder ein verzaubertes Lächeln auf deine Lippen?" Ich spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss, weil Kensi Recht hatte. "Ist das so auffällig?" "Oh ja, und wie. Du solltest es ihm sagen." "Aber wenn er es nicht erwidert?" "Glaub mir, das tut er. Er ist mindestens genauso auffällig wie du." "Aber vielleicht fühle ich mich ja nur zu ihm hingezogen, weil er mich von der Straße gerettet hat." "Das ist eine billige Ausrede und das weißt du selbst. Wenn du es ihm nicht bald sagst, lasse ich mir was einfallen und das willst du doch nicht, oder?" An ihrem Tonfall merkte ich, dass ich jetzt besser den Kopf schütteln sollte. Meine beste Freundin lächelte zufrieden und knuffte mich in die Seite. "Ich freu' mich für dich. Du musstest so viel durchmachen, da hast du dir dieses Glück wirklich verdient."

You're my home (Hawaii Five-0 FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt