Dem Glück so nah

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I O L A N A

"Lass mich los! Bitte Mum, bitte hör auf! Nein, du tust mir weh! Daddy, hilf mir!" "Hey, Iolana, wach auf! Es ist alles okay, du träumst nur!" Mit einem heftigen Ruck riss ich die Augen auf und starrte Adam an, der halb über mich gebeugt war und mich besorgt musterte. Mein Atem ging noch immer schnell und hektisch, weshalb mir Kono, die hinter ihrem Mann stand, eine Plastiktüte reichte. Ich hielt sie mir vor Mund und Nase und bemühte mich, wieder ruhig zu werden. Als ich schließlich nicht mehr zitterte und meine Atmung sich stabilisiert hatte, spürte ich Scham. Es war nicht das erste Mal, dass ich Kono und Adam durch meine Albträume weckte. Schon seit fast einer Woche lebte ich bei ihnen und jede Nacht mussten sie mich wecken und beruhigen. Vorsichtig schaute ich die zwei an. "Es tut mir Leid." "Was tut dir Leid?" "Dass ich euch schon wieder den Schlaf raube." "Das muss dir doch nicht Leid tun, es ist alles okay." Adam drehte sich kurz um und legte Kono eine Hand auf den Arm. "Geh wieder ins Bett Schatz, ich komme dann nach." Die Brünette nickte und verließ mein Zimmer, nachdem sie noch einmal fest meine Hand gedrückt hatte. Adam strich mir eine verschwitzte Haarsträhne aus der Stirn und musterte mich einfach nur. "Du hast wieder von früher geträumt, stimmt's? Von deinen Eltern?" Ich nickte schwach, während mir langsam bewusst wurde, wie nah Adam mir war und dass wir alleine in meinem Zimmer waren. Aber komischerweise war es gar nicht so schlimm. Adam war mittlerweile kein Fremder mehr, weshalb ich ihm nahezu vollständig vertraute. "Wollen wir nach unten auf die Terasse gehen? Dann bekommst du ein bisschen frische Luft", schlug der Dunkelhaarige vor und ich nickte. "Aber ich gehe vorher noch kurz duschen, wenn das okay ist." "Na klar. Wir sehen uns gleich unten." Er stand auf und verließ mein Zimmer, während ich mich erstmal aus meiner Bettdecke schälen musste, bevor ich ins Badezimmer tapste und unter die Dusche stieg. Das kühle Nass auf meiner Haut tat unglaublich gut und als ich mich schließlich schon etwas fitter und nicht mehr verklebt fühlte, trocknete ich mich ab und holte mir aus meinem Zimmer Unterwäsche, ein Top und eine dünne Jogginghose. Obendrüber zog ich einen leichten Cardigan, den Kono mir vor zwei Tagen geschenkt hatte, dann schlüpfte ich in meine Hausschuhe und lief nach unten. Adam hatte sich ebenfalls eine lange Hose anstelle seiner kurzen angezogen und saß bereits auf der Terasse. Ich ließ mich im Schneidersitz neben ihm auf der Lounge-Garnitur nieder und griff nach einem der beiden Wassergläser auf dem Tisch, um einen Schluck zu trinken. Adam beobachtete mich dabei und lächelte leicht, bevor sein Blick wieder nach vorne ging. "Möchtest du darüber reden?" Ich schluckte und zuckte die Schultern. "Keine Ahnung." "Versuch es einfach. Ich hör dir zu." Ich seufzte leise, bevor ich ihm von meinem Traum zu erzählen begann. Wie meine Mutter meinen Vater und mich geschlagen hatte, wie sehr es weh getan hatte, als ich zusehen musste, wie Dad gegen den Schrank knallte und leblos am Boden lag. Es tat gut, sich das alles mal von der Seele zu sprechen und Adam unterbrach mich nicht, sondern hielt die ganze Zeit Blickkontakt und drückte ab und zu meine Hand. Als ich geendet hatte, hatte sich ein dicker Kloß in meinem Hals gebildet und ich schaute Adam hilflos an. "Ich hasse es, dass ich damals nichts tun konnte, mich nicht verteidigen konnte, meinen Vater und meinen Bruder nicht verteidigen konnte. Erst auf der Straße habe ich gelernt, wie man kämpft und den Kopf über Wasser hält, aber da war es schon zu spät. Und jetzt habe ich niemanden mehr, ich hab keine Familie mehr." Die ersten Tränen liefen mir über die Wangen und aus einem Instinkt heraus rutschte ich zu Adam und lehnte mich an ihn. Er wirkte erst überrascht, legte dann aber seine Arme um mich und strich mir sanft über den Rücken. Und in diesem Moment wurde mir bewusst, dass er es innerhalb einer Woche geschafft hatte, sowas wie ein Vater für mich zu werden. Ein leichtes Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, dann löste ich mich von ihm und wischte mir mit dem Ärmel des Cardigans über die Augen. Adam strich mir eine letzte verirrte Träne von der Wange, bevor er mich eindringlich anschaute. "Du hast eine Familie. Du hast Nahele, Kono und mich, alle anderen von Five-0, Kamekona und Flipper, Max und Sabrina. Du bist nicht mehr allein, du musst nicht mehr alleine kämpfen. Du hast jetzt eine ganze Allianz hinter dir, die dir den Rücken stärkt." Bei seinen Worten wurde mein Lächeln noch ein klein wenig breiter, dann legte ich mich hin, sodass mein Kopf auf Adams Schoß lag und schloss die Augen, während er mir sanft durch die Haare fuhr. Und irgendwann breitete sich die Geborgenheit so weit in mir aus, dass ich einschlief.

Solche Momente mit Adam, aber auch mit Kono, wurden häufiger. Oft saßen wir auch einfach abends noch eine Weile zu dritt auf der Terasse, redeten, schwiegen oder spielten Gesellschaftsspiele. Ich lernte ein völlig neues Gefühl kennen, dass ich so nur von früher mit meinem Dad und Ikaika kannte. Es war das Gefühl von Familie mit allem, was dazu gehörte. Doch diese glückliche Blase zerplatzte, als es eines Morgens klingelte und ich verschlafen die Tür öffnete. Eine Frau und ein Mann standen davor, beide sehr elegant gekleidet und jeweils mit einem Klemmbrett und einer Aktentasche bewaffnet. "Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?", erkundigte ich mich und ließ meinen Blick kurz an mir herunter gleiten, um zu bemerken, dass ich furchtbar aussah, weil ich noch meine Schlafsachen trug, die aus einer geblümten Hose und einem schwarzen Top bestanden. "Sind Sie Iolana Aikamiki?" "Ja, wieso?" "Ich bin Lauren Grubbs vom Jugendamt, das ist mein Kollege Evan Palmer. Packen Sie bitte Ihre Sachen, damit wir Sie in ein Heim bringen können." "Was? Nein! Ich geh nicht ins Heim!" Durch meine laute Stimme wurden Kono und Adam alamiert und erschienen im nächsten Moment hinter mir. "Gibt es ein Problem?" "Dieses Mädchen wohnt illegal bei Ihnen, es ist unsere Aufgabe, sie in ein Kinderheim zu bringen." "Ich will aber hierbleiben!" "Das steht nicht zur Debatte. Und jetzt packen Sie bitte schnell Ihre Sachen." Die nächste Stunde bekam ich nur in Trance mit. Kono hatte mir beim Packen geholfen und versprochen, dass sie etwas unternehmen würden, dann hatte mich Mr Palmer vom Jugendamt auf den Rücksitz eines Wagens gedrückt und wir waren losgefahren. Und jetzt stand ich neben einem Mann in Jeans und Hemd und vor einer Gruppe von Mädchen, die ungefähr in meinem Alter waren. "Alle mal herhören bitte! Das ist Iolana. Sie wird ab heute in eurem Trakt wohnen, also seid nett und helft ihr am Anfang ein wenig." Mit diesen Worten ließ er mich alleine und ich wurde sofort von kichernden Mädchen umringt, die alles über mich wissen wollten. Wie konnten die hier nur glücklich sein? "Ich war schonmal hier, also müsst ihr mir nichts zeigen und jetzt hätte ich gerne meine Ruhe", erklärte ich mit kalter Stimme, bevor ich mich durch die Gruppe quetschte und auf das Zimmer zusteuerte, das man mir zugeteilt hatte. Dort schmiss ich mich auf mein Bett und kramte in meinem Beutel nach meinen Fotos. Eines mit Nahele, das wir letzte Woche am Strand gemacht hatten und eines mit Kono und Adam auf der Terasse. Und während ich versuchte, jedes Details der Bilder in mein Gedächtnis einzubrennen, liefen die ersten Tränen über meine Wangen.

You're my home (Hawaii Five-0 FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt