Der erste Tag

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I O L A N A

Ein letztes Mal atmete ich tief durch, dann schob ich den Träger der Tasche auf meiner Schulter zurecht und betrat durch das große Tor den Schulhof. Ich hatte letzte Nacht kaum geschlafen und war so nervös wie noch nie. Neben mir hörte ich ein Keuchen und drehte mich überrascht um. Dann erschien ein Grinsen in meinem Gesicht. Nahele stützte sich völlig außer Puste auf seinen Knien ab und versuchte mir ein Lächeln zu schenken. "Sorry, ich- bin- zu- spät-los- gefahren", brachte er unterbrochen hervor und ich zuckte nur die Schultern. "Immerhin bist du jetzt da. Zeigst du mir wo Raum 2.19 ist?" "Na klar, komm." Er wischte sich lässig die verwuschelten Haare aus der Stirn, dann liefen wir los. Mein Klassenzimmer befand sich im zweiten Stock und Nahele ließ mich davor alleine stehen, da er jetzt einen anderen Kurs hatte. Angespannt klopfte ich an und trat ein. Sofort lagen alle Blicke auf mir. "Ah, Sie müssen die neue Schülerin sein." Ich nickte vorsichtig, woraufhin die Frau mittleren Alters vor mir, mich noch freundlicher anlächelte. "Am besten erzählst du kurz etwas zu dir, dann kannst du dir einen Platz suchen." Ich biss mir auf die Unterlippe, dann drehte ich mich zur Klasse. "Ich heiße Iolana Noshimuri, bin 17 Jahre alt und mache dieses Jahr hoffentlich hier meinen Abschluss." Das musste reichen, also huschte ich in die dritte Reihe und schob mich neben eine hübsche Blondine, die mich freundlich musterte. "Hey, ich bin Kensi." "Iolana." So langsam fiel ein Teil der Anspannung von mir ab und ich holte schnell meine Sachen für Mathe aus der Tasche. Unsere Lehrerin war unheimlich nett, wie ich in den nächsten eineinhalb Stunden feststellte. Sie schaute während der Aufgaben regelmäßig bei mir vorbei, was auch gut war, da ich in Mathe doch einiges aufzuholen hatte. Als ich nach der Stunde den Raum verließ, wartete Nahele schon davor. Neben ihm standen drei andere Jungen und mir fiel sofort auf, wie viele Mädchen um mich herum ihre Blicke kaum von dem Quartett lösen konnten und die ganze Zeit kicherten. Ich musste mir ein genervtes Stöhnen verkneifen. Wieso hatte Nahele mir nicht erzählt, dass er einer dieser Typen war, die von der gesamten Schule angehimmelt wurden? Vorsichtig näherte ich mich den Vieren und blieb dann etwas unschlüssig vor ihnen stehen. "Jungs, das ist Iolana. Lani, das sind Keo, Drew und Aniani." Die drei schlugen alle mit mir ein, dann mischten wir uns ins Getümmel der Schüler, die ans Freie wollten. Als wir schließlich auf dem Schulhof angekommen waren, atmete ich dankbar die frische Luft ein. So viele Menschen in einem Raum war ich einfach nicht gewohnt. Entspannt ließ ich den Blick schweifen und entdeckte Kensi. Sie saß alleine auf einer Bank und laß ein Buch. Nahele, der meinem Blick offensichtlich gefolgt war, seufzte leise. "Kensi war letztes Jahr noch total beliebt und die beste Freundin von den beiden Mädchen dadrüben." Er deutete auf zwei kichernde Brünetten, die Keo beobachteten. "Was ist passiert?" "Die Wahrheit kennen vermutlich nur die drei. Aber am vorletzten Schultag vor den Ferien muss irgendwas passiert sein, denn am letzten Tag haben sie schon einen Sicherheitsabstand von zwanzig Metern gehalten." "Und die Gerüchteküche brodelt seitdem gewaltig", mischte sich jetzt auch Aniani in unsere Unterhaltung ein. "Tatsächlich?" Er und Nahele nickten. "Manche glauben, Kensi wäre ihren Freundinnen zu arrogant geworden, andere sind sich sicher, dass Kensi etwas mit Neylas Bruder Kimo hatte, sie sich getrennt haben und sie das so schlecht verkraftet hat, dass sie auch dessen Schwester nicht mehr ertragen konnte." "Und was glaubt ihr?" Nahele seufzte. "Das Letzte stimmt auf jeden Fall nicht. Kensi ist nämlich in jemand ganz anderen verliebt, was aber niemals klappen wird. Also wird es wohl ihr Geheimnis bleiben." "Woher weißt du, in wen sie verliebt ist?" "Ich war mal eine Weile ziemlich eng mit ihr, bis sie praktisch nur noch mit Neyla und Benice unterwegs war. Und da hat sie mir gestanden, dass sie Gefühle für Drew hat." Naheles Stimme war zum Ende hin leiser geworden und er warf schnell einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass genannter ihn nicht gehört hatte. Aber darum musste er sich gar keine Sorgen machen, denn Drew flirtete gerade heftig mit einem Mädchen mit rotgefärbten Haaren und Absätzen bis in den Himmel. Deprimiert drehte ich meinen Blick wieder zu Kensi. "Die Arme. Sie hat sich in einen Playboy verliebt." "Nicht in irgendeinen", korrigierte Aniani mich, "sondern in den schlimmsten. Drew entspricht absolut dem Klischee und egal wie oft wir versuchen ihn darauf anzusprechen, er blockt immer ab. Dabei war er in der Grundschule selbst in sie verknallt." Diese ganzen Informationen musste ich erstmal verdauen, aber in einer Sache war ich mir sicher. "Ich werde jetzt zu ihr gehen. Sie ist sonst so allein. Und sie zeigt mir nach der Pause bestimmt auch den nächsten Raum." Nahele nickte lächelnd. "Tu das. Ich hab jetzt frei und dann erst wieder später Schule. Wer holt dich ab?" "Kono wollte das machen. Zumindest, wenn kein neuer Fall reinkommt." "Alles klar, dann bis später." Nahele zog mich in seine Arme und drückte mir einen Kuss auf den Scheitel, dann klatschte ich mit Keo, Drew und Aniani ab und lief zu Kensi. Sie entsprach in gewisserweise dem Klischee der wunderhübschen Surferin. Ihre Haut war braungebrannt und die blonden Haare wurden durch einen lockeren Dutt obengehalten. So offenbarte sie eine helle Linie um ihren Nacken, die sie wohl einem Bikini zu verdanken hatte. Das hellblaue Top und die weiße Hotpants brachten athletische Arme und Beine zum Vorschein und die Nägel ihrer gepflegten Füße waren passend zu ihren Sandalen lackiert. Ich konnte absolut verstehen, dass sie im letzten Jahr zu den Beliebten gehört hatte. Als ich bei ihr angekommen war, hob sie zuerst gar nicht den Kopf, weshalb ich mich vernehmlich räusperte, damit sie mich bemerkte. Sofort schenkte sie mir wieder ein strahlendes Lächeln. "Hey, äh- Iolana, richtig?" "Genau. Kann ich mich zu dir setzen?" "Natürlich. Aber ich hab vorhin gesehen, dass du ein paar Jungs vor dem Klassenzimmer getroffen hast. Wollten die dich nicht mehr bei sich haben?" "Ich kenne nur Nahele, die anderen drei hab ich heute zum ersten Mal getroffen. Und die wollen bestimmt auch mal über irgendwelchen Jungs-Kram quatschen. Außerdem hab ich dich hier sitzen sehen und dachte, ich könnte dir Gesellschaft leisten." "Das ist wirklich nett von dir. Wieso kommst du eigentlich erst jetzt auf die Schule? Eine Woche nach Schuljahresbeginn?" Ich schluckte. "Ich konnte eine Weile nicht zur Schule gehen, aber jetzt bin ich hier." "Wenn du nicht darüber sprechen willst, ist das okay." Ich lächelte Kensi dankbar an und nickte. "Irgendwann vielleicht." Mein Blick fiel auf meine Armbanduhr und ich erhob mich. "Könntest du mir eventuell den nächsten Raum zeigen?" "Natürlich. Zeig mir mal deinen Stundenplan, dann kann ich den mit meinem vergleichen." Und das war der Beginn einer neuen Freundschaft.

You're my home (Hawaii Five-0 FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt