„Don't let the sun catch you cryin'
The night's the time for all your tears
Your heart may be broken tonight
But tomorrow in the morning light
Don't let the sun catch you cryin'"
(„Don't let the Sun catch you crying", Gerry & the Pacemakers)„Was zur Hölle ist denn hier passiert?"
Mein kleiner Bruder macht eine ausladende Geste und sieht mich mit anklagendem Blick an. „Nein, noch wichtiger; was zur Hölle ist mit dir passiert?"
Ich fahre mir geistesabwesend über meine Gesicht, als könnte ich die Wunden damit auf magische Weise verschwinden lassen.
„Was machst du hier, Sammy?"Aus irgendeinem Grund macht mich sein Auftauchen äußerst wütend. Ich habe nicht darum gebeten, dass er mir einen Besuch abstattet. Und seine Vorwürfe kann ich jetzt schon gar nicht gebrauchen.
„Na ja, anscheinend bin ich genau zur richtigen Zeit gekommen, sonst wäre das alles hier wahrscheinlich nur noch ein einziger Trümmerhaufen, so wie du bereits gewütet hast."
„Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst", wehre ich ab und ernte dafür Sammys typischen „Ach-wirklich" Blick.
Den konnte er schon immer besonders gut; seine Augenbrauen schieben sich nach oben und seine Augen weiten sich. Die Mundwinkel zucken leicht, runden den ironischen Ausdruck damit perfekt ab.„Spar dir den Blick."
„Welchen Blick?"
„Du weißt genau von welchem Blick ich rede."
Anstatt zu antworten sieht er mich einfach nur weiter mit genau diesem Blick an und ausgerechnet das setzt mir mehr zu, als alles andere.
„Wenn du nur hergekommen bist, um dich über mich zu amüsieren. Da ist die Tür." Ich deute demonstrativ auf den Durchgang zur Bibliothek hinter mir.„Dean, ich bin hier, weil du dich nie zurück gemeldet hast. Du wolltest mich mal besuchen, du erinnerst dich? Oder warst du zu besoffen, um dir zu merken, dass du einen Bruder hast?"
Autsch, der hat gesessen. Runde Nummer 2 im Kampf der Anschuldigungen.
„Okay, ja, ich habe gesagt, dass ich vorbei schauen werde. Und das hatte ich auch vor. Wirklich. Aber-"
„Aber?" Seine Nasenlöcher blähen sich auf und die Kiefergelenke treten hervor. Beides sind deutliche Zeichen, dass er wütend ist. Sehr wütend.
Ich dagegen hebe abwehrend die Hände und ziehe mich in die Defensive zurück. Wenn Sammy wütend wird- und das geschieht nur sehr selten-, gewinnt er jeden Kampf, wirklich jeden.„Etwas ist dazwischen gekommen."
Er verschränkt die Arme und schlendert einige Schritte durch das Chaos. „Lass mich raten; Alkohol?"
Ich zucke mit den Schultern, versuche so gleichgültig, wie möglich dreinzuschauen. „Schon möglich."
Seine Hand wandert Richtung Stirn und er knetet sein Nasenbein. „Wieso säufst du dich in den Ruin?"Stille. Elend langsam verstreichen die Sekunden, während denen ich überlege, ob ich es ihm erzählen sollte. Ihm gestehen sollte, dass ich mein Herz verloren habe und nun mein Leben keinen Sinn mehr ergibt. Würde er es überhaupt verstehen?
Vermutlich nicht.
Er hat eine Freundin, ist glücklich verlobt. Gut möglich, dass er mich in seinem Ärger sogar auslacht.„Dean, raus damit."
Andererseits ist die Last so drückend, dass ich zu ersticken drohe. Die Zeit mit Cas habe ich nie mit irgendjemand anderem geteilt. Ich habe sie immer nur gelebt. Immer nur für den einen Augenblick, den einen Moment. Die eine perfekte Sekunde, die der nächsten noch besseren Sekunde Platz gemacht hat.
All die Zeit immer nur mit- und für ihn gelebt.Als sei er mein persönlicher Schatz. Ein Schatz, den ich nie teilen wollte. Mit niemandem auf dieser Welt.
Erst jetzt, wo er weg ist, sehe ich die Dinge anders; er ist nicht länger ein wertvolles Gut, einzig für mich bestimmt.
Nein, inzwischen kommt es mir vor, als sei er die ganze Zeit über nur mein kleines, schmutziges Geheimnis gewesen. Ein Mensch, nein viel eher eine Reihe von Ereignissen, für die ich mich im Nachhinein vielleicht sogar schämen sollte. Immerhin habe ich einen vollkommen Fremden verführt, ihn in mein Leben gelassen, ohne irgendetwas dabei zu hinterfragen. Ich habe ihn mit offenen Armen empfangen, mich in seinen himmelblauen Augen verloren, ohne dabei auf die tickende Bombe, um seinen Hals zu achten.
Ausgeblendet habe ich sie: seine kuriose Amnesie. Seine suspekten Heilerkräfte.
DU LIEST GERADE
Forgotten | MxM | BEENDET
Hayran KurguEine schicksalhafte Nacht, die alles verändert. Ein dunkles Geheimnis, das alles zu zerstören droht [...] Als Dean während eines Sturmes Schutz in einer kleinen Tankstelle sucht, ahnt er noch nicht, dass sich sein Leben ab diesem Punkt drastisch änd...