Kapitel 15

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Es war komisch. Komisch trifft es eigentlich ziemlich gut. Ich könnte ihm so viel sagen, aber ich traute mich einfach nicht. So angespannt wie in dieser Mathe Stunde war ich bis jetzt kaum gewesen. Es lag so viel Unausgesprochenes zwischen Felix und mir. Zumindest von meiner Seite aus. Ob es Felix genauso ging, bezweifle ich eher. Ich wusste einfach nicht wie ich mich Felix gegenüber verhalten soll. Möglichkeit Nummer 1: Soll ich einfach so tun als wäre nichts passiert und somit irgendwie mich selbst anlügen? Gleichzeitig log ich Felix dadurch ja auch an. Das wollte ich auf keinen Fall. Aber Möglichkeit Nummer 2 war auch nicht besser: Ich könnte das, was Samstagabend war, ansprechen und somit sicher meine Gefühle verraten. Das war eigentlich auch keine Option, denn so könnte es sein, dass ich ihn als Freund verliere. Außerdem wusste ich nicht einmal was ich sagen sollte. Eine dritte Möglichkeit fiel mir jetzt aber nicht ein. Wieso habe ich mir darüber nicht gestern schon Gedanken gemacht, dann wäre ich jetzt nicht in dieser komischen Lage! Ich redete heute so viel wie nichts. Wir haben uns zwar begrüßt wie sonst. Aber diese Umarmung fühlte sich so falsch an. Normalerweise genoss ich die wenigen Sekunden, in denen ich in seinem Arm lag. Ich genoss – so blöd und verliebt es auch klingt – seinen Geruch. Aber heute? Heute war ich froh als wir uns endlich lösten. Es ist seltsam, wie schnell sich etwas ändern kann. Wie schnell eine Handlung etwas ändern kann. Felix versuchte ein paar Male ein Gespräch anzufangen, meine Antworten waren eher mager. Es regte mich selbst auf. Warum musste ich mir alles immer anmerken lassen. Schon bald gab es Felix auf. So konnte ich wenigstens heute mal mehr dem Unterricht folgen als sonst. Gerade korrigierten wir zwar nur unsere Hausaufgaben, die ich im Gegensatz zu Felix und dem halben Kurs gemacht habe. Während ich eine Aufgabe nach der anderen abhacken konnte, schrieb Felix wenigstens die Ergebnisse mit. Er braute die Lösung ja, damit er die Aufgaben später verbessern kann, falls er sie macht. Das sagte er jedes Mal, wenn er seine Hausaufgaben zufällig einmal wieder vergessen hat zu machen. Das mit dem Aufpassen funktionierte in der ersten Stunde erstaunlicherweise recht gut. Ich meldete mich für meine Verhältnisse oft und sagte meistens auch das Richtige. Doch in der zweiten Stunde schweifte ich immer häufiger mit meinen Gedanken ab. Auch Felix wirkte eher abwesend. Was er wohl dachte? War das für ihn auch unangenehm? In der gesamten Doppelstunde haben wir höchstens 30 Sätze miteinander geredet, bei mindestens der Hälfte ging es um Mathe. Das war auch keine Lösung! So lasse ich es mir anmerken, dass etwas nicht stimmt. Also Möglichkeit Nummer 1 ist jetzt schon mal Geschichte. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass er mich nicht darauf anspricht, denn dann waren wir ja indirekt ja schon bei Möglichkeit Nummer 2. Das Problem ist dabei das gleiche: Was sollte ich nur sagen? Zum Glück klingelte es endlich zur Pause, die ich nutzte, um noch etwas zu erledigen. Das war zwar eigentlich nicht wirklich dringend, aber so konnte ich Felix wenigstens 15 Minuten aus dem Weg gehen. Leider hatten wir im Anschluss noch eine Doppelstunde Deutsch, in der wir wieder nebeneinandersitzen. Normalerweise freute ich mich darauf. Heute nicht. Ich versuchte auch hier wieder aufzupassen, doch das konnte ich einfach nicht. Das lag aber hauptsächlich an dem Fach. Wieso musste jeder auch nur Deutsch verpflichtend in der Oberstufe haben? Ok, es ist für alle die Muttersprache. Für alle, außer mich. Auch wenn ich oft hörte, dass man nicht mal einen amerikanischen Dialekt erahnen konnte, fühlte ich mich alles andere als sicher in der deutschen Sprache. Und dann liest man noch Schiller. Da versteht nicht mal Felix alles. Wie soll ich denn da durchblicken? Vor der ersten Klausur graut es mich jetzt schon. Wäre es wenigstens interessant und spannend, was wir da lesen, aber davon ist das ja meilenweit entfernt. Somit verbrachte ich die Stunde damit Löcher in die Luft zu starren und immer wieder auf die Uhr zu schauen. Die Zeiger bewegten sich gefühlt nur in Slow Motion. Außerdem mied ich es auch nur in die Richtung von Felix zu schauen. An Möglichkeit Nummer 1 bin ich wohl grauenhaft gescheitert. Und ich ärgerte mich darüber.

„Alles in Ordnung?", fragte Felix plötzlich und ich erschrak dabei sogar, weil ich einfach überrascht war, dass er doch noch ein Gespräch anfängt. Zum Glück schaffte ich es das einigermaßen zu verbergen. Immerhin lachte Felix nicht wegen meiner Reaktion. Das wäre nicht das erste Mal gewesen, dass er mich deshalb auslachte.

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