Memories

Kapitel 20

„Wie bitte? Du kannst dich an nichts erinnern?", unterbrach Max die unangenehme Stille. Beide hatten aufgehört ihr Eis zu essen, starrten mich ungläubig und erschrocken an. In meinem Hals hatte sich ein riesiger Kloß gebildet. Jetzt war es raus und eine Last fiel mir von den Schultern. Doch eine neue Welle der Panik füllte mich so langsam aus. Sie zeigten keine Reaktion. Das machte mich noch um einiges nervöser. Sie starrten mich einfach an. In ihrem Blick konnte ich nichts ablesen. Keine Wut, kein Mitleid, keine Missachtung. Absolut nichts. Glaubten sie mir überhaupt oder dachten sie ich möchte nur Aufmerksamkeit? Die ersten Momente der Stille waren für mich unerträglich. Immerhin hatte Max jetzt endlich etwas gesagt. Worauf ich aber nur nicken konnte. Mein Hals schnürte sich zu und ich brachte kein Wort heraus. Warum spannten sie mich so auf die Folter? Konnten sie nicht einfach irgendeine Reaktion zeigen? Sogar einen Wutausbruch wäre mir in diesem Moment sogar um einiges lieber als dieses Ungewisse!

„Du kannst dich an absolut nichts erinnern? Nicht an deine Schulzeit? Nicht an deine Freunde?", fragte Felix erneut nach, immer noch ungläubig. Jedoch war jegliche Wärme, die ich so an ihm liebte, aus seiner Stimme gewichen. Sie verstanden es nicht. Dachten sie wirklich ich scherzte mit sowas herum? Oder wollten sie es einfach nicht glauben?

„Nein. Absolut nichts. Manche Dinge kann ich noch. Zum Beispiel kann ich wieder einigermaßen passable Klavier spielen oder reiten kann ich zum Beispiel auch noch. Ich kann alles noch irgendwie, ich wusste nur nicht mehr, dass ich es kann. Ich kann mich nicht an meine Zeit in Hawaii erinnern. Ich kenne nur die Geschichten, die mir jemand erzählt. Aber ich habe keine eigenen Erinnerungen. Keine einzigen Bilder, Erlebnisse oder sonst etwas. Überhaupt nichts. Ich erinnere mich nicht an meine Schulzeit, mein Leben, meine Freunde, meine Hobbys, meine Urlaube, meine Erfolge, meine Enttäuschungen, oder an sonst irgendetwas. Alles ist weg. Es ist, als wäre da einfach ein schwarzes Tuch, das alle meine Erinnerungen einhüllt. Ich habe mich nicht einmal an meine beste Freundin erinnert", sprudelte es aus mir heraus. Es tat unglaublich gut, ihnen alles zu erzählen. Ich habe es zu lange aufgeschoben. Gelichzeitig tat es auch so sehr weh alles direkt auszusprechen, es war dadurch so endgültig, so real. „Irgendwie hat Kendall mich auf Facebook gefunden und wir haben zum Glück wieder Kontakt. Aber es ist einfach alles weg. Ich kenne mein Altes-Ich nur von den wenigen Bildern, die meine alten Freunde auf Social Media geteilt haben. Vielleicht habe ich mich aber innerlich komplett geändert, oder vielleicht bin ich auch immer noch die gleiche. Keine Ahnung! Ich wusste nicht mal mehr, dass ich einen Freund hatte. Ich erinnere mich nicht an meinen ersten Kuss oder mein erstes Mal, ich weiß nicht mal ob ich es überhaupt schon hatte", ich stockte. Warum redete ich jetzt über so etwas? Sex ist echt nicht das Thema worüber man bei so einem Gespräch redete! Mein Blick wanderte zu Felix. Er schaute mir direkt in die Augen. Er wirkte sehr überrascht. Hatte ich ihn verletzt? „Das ist ja auch irgendwie nicht so wichtig", führte ich fort, mein Redefluss war noch nicht gestoppt, „Doch das Schlimmste ist, dass ich mich nicht an meinen Vater erinnern kann. Es ist als hätte er nie existiert. Laut meiner Mutter waren wir uns eh nie nahe, doch ich glaube ihr einfach nicht...", ich schluchzte. Ich hatte nicht bemerkt, dass mir Tränen über die Wangen liefen, als ich redete. Schnell wischte ich mir sie mir weg und versuchte mich wieder zusammenzureißen. Gerade wollte ich wieder erneut ansetzen, doch dazu kam ich nicht mehr.

„Ach Sam. Jetzt versteh ich immerhin, warum du immer so abweisend warst, wenn es über deine Vergangenheit ging. Ich dachte immer, du vertraust uns nicht. Doch das? Das ist echt hart. Es tut mir wirklich leid. Aber warum hast du es allen verheimlicht?", fragte Max vorsichtig nach. Dabei schenkte er mich ein aufmunterndes Lächeln. Das hieß, er hasste mich also schon mal nicht?

„Ich wollte selbst entscheiden, wann und wem ich das alles erzähle. Als ‚Neue' werde ich ohnehin schon von vielen komisch angeschaut. Wie soll das dann erst als ‚Die Neue ohne Erinnerungen an ihre Vergangenheit' sein? Ich wäre der totale Freak und bei allen sofort unten durch. Wobei irgendwie bin ich ja auch ein Freak. Außerdem geht es doch niemanden etwas an, das ist doch allein meine Sache. Naja, und irgendwie auch die meiner Freunde...", versuchte ich es ihnen zu erklären.