Babadook

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"Wo warst du gestern, verdammt!" Lea nimmt mich zur Begrüßung in den Arm und versucht dabei grimmig zu gucken.
Ich ahme ihren Blick nach und wir fangen beide an zu kichern. Sie weiß, dass ich mit Linus unterwegs war, ich hab ihr das am Abend noch per SMS mitgeteilt.
Zusammen laufen wir die Treppe hoch, wobei diese ächzende Geräusche von sich gibt. Dabei ist die doch noch gar nicht so alt.


Als wir in meinem Zimmer angekommen sind, schließe ich die Tür. Meine Eltern sind zwar unten im Wohnzimmer, aber sicher ist sicher. Erst jetzt verkündige ich Lea stolz: "Ich hab das mit Linus geklärt, er würde gerne zum Filmefreitag kommen!" Wie als würde ich meine Worte damit bestätigen, fange ich an zu nicken.
Leas Augen werden weit und sie beginnt zu grinsen. "Sehr gut, ich hab schon mal ein paar Filme aufgeschrieben, warte!" Sie fummelt in ihrem Rucksack herum.
Ich finde es unglaublich, dass die den selbst am Wochenende immer mit sich herum schleppt. Sie ist nicht so der Typ für Handtaschen, aber so einen großen Rucksack mit sich herum zu tragen muss doch auch blöd sein.

"Lies das jetzt endlich!" Lea fuchtelt mit ihrem College Block vor meiner Nase herum. Dabei hält sie den Block so dicht vor meine Nase, dass ich gar nichts erkennen kann, nicht mal wie vorgedruckten Linien.
"Ich hab die sortiert. Die, die am gruseligsten sein sollen, stehen ganz oben!" Leas Augen funkeln mich begeistert an.
Ich nehme ihr die Liste aus der Hand und werfe einen genaueren Blick drauf. Meinetwegen hätte sie auch nur die ersten drei Filme aufschreiben können. Ich weiß ganz genau, dass es am Schluss eh wieder darauf hinaus läuft, dass wir uns nicht entscheiden können und nur nach der Reihenfolge gehen. Wir könnten ja auch auswürfeln, habe ich ihr einmal vorgeschlagen, aber das will Lea nicht. Trotzdem sucht sie jedes Mal gefühlt hunderte Filme aus.

"Welche möchtest du am liebsten sehen?" Ich will mich nicht mit ihr streiten. Vor allem dann nicht, wenn ich selbst total vergessen habe, Filme rauszusuchen.
"Wie wäre es mit Insidious und Sinister?" fragt Lea und guckt mich gespannt an. Nein, sie starrt gerade zu schon!
"Ist okay. Und wenn wir dann noch einen sehen wollen, sollten wir Babadook noch nehmen.", schlage ich vor und Lea stimmt mir mit einem stumpfen Kopfnicken zu. Das ist einer meiner Lieblingsfilme. Wir haben den schon zusammen gesehen, ich habe sie dazu gezwungen. Lea fand ihn leider nicht so spannend, weil sie es blöd findet, das man das Monster nicht sehen kann. Aber gerade das ist doch das beste am Film.
"Babadook, dook, dook!", macht Lea den Film nach, wobei sie bei jeder Silbe ihre Stimme etwas tiefer senkt, bis nur noch ein Grummeln aus ihr heraus kommt. Wieder müssen wir beide lachen.

Erst jetzt bemerke ich so richtig, wie wichtig Lea mir eigentlich ist. Sie ist die einzige Person auf diesen Planeten, mit der ich so lachen kann. Über teilweise total schwachsinnige Sachen. Sie ist auch die Einzige, mit der ich über Dinge reden kann, über die ich mit sonst niemanden reden kann. Das macht es um so schöner. Vielleicht sollte ich ihr mal ein kleines Dankeschön-Geschenk machen.

"So, jetzt haben wir das geschafft.", seufzt sie, als hätten wir gerade etwas überaus anstrengendes gemacht.
"Jetzt erzählst du mir bitte, was da gestern passiert ist mit Linus." Leas Augenbrauen wackeln hoch und runter und ein lächelnder Mund zeigt mir, dass sie tatsächlich interessiert ist.

"Na ja, was soll ich sagen...", ich fange an, ihr von unserem Gespräch zu erzählen. Dass Linus mir meinen besonderen Rückzugsort gezeigt hat, verrate ich ihr nicht. Das ist eine Sache nur zwischen uns beiden.

"Ihr habt euch so richtig geküsst?!" Lea schaut mich erschrocken an. "So richtig, richtig?"
"Ja, sag ich doch!" Ich kullre mit meinen Augen.
"War es gut? Das war immerhin dein erster Kuss, nicht wahr?" Sie beißt sich auf die Unterlippe, das macht sich öfters, wenn sie aufgeregt ist.
Ich nicke und lächle sie nur an.
"Oh man, Felix, das müssen wir doch feiern!", schreit sie beinahe. Hoffentlich haben meine Eltern das nicht gehört. In meinem Kopf höre ich schon die Treppenstufen krächzen.
Sie bemerkt meinen besorgten Blick und fügt leise hinzu: "Aber wehe, ihr knutscht am Filmefreitag zu sehr rum. Ich will was vom Film mitbekommen!" Mit ihrem rechten Auge zwinkert sie mir zu.

"Was hast du gestern eigentlich noch gemacht?", lenke ich sie ab. Neues Thema!
Lea macht eine abwertende Bewegung mit ihrer Hand.
"Ich war mit Stefan Eis essen." Sie holt tief Luft. "Es war schrecklich. Er hat nicht mal mein Eis bezahlt, dabei hat er vorher noch gesagt, dass er mich einladen will."
Typisch. Genau das ist Stefan.
"Er ist manchmal ein Arschloch. Ich finde, er sollte nicht mehr so oft mit ins Stadt-Café kommen. Ohne ihn gefällt es mir dort viel besser.", spreche ich an. Fast hätte ich vergessen, dass ich mit Lea noch darüber reden wollte.
"Ja, da hast du vielleicht recht. Aber ich fühle mich so schlecht. Überleg doch mal, wie gut wir mal befreundet waren."
Ich lache:"In der Grundschule, ja!"
Lea schüttelt enttäuscht den Kopf. "Ich kann dich verstehen. Er benimmt sich in letzter Zeit so komisch. Ich rede morgen mal mit ihm, ja?"
Puh! Gut, dass ich das nicht machen muss. Für sowas bin ich nicht geeignet.
"Schreib mir, was dabei rauskommt, ja?"
Wieder ein Nicken.
"Du, ich muss jetzt auch schon wieder los. Nachhilfe..." Lea sieht nicht sehr glücklich aus.
Ich wünsche ihr viel Spaß, woraufhin sie mir ihre Zunge rausstreckt.

Kaum habe ich sie verabschiedet und die Tür geschlossen, höre ich meine Eltern nach mir rufen.
"Felix, komm mal her!"
Na toll, da hab ich überhaupt keine Lust drauf. Aber was hat Linus gesagt? Genau, sie machen sich nur Sorgen. Ich darf ihnen das nicht zu übel nehmen.
Ich versuche mir das einzureden, funktionieren tut es trotzdem nicht.


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