Es ist schon ziemlich hell draußen, als ich schließlich wieder aufwache. Leise höre ich Knuspern und Kauen aus Leas Richtung. Der Schlaf muss erst aus meinen Augen gerieben werden, bevor ich sie dann auch sehe - mit einer Cornflakes-Schüssel in der Hand sitzt sie auf dem Sofa und durchbohrt mich mit einem fragenden Blick.
"Mensch, guten Morgen! So lange schläfst du doch sonst nicht!" Höre ich sie kichernd sagen, während ich auf mein Handy schaue. Es ist tatsächlich schon fast Mittag.
"Sag mal, wo ist dein Freund abgeblieben?" Diese Frage verwundert mich. Langsam gucke ich erst rechts und dann links von mir. Aber keine Spur von Linus."Irgendwie war er weg, als ich aufgewacht bin. Ich dachte, er wäre nur auf Klo oder so. Aber er ist noch nicht wieder aufgetaucht." Lea zuckt mit ihren Schultern.
Ich kratze mich an der Stirn. Er hat mir nicht erzählt, dass er schon früh wieder los muss - das kann es also nicht sein. Jedoch hätte er mir doch gesagt, wenn etwas nicht in Ordnung gewesen wäre. Einfach so verschwinden ist eigentlich nicht seine Art.
Ich stehe auf, strecke mich und gucke mich noch einmal genauer um. Die Schlafsachen, welche ich Linus geliehen hatte, liegen fein säuberlich zusammengelegt auf dem Tisch.
Ein kurzer Blick zu Lea zeigt mir, dass sie genau so ratlos ist wie ich."Und jetzt?" Lea macht eine fragende Handbewegung. "Sollen wir nach ihm suchen?"
Ich schüttle den Kopf. "Er wird schon seine Gründe haben."
Mein Magen knurrt. Ich setze mich zu meiner Freundin, fülle meine Schüssel, aber so richtig was essen kann ich nicht. Dafür mache ich mir zu viele Gedanken um Linus. Was ist, wenn etwas schlimmes passiert ist?"Seit ihr jetzt eigentlich zusammen?", reißt Lea mich aus meinen Gedanken.
Erst bin ich zu überrumpelt, um etwas antworten zu können. Schließlich haben wir da noch nicht drüber geredet. Aber wir haben schon zusammen gekuschelt und uns geküsst. Irgendwie zählt das doch auch, oder nicht?
"Ich denke schon.", antworte ich also. Sicher bin ich mir aber nicht. Linus könnte das ja ganz anders sehen als ich.Zusammen gucken wir noch etwas fern, bis Lea gegen Mittag ihre kurze Heimreise antritt. Ich räume noch ein paar Sachen auf, damit sich meine Eltern nicht beschweren, dass wir zu unordentlich waren. Wir wollen ja verhindern, dass wir einen Filmabend-Verbot bekommen!
Etwas kaputt vom sauber machen - ich hasse Aufräumen wie die Pest - lege ich mich in mein Bett. Jetzt, wo ich alleine mit meinen Gedanken bin, kommen mir wieder die Fragen vom Morgen auf.
Warum ist Linus gegangen und warum hat er nicht Bescheid gesagt? Ist etwas schlimmes passiert? Sollte ich nach ihm suchen?
Aber auch die Frage, ob wir den nun wirklich zusammen sind oder nicht, spukt durch meinen Kopf. Was, wenn ich das alles überinterpretiert habe und er gar nicht mit mir zusammen sein will? War das gestern Abend zu viel für ihn und ist er deswegen gegangen? Und noch viel schlimmer: Wie spreche ich ihn darauf an? Ich bin doch viel zu nervös, nur wenn er neben mir liegt. Kaum auszudenken, wie nervös ich dann wäre, wenn ich ihm diese Fragen stellen würde.
Um mich abzulenken, mache ich mir etwas Musik an. Doch schnell bereue ich das wieder. Meine Präferenz für traurige und depressive Musik hebt meine Stimmung nämlich nicht.
Manchmal verdamme ich mich selbst dafür, dass ich glückliche Musik so sehr verabscheue. Wenn ich sie mögen würde, wäre ich wie auf Knopfdruck immer glücklich, während sie läuft. Aber eigentlich ist ja genau das ja der Grund, warum ich sie nicht mag. Nicht, weil ich fröhliche Menschen so sehr hasse, sondern, weil sie mir vor kommt wie eine Lüge. Ich brauche keine Lieder über Party und Alkohol und so was. Da höre ich doch lieber, wie jemand traurig am Grab seine verstorbenen Freundin sitzt. Vielleicht bin ich auch etwas komisch, was das angeht.
Auf jeden Fall löst meine Lieblingsmusik meine Fragen leider nicht in Luft auf.Mein Handy gähnt mich an. Wie ein Schwarzes Loch erscheint es mir. Null Nachrichten von niemanden. Linus würde mir schreiben, wenn etwas wäre, oder?
Ich schließe die App und lade sie neu. Immer noch null Nachrichten.
Das kann doch nicht sein!
Langsam fasse ich einen Entschluss, welchen ich mich eigentlich nie gewagt hätte zu fassen. Wahrscheinlich ist es die dümmste Idee aller Zeiten. Meine Hände fangen an zu schwitzen und mein Herz pocht mir bis zum Hals, als ich Linus' Nummer im Telefonbuch suche und tatsächlich auf das Telefonieren-Zeichen drücke.
Das Tuten versetzt mir Stiche in meine Brust. Ich wage es nicht, zu atmen, aus Angst, zu überhören, ob er ran geht.
Doch er hebt nicht ab.
Das Tuten bringt mich fast um, bevor ich emotional erschöpft auflege.
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Gelb
Teen FictionIch lege mich neben ihn ins Gras. Er schaut hinauf in die Wolken. Schön sieht er aus, verträumt irgendwie. Ich rücke so nah es geht an ihn heran. Unsere Arme berühren sich, er schreckt nicht zurück. Vor einem halben Jahr hätte ich nicht gedacht, das...