Alltag

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Es ist Montag, der Schulalltag beginnt wieder von vorn und es kommt mir schon vor der ersten Stunde so vor, als hätte es gar kein Wochenende gegeben. Dieses Gefühl haben ich leider immer, wenn ich in der Schule bin - egal ob nach Wochenende oder Ferien. Vielleicht kommt das von der Einöde, welche dieses äußerst charmante Schulgebäude ausstrahlt. Oder einfach nur, weil sich trotz der vergangenen Tage rein gar nichts geändert hat. Vor der Klasse stehen immer noch die gleichen Leute, die Lehrer sind noch genau so unmotiviert wie immer und alle sind von Müdigkeit und Aufmerksamkeitsproblemen geplagt.

Und auch privat hat sich - zumindest bei mir - nichts getan. Also na ja, fast nichts.
Am Samstag hat meine Familie zusammen Abendbrot gegessen. Papa hat einfach so angefangen, mich nach meinem "Freund" auszufragen. Vielleicht wusste er nicht, dass ich meiner Mutter noch nichts erzählt habe. Vielleicht hat er es aber auch extra gemacht. Ich kann es mir auf jeden Fall gut vorstellen.
Am Anfang hatte ich total Panik, aber insgeheim wusste ich schon, dass Mama eh eher gelassener ist. Na ja, mehr als mein Vater immerhin. Sie hat es gut aufgenommen. Ich bin diesmal nicht in Tränen ausgebrochen - nein.
Also eigentlich alles gut. Wenn sie nicht auf die Idee gekommen wären, dass ich Linus mal mitbringen soll. Das ist eine beschissene Idee. Nur leider lassen sich meine Eltern schwer von Sachen abbringen, die sie beide gemeinschaftlich erdacht haben.
Ich freue mich zum Teil schon. Vor ein paar Tagen hätte ich nicht gedacht, dass sie überhaupt tolerant genug wären, um mich zu unterstützen. Nur wie soll ich das Linus beibringen? Vor allem, wenn der sich das ganze Wochenende nicht ein Mal meldet.

Es ist, als wäre er vom Erdboden verschlungen worden. Ich hab ihm geschrieben, ihn sogar noch erneuert versucht anzurufen - aber sofort wieder aufgelegt, weil ich so nervös war - und ich wollte mit dem Fahrrad zu seinem Lieblingsplatz fahren. Leider haben meine Eltern mich abgehalten. Sie konnten nicht verstehen, warum ich ganz alleine 30 Minuten zu diesem Strand fahren will. Und ich wollte nichts sagen. Ich habe Linus versprochen, dass niemand von seinem Platz erfahren wird und im Lügen bin ich schlecht. Da blieb mir nichts anderes übrig, als zu Hause zu bleiben und zu Hoffen, dass er mir schreibt.

Das Schlechte daran ist, dass ich mich so nicht auf den Unterricht konzentrieren kann. So richtig aufpassen wollte ich eh nicht, aber trotzdem. Man kann ja so tun, als wäre man interessiert und den Lehrer gespannt anstarren. Aber ich bin so sehr in Gedanken, dass ich nicht einmal das kann. Dabei ist das meine Spezialität. Jedes Mal, wenn wir Noten besprechen, sagen die Lehrer mir, wie schön es ist, dass ich immer dabei bin. Dann frage ich mich, ob sie wirklich so doof sind oder ob sie es sich einfach schön reden, weil sie sonst nichts positives über mich zusagen haben.

Wenn ich wüsste, wo Linus wohnt, könnte ich ihn wenigstens dort suchen. Oder wo er zur Schule geht. Wobei ich das bezweifle, immer hin ist er älter als ich. Wenn er zur Schule gehen würde, müsste er öfters Sitzen geblieben sein. Das glaube ich nicht. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er richtig arbeiten geht. Er hat ja immer Zeit, wenn ich ihn frage.

Mit einem dampfenden Kopf schleppe ich mich durch den Tag. Nicht einmal Lea schafft es, mich aufzuheitern. Immerhin ist sie verständnisvoll und versucht für mich da zu sein. ich weiß das zu schätzen, auch wenn ich das im Moment nicht so zeigen kann.

Auch am Abend habe ich noch keine Nachricht von Linus bekommen.
Mir ist zum weinen. Die Situation überfordert mich, obwohl ich nichts machen muss als zu warten.

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