6. Die Vertretung (Teil 1)

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Mehr als nur gestresst laufe ich in Richtung Gate. Ich wollte zwar immer schon einmal bei einem der großen Aufträgen mitarbeiten, jedoch wäre es sehr toll gewesen nicht an einem Samstag vom Chef kurz vor vier aufgeweckt zu werden, damit ich für eine Kollegin einspringe. Immer wieder werde ich von der Seite seltsam angesehen, jedoch hatte ich nicht wirklich Zeit mich umzuziehen, da ich innerhalb einer Stunde packen und zum Flughafen kommen musst. Mir ist klar, dass meine zerrissene Jeans, die irgendwo in meinem Schlafzimmer lag, kombiniert mit meinem blauen T- Shirt, auf dem sich ein glitzerndes Einhorn befindet, nicht gerade die Garderobe einer erwachsenen Frau widerspiegelt. Eilig ziehe ich meinen kleinen Koffer hinter mir her und kann von weitem schon meinen Chef, in einem grauen Anzug erkennen. Gestresst sieht er immer wieder auf seine Uhr und scheint nach mir Ausschau zu halten. Die große Uhr auf der Anzeigetafel neben mir, zeigt mir, dass wir noch genau zehn Minuten haben. „Miss Day, Gott sei dank, Sie haben es noch rechtzeitig geschafft." „Mr. Freeman..." Außer Atem nicke ich und merke, dass er seine Augen mich von oben nach unten einmal scannen. „Sie wissen, dass wir gleich nachdem wir gelandet sind ein Meeting haben?" „Ich ziehe mich im Flugzeug um. Ich musste vorhin Prioritäten setzten, um mit der Zeit auf gleichzukommen." Wissend nickt er und lotst mich mehr oder weniger in Richtung Boarding-Kontrolle. Schnell sind wir durch und kurze Zeit später im Flugzeug.

„Ich hoffe, dass es Ihnen nicht allzu viele Unannehmlichkeiten bereitet mich zu begleiten." „Nein ist schon in Ordnung, wenn auch leicht stressig." Damit war der Smalltalk zwischen uns erledigt. Nach einer halben Stunde schlafe ich sogar nochmal ein, jedoch nur für eine Stunde, damit ich noch genug Zeit habe mich umzuziehen und mich herzurichten. In dieser winzigen Kabine habe ich mindestens dreißig Minuten gebraucht um mich anzuziehen und zu schminken. Einzig und alleine der Fakt, dass es zwei Kabinen an Board gibt mir die Ruhe und Gelassenheit mir solange Zeit zu lassen.

Zurück im Mittelgang verstaue ich meine Kosmetiktasche wieder in meinem Handgepäck und als ich mich umdrehe, merke ich, dass Mr. Freemans Augen auf mir ruhen. Na gut, auf meinem Hintern und erst als ich mich umdrehe, sieht er verlegen weg. Er scheint gar nicht mitbekommen zu haben, dass ich ihm beim Schauen erwischt habe. Immer noch ein Wenig in mich hinein grinsend setze ich mich wieder neben ihn und greife nach einem der Prospekte in der Tasche am Sitz vor mir. Desinteressiert blättere ich es durch, während mein Sitznachbar verkrampft einige Mails durchliest. Einige Zeit lang überlege ich, wie ich ein Gespräch in Gang bringen könnte, aber mir fällt wirklich kein Thema ein, über das ich mit ihm reden könnte. Anscheinend habe ich über eine halbe Stunde gebraucht, um zu verstehen, dass ich über ihn überhaupt nichts weiß. Natürlich, er ist mein Chef, aber mir fallen nicht einmal irgendwelche Gerüchte über ihn ein. Er wird zwar von den Frauen bewundert und von den Männern beneidet, aber da er jeden Tag in seine eigene Arbeit extrem vertieft ist, bietet er wenige Angriffspunkte. Sein Aussehen ist definitiv über dem Durchschnitt, aber ich finde vor allem, dass seine Arbeit für ihn spricht, außerdem kursiert da Gerücht, dass er schwul sei, da er noch nie auf eine Anmache meiner Kolleginnen eingegangen ist. Ich denke zwar nicht, dass er vom anderen Ufer ist, aber bei ihm kann man sich immer sicher sein als Frau, dass wenn er einen lobt, dann weil die Arbeit die man geleistet hat gut war. Mr. Freeman ist vielleicht etwas distanziert, aber niemals unhöflich und wenn er mal ein bisschen losgelöst ist, kann man merken, dass er ein Gentleman der alten Schule ist. Er ist einfach durch und durch ein angenehmer, zielstrebiger Zeitgenosse.

Genau als so ein seltsames Rauschen aus den Lautsprechern dringt und eine Steward verkündet, dass wir demnächst in Nizza landen, springt eine blonde, mit Make-Up zugekleisterte Stewardess hervor und bittet meinen Chef mit extremen Augenklippern sich anzuschnallen. Genauso so irritiert wie ich sieht er sie an, da der Gurt mehr als eindeutig und schon Weitem sichtbar von der Schnalle auf seinem Schoß zusammengehalten. Als er sie darauf hinweist, wickelt sie sich eine Locke um ihren Finger und entschuldigt sich vielmals. Mit größtem Bemühen versucht sie ihn in ein Gespräch zu verwickeln, wobei man ihm aber ansehen kann, dass er sich unwohl fühlt. Seine Ein-Wort-Antworten seinen sie jedoch nicht zu stören und redet weiter auf ihn ein. Eilig drehe ich ich weg, da ich mir ein Grinsen wirklich keine Sekunde länger verkneifen konnte. Naja, ich grinste solange, bis ich neben mir ein ‚Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, meiner Freundin geht es nie sonderlich gut bei der Landung' hörte. Als ich dann noch eine warme Hand spürte, die sich um mein Knie schloss, verschluckte ich mich prompt an meiner eigenen Spucke.

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