Kapitel 2

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"Yoongi, sei so lieb und zeige Jimin sein Zimmer", bat meine Mutter und ich nickte, bevor ich durch die Tür trat, die Schuhe auszog und ohne zurückzublicken durch unseren Flur lief. Wenn er hier wohnen wollte, musste er sich mir anpassen.

Ich lief die Treppe hoch und dachte schon, dass er mir nicht so schnell folgen konnte, doch als ich die Tür zu einem unserer drei Gästezimmer öffnete, stand er plötzlich hinter mir. Ich hatte seine Schritte nicht gehört.

Er sah mich nicht an, als ich ihn abschätzend musterte. Schließlich trat ich in das Zimmer und befand, dass es viel zu gut für ihn eingerichtet war. Wozu brauchte er einen Flachbildschirm? Nur weil ich einen für meinen Computer hatte?

Er sollte sich nicht 'benachteiligt' fühlen. Warum mussten meine Eltern so sozial sein?

Der Junge schaute sich im Zimmer um, stand aber noch immer bei der Tür. Ich konnte nicht erkennen, ob ihm das Zimmer gefiel oder nicht, doch als er meinen Blick bemerkte, starrte er wieder auf den Teppich.

Ich beschloss, dass seine Schonzeit soeben zu Ende gegangen war, und ging auf ihn zu. Er ließ sich von mir zurück drängen, bis er die offene Tür an seinem Rücken hatte, zwischen uns waren nur wenige Zentimeter Platz.

"Wenn du glaubst, dass du hier erwünscht bist, bist du so bescheuert wie du aussiehst."

Er hatte die Schultern hochgezogen und den Atem angehalten, noch immer hatte er nicht den Mut, mir in die Augen zu sehen. Schnaubend schubste ich ihn zur Seite und zog die Tür hinter mir zu.

Ich wollte gerade in mein Zimmer gehen, als meine Mutter nach mir rief. Seufzend ging ich die Treppe runter und fand sie und meinen Vater im Wohnzimmer.

"Ihr werdet euch sicher gut verstehen."

Ich zuckte mit den Schultern und zog mir meinen Klavierhocker heran.

"Er hat noch nicht viel geredet", murmelte ich. Tatsächlich hatte er noch kein Wort gesprochen.

"Er muss sich sicher erst etwas eingewöhnen. Du wirst schon sehen, bald seid ihr wie echte Geschwister." Mein Vater grinste und legte seinen Arm um meine Mutter, die zustimmend den Kopf neigte.

"Du weißt, wie sehr wir dich lieben. Bitte kümmere dich ein wenig um ihn und hilf ihm, sich hier zurechtzufinden."

Mit widerstreitenden Gefühlen gab ich nach und nickte. Meine Eltern wirkten erleichtert. Aber es würde mich wundern, wenn der Kerl nach den nächsten fünf Tagen freiwillig hier bleiben würde.

-

"Yoongi?" Genervt rief ich ein 'Ja?' zurück und rollte mich lustlos aus meinem Bett, als ich die Stimme meiner Mutter hörte.

"Hilfst du bitte Jimin beim Tisch decken? Das Abendessen ist bald fertig."

Mein Handy ließ ich auf dem Bett liegen und machte mich auf nach unten, gegenüber dem Wohnzimmer befand sich unser Speiseraum, der durch eine weiße Tür mit der danebenliegenden Küche verbunden war.

Der Junge schien bereits beschäftigt, weshalb ich zuschaute, wie er mit dem Rücken zu mir das Besteck auf dem Tisch verteilte.

"Was machst du da?", fragte ich und ging näher heran. Er zuckte zusammen und ließ beinahe das Messer fallen, das er in der Hand gehalten hatte. Sofort trat er vom Tisch und von mir zurück und hatte den Kopf wieder gesenkt. Ausdruckslos betrachtete ich seine Arbeit. Er hatte vier Gabeln sauber nebeneinander in die Mitte des Tisches gelegt, vier Löffel exakt darunter und drei Messer oberhalb. Das eine war durch seinen Schreck etwas verrutscht. Die Teller standen noch übereinander auf einer der Ecken.

Ratlos schaute ich den Schwarzhaarigen an, der sich aber nicht aus seiner Position gelöst hatte.

"Hat das einen Sinn?"

Schnell schüttelte er den Kopf.

"Kannst du mir nicht in die Augen sehen, wenn wir uns unterhalten?" Langsam wurde ich wirklich wütend.

Er holte Luft und hob dann den Kopf, bis er mich ansah. Seine dunklen Pupillen waren kaum von der Iris zu unterscheiden. Obwohl er gerade stand, war er etwas kleiner als ich.

"Bist du zu blöd, einen Tisch vernünftig zu decken?"

Seine Schultern sackten etwas ab, doch den Blick senkte er diesmal nicht. Langsam wurde er interessant. Ich ging auf ihn zu, wie erwartet trat er zurück, bis er durch die kleine Kommode aufgehalten wurde. Er zitterte, als ich mich vor ihm aufbaute, doch er hielt meinen Augen stand. Ich nahm ihm das letzte Messer ab und drehte mich dann zu dem Tisch, um richtig zu decken.

Als ich noch einmal zu ihm sah, hatte er den Kopf wieder auf den Boden gerichtet und seine Hände in den übergroßen Pulliärmeln verborgen. Zumindest würde er mich nicht herausfordern, dafür schien er nicht ansatzweise den Mumm zu haben.

Ich holte noch Gläser aus der Küche und stellte fest, dass er sich nicht einen Millimeter bewegt hatte.

"Festgewachsen?"

Schon wieder zuckte er zusammen, sein Blick huschte zu mir, bevor er wegsah und etwas näher an den Tisch trat.

Wenig später saßen wir alle zusammen, er links neben mir, meine Eltern uns gegenüber. Es war still, ich konzentrierte mich auf mein Essen und sah aus dem Augenwinkel, dass der Junge den Blick stur auf seinen Teller gerichtet hielt. Meine Eltern beobachteten uns auffällig unauffällig. Der neue Sohn war wohl das einzige Thema, was ihnen durch den Kopf ging, sonst hätten sie vermutlich über ihren Tag geredet oder ob sie am Wochenende noch etwas vorhatten.

"Ich habe überlegt, dass wir vielleicht morgen alle zusammen einkaufen gehen könnten. Jimin kann bestimmt ein paar neue Sachen gebrauchen, so viel kann doch in deinen Koffer nicht reingepasst haben."

Natürlich ging es um ihn, was auch sonst.

"Ich wollte mich morgen mit Namjoon und den anderen treffen", wandte ich ein. Meine Mutter wollte bereits protestieren, als mein Vater ihr eine Hand auf die Schulter legte und mir zunickte. Na immerhin.

"Wir werden bestimmt auch so genügend Spaß haben!"

Manchmal würde ich am liebsten meine Sachen packen und einfach verschwinden. Natürlich wollte ich meine Freunde treffen, aber dass meine Eltern und dieser Kerl allein einkaufen gingen, war nicht mein Ziel.

"Nicht wahr, Jimin?"

Langsam hob er den Kopf etwas und schaute zwischen seinen schwarzen Strähnen hindurch meine Mutter an, die ihm aufmunternd zulächelte. Leicht nickte er und seine Mundwinkel hoben sich beinahe unmerklich an. In den nächsten Tagen würde er nicht mehr viel zu lachen haben.

Brother's Love // YoonMinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt