- Kapitel 7 -

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Yoongi

"Guten Morgen, Yoongi."

Ich erstarrte, als ich die Küche betrat und Jimin entdeckte, der gerade Milch in sein Müsli goss.

Ich musste antworten. Mein Mund ging nicht auf, mein Herz schlug zu schnell und ich spürte bereits, wie die Wut auf mich selbst stieg, weil ich nicht ein Wort herausbekam.

"Ich weiß, die Situation zwischen uns ist gerade echt angespannt", redete der Schwarzhaarige weiter und sah dabei nicht zu mir, weshalb ich ihn anschauen konnte. Seine Worte schmerzten. "Aber ich möchte jemanden besuchen. Und es würde mich freuen, wenn du mitkommen könntest."

Er hob den Blick, bevor ich meinen abwenden konnte, und ich war wie gefangen. Plötzlich verstand ich nicht mehr, warum ich das nie zugelassen hatte. Warum hatte ich es nicht einfach mal riskiert, in seine dunklen Augen zu sehen?

Er wartete auf eine Antwort. Irgendwas musste ich sagen, doch es ging nicht. Ich zwang meinen Kopf zu einem Nicken und bemerkte, wie sich auf Jimins Lippen ein kleines Lächeln schlich.

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Vielleicht war das doch keine gute Idee gewesen. Zu zweit standen wir nun an der Bushaltestelle und ich hatte noch immer nichts zu ihm gesagt, obwohl ich seine Blicke auf mir spüren konnte.

Schließlich fing er an zu reden. Es schien, als würde er gar nicht mehr damit aufhören. Er erzählte wohl einfach, was ihm in den Kopf kam, von seiner letzten Prüfung in Chemie, die ihm nicht so gelungen war, einer lustigen Situation im Unterricht, als Tae etwas trinken wollte und sich die halbe Flasche übergekippt hatte, von seiner Lieblingstanzgruppe, die er gern mal live erleben wollte.

Ich hörte einfach nur zu und beobachtete, wie er sich etwas entspannte, während er erzählte. Auch als wir in den Bus einstiegen, hörte er nicht auf, es war, als wolle er all die verpassten Gespräche aufholen, nur dass ich meinen Beitrag dazu verweigerte.

Einfach seiner Stimme zu lauschen war mehr, als ich mir erhofft hatte. Er hatte sich bisher eigentlich immer durch meine abweisende Art verunsichern lassen.

Die Fahrt dauerte knapp eine halbe Stunde, doch es kam mir viel zu kurz vor. Als wir ausstiegen, verstummte Jimin.

Schweigend lief er langsam in eine Richtung und ich folgte ihm. Es war viel zu still. Hier schien niemand unterwegs zu sein, die Häuser wirkten verlassen. Vor einem Eisentor blieb der Schwarzhaarige stehen. Ich konnte eine Grünfläche und ein paar Bäume erkennen.

"Wen möchtest du denn besuchen?", fragte ich leise und schaute mich um. Wenigstens hatte ich den Satz ohne Stottern herausbekommen.

"Ich möchte dich meiner Mutter vorstellen."

Ich blieb stehen, als er das große Tor öffnete. Seine Mutter? Es dauerte noch einen Moment, bis ich verstand, wo wir hier waren.

Ich folgte ihm und betrachtete die vielen sauber gehaltenen Gräber.

Er blieb vor einem einfachen Grabstein stehen und starrte auf die leere Grasfläche. Keine Blumen, keine Erde, Gras.

"Ich konnte sie nicht oft besuchen. Aber jedes Jahr vor meinem Geburtstag hab ich mich davongeschlichen."

Ich beobachtete ihn, seine Hände waren in den Ärmeln seines Hoodies verborgen und sein Blick war auf die Inschrift gerichtet. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

"Weißt du", er drehte sich zu mir und schaute mich lächelnd an, seine Augen konnten die Trauer nicht verbergen, "ich bin wirklich froh, bei euch zu sein, aber manchmal..." Er wandte den Blick ab und atmete tief durch.

"Ich bin auch froh, dass du bei uns gelandet bist."

Seine Lippen verzogen sich zu einem kleinen Lächeln, während er die Augen schloss. Eine Träne hatte sich gelöst und landete auf seiner Wange.

"Jimin. Lass es raus."

Er nickte unmerklich und öffnete dann seine Augen, die bereits leicht gerötet waren. Er wandte sich von mir ab, als seine Schultern zu beben begannen.

Ich wollte nicht, dass er sich abwandte.

Ich ging zu ihm, legte meine Arme von hinten um ihn und wartete, ob er sich darauf einlassen würde. Zitternd atmete er aus, als er sich an mich lehnte.

Wärme breitete sich in meinem Bauchraum aus, obwohl es mir leid tat, dass er weinte. Ich legte mein Kinn auf seiner Schulter ab und schaute auf den grauen Stein, während ich versuchte, Jimin Halt zu geben.

"D-Damals, in diesem Auto... Ich war dabei."

Ich hielt den Atem an.

"Ich... Wir standen an einer Ampel und ich hatte mich abgeschnallt. Sie hat sich umgedreht und mir gesagt, ich soll mich wieder anschnallen, aber ich hab es nicht hingekriegt. Sie war nicht böse, nur besorgt. Sie hat mir geholfen, aber dann haben die hinter uns gehupt und sie musste weiterfahren. Ihren Sicherheitsgurt hatte sie gelöst, um an meinen Gurt zu kommen. So ein Idiot ist vor uns eingeschert und... Sie war nicht angeschnallt."

Er hatte immer schneller geredet und schluchzte auf, seine Beine gaben nach. Ich ging mit ihm in die Hocke und zog ihn noch näher an mich. Er drehte sich und legte seine Stirn an meine Halsbeuge, wo ich sofort seine Tränen spürte.

"Scht... Es war nicht deine Schuld. Sie wäre stolz auf dich, wenn sie sehen könnte, wie du dich entwickelt hast."

"Eine schwächliche Schwuchtel aus dem Heim. Toll."

Sein Grummeln verursachte mir eine Gänsehaut. Dachte er wirklich so über sich?

"Spinnst du?"

Er verbarg sich an meinem Oberkörper.

"Erstens wohnst du nicht mehr im Heim, sondern bei uns. Zweitens bist du nicht schwach und drittens bist du die liebenswerteste Person, die ich kenne. Also sag so was nie wieder."

Er seufzte leise und ich spürte seine Finger im Stoff meiner Strickjacke.

"Das sagst du nur, weil du jetzt mein Bruder bist."

Aua. Da hätten wir ja den wunden Punkt wieder.

"Nein. Das sage ich, weil ich das genau so denke."

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Brother's Love // YoonMinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt