Kapitel 19 - Die Strafe der Mörder

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Ich nahm dankend die Jogginghose an, die Jin mir hinhielt, schlüpfte in sie hinein und legte mich auf eines der Sofas. Jin bedeutete mir, mich auf den Bauch zu drehen, damit er besser die Schnittwunden heilen konnte. Mit zusammengebissenen Zähnen drehte ich mich und seufzte leise auf, als Jins kühle Hände über meinen geschundenen Rücken fuhren. Ich spürte, wie die Wunden sich zusammensetzten und der Schmerz langsam abklang. Die heilenden Händen von Jin verschwanden und er ließ sich müde aufs Sofa fallen.
‚Wie fühlst du dich?', fragte er erschöpft. 'Hast du noch Schmerzen?'
Ich rückte, um ihn Platz zu machen.
'Nein, soweit alles gut. Wie geht es Maggie? Und Hosoek?'
‚Ich kann Maggie jederzeit aufwachen lassen, wenn du das willst, aber ich denke, es ist besser, wenn sie noch schläft. Hobi hatte schwierige Verletzungen. Erst die Schusswunde, die nur knapp sein Herz verfehlte - der Schütze war echt gut - und dann die vielen Schnittwunden, weil er in die Glasscherben gefallen ist. Es hätte nicht mehr viel gefehlt, dann wäre es um ihn geschehen gewesen.'
Mein Herz zog sich bei dieser Vorstellung zusammen. Es wäre nicht auszudenken einen von den Jungs zu verlieren. Sie waren meine einzige Familie, die einzigen, die mich ertrugen und bei mir blieben. Ich brauchte sie alle. Ich fuhr mich seufzend durch die Haare.
‚Ist sonst noch jemand verletzt?'
Jin rieb sich erschöpft übers Gesicht. 'Taehyung und Yoongi ließen mich kaum nachschauen, aber etwas ernsteres als Kratzer oder blauen Flecken werden sie nicht haben. Jungkook ist unversehrt, noch nicht mal einen Kratzer hat er abbekommen.'
Er schüttelte fassungslos den Kopf. 'Unglaublich dieser Junge.'

Ich erhob mich schwerfällig und streckte vorsichtig meinen Rücken durch.
'Ich werde dann mal duschen.'
Langsam ging ich zur Treppe und schleppte mich diese hoch, bis in mein Zimmer. Dort entkleidete ich mich und stieg unter die Dusche. Als das heiße Wasser auf mich niederprasselte, sackte ich zusammen und kauerte mich auf den Boden zusammen. Mir tat alles weh. Jeder Knochen schmerzte.

Und mich holten die Toten ein.

Sie schrien in meinen Kopf, zeigten mir ihre Gesichter und verschwanden ehe ich sie richtig erfassen konnte. Sie waren so laut, so ohrenbetäubend laut.
Mein Gewissen bestrafte mich. Es schickte mir die Geister derer, die ich getötet habe und quälte mich mit ihren Schreien, ihren Bildern und ihrem Schmerz. Es war nicht auszuhalten und so sehr ich auch die Hände gegen meine Schläfe presste, sie gaben keine Ruhe. Ich konnte sie nicht verscheuchen. Ich war machtlos gegen sie. Und sie würden mich nie mehr loslassen. Das war die Strafe der Mörder.

Zitternd richtete ich mich auf, stützte mich an der Wand ab und griff nach dem Duschgel. Ich musste weiter machen. Immer weiter machen. So konnte ich sie bekämpfen.

Als ich das Wasser ausstellte, hörte ich Jungkook in dem Zimmer neben mir gequält aufschreien. Ein herzzerreißendes Schluchzen folgte, was mich erstarren ließ. Schnell zog ich mir etwas über.
Er war doch noch so jung. Mit 18 Jahren sollte man noch nicht kämpfen und töten müssen. Er hatte das nicht verdient.

Ich eilte zu seinen Zimmer und klopfte an. Wir würden das zusammen durchstehen.
‚He-herein.', schniefte er und wurde von einem erneuten Schluchzer geschüttelt. Ich trat ein und blieb stehen. Ich schluckte, als ich Jungkook sah. Er saß zusammengesunken an der Wand, das Gesicht tränenverschmiert, die Hände auf die Ohren gepresst. Ich hockte mich neben ihn und nahm seine Hände von den Ohren.
‚Kookie.', sprach ich ihn sanft an. 'Sie sind nur in deinen Kopf. Sie quälen dich und wollen dich in den Wahnsinn treiben, aber du bist stark, hörst du. Du kannst gegen sie gewinnen.'
Er schüttelte energisch den Kopf und die Tränen liefen ihn wie Sturzbäche übers Gesicht.
'Ich kann sie nicht zum Schweigen bin. Sie sind so laut!'
Er schlang die Arme um die Knie und wiegte sich vor und zurück.
,Ich habe sie alle getötet. Und es war so leicht, so unfassbar leicht:', flüsterte er.

Ich ließ mich neben ihn an die Wand sinken und schlang die Arme um ihn.
‚Ich weiß, ich weiß.', murmelte ich und spürte ebenfalls die Tränen in meinen Augen brennen.
‚Es ist schrecklich. Dieses ganze Töten ist schrecklich.'
‚Hörst du sie auch, Hyung?', er blickte mich aus großen, nassen Augen an und plötzlich sah ich ihn nur noch den kleinen, 15-jährigen Jungen, der sich vor Schmerz und Trauer an mich klammerte, während die Leichen seiner Eltern und Geschwister an uns vorbei getragen wurden.
Uns sieben verband so viel mehr, als unsere Elemente und unseren Job. Wir hatten alles verloren, waren zerstört vor Trauer und Schmerz. Das schuf ein viel stärkeres Band, als der Beruf.

Ich drückte seinen Kopf gegen meine Brust und wiegte ihn wie ein Baby in meinen Armen hin und her.
‚Ja, Kookie, ich höre sie auch. Ich höre sie genauso laut, wie du. Und sie quälen mich genauso sehr, wie dich. Du bist nicht allein.'
Mein Atem ging stoßweise und einzelne Tränen bahnten sich einen Weg aus meinen Augen.

Plötzlich legten sich zwei Arme um uns und ich schauten überrascht auf. Taehyung blickte mich aus vor Schmerz verdunkelten Augen an. Dann vergrub er den Kopf in meine Schulter und ich sah, wie seinen breiten Schultern bebten. Ich drückte ihn an mich und schloss gequält die Augen. Als ich leise Schritte hörte, sah ich nicht auf. Nun war es mir gleich, wer mich in diesem Zustand sah. Ich erkannte Hobis Geruch, als er die Arme um uns schlang. Dann wurde ich in Wärme eingehüllt und Jins Arme schlossen sich um mich. Ich gab mich meinen Gefühlen hin, ließ sie über mich schwemmen und ein Feuer aus Schmerz in mir entfachen. Yoongis leise Stimme ließen mich trotz des Schmerzes lächeln. Nun waren wir komplett.
‚Wir stehen das zusammen durch.', flüsterte er. 'Wie immer.'

'Wie immer.', murmelte ich und gab mich meinem Leid und der Liebe meiner Jungs hin.

Die Bilder waren schrecklich. Die Schreie schmerzvoll. Und das Gewissen allmächtig.

Aber wir waren nicht allein damit.

Wir hatten uns.

Wie immer.

War of Hormone [BTS]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt