Kapitel 22 - Wieder gut machen

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Maggie

Langsam drehte ich mich um. Tae blickte mich an. Ausdrucksloser, willenloser Blick. Er war meine Puppe. Ich konnte ihn steuern.
Ich hatte ihm seine Seele geraubt.
Vorsichtig ging ich auf ihn zu und legte sacht meine Hand gegen seine Wange. Er sah mir in die Augen, aber sein Blick war leer, ohne Leben. Er war leer.

Die Vampirkraft leuchtete in mir auf und leitete mich. Ich gab mich ihr hin, vertraute ihr. Ich wusste, dass sie gutmütig war. Ich war frei von Zorn und Hass. Dafür voller Schuld. Und diese Schuld nährte meine Kraft, machte das wieder ganz, was ich kaputt gemacht hatte. Meine Macht tastete sich durch Taehyungs Haut, drang in seine Adern ein und ließ sich durch seinen Körper schwemmen. Ich nahm jede Qual von ihm, heilte jede innere, seelische Verletzung. Auch jene, die schon so tief saßen, dass sie unmöglich von mir stammen konnten. Aber die Erinnerung an dem Schmerz nahm ich nicht. Sie musste beständig bleiben. Sonst würde das Taehyungs Selbst zerstören.

Ich nahm meine Hand zurück, als ich ihn geheilt hatte und die Mauer, die ich um seine Seele gebaut hatte, eingerissen war.
Das Leben kehrte in seine Augen zurück und er blinzelte mich verwirrt an.
Was...was hast du gemacht?'
Sein Abbild verschwamm und ich lächelte ihn unter Tränen an.
,Ich hab wieder gut gemacht, was ich zerstört habe.'
Dann wandte ich mich von ihm ab und ließ ihn ratlos stehen. Ich hatte mich um Yoongi und Jin zu kümmern.
Sie beide waren in Ohnmacht gefallen; Yoongi wahrscheinlich kontrolliert und Jin vor Anstrengung.

Ich kniete mich neben den beiden nieder und bettete Jins Kopf auf meinem Schoß. Leise begann ich zu singen, während ich ihn durch die Haare strich. Es war ein Lied, was meine Eltern mir beigebracht hatten. Ich sang es nie, weil die Erinnerung an eine friedliche, glückliche Familie, die wir mal waren einfach zu schmerzhaft war, aber jetzt erschien es mir als angemessen.

Meine Macht tastete sich durch Jins Körper, heilte seine Wunde, sowie Taehyungs. Auch er hatte tiefe, alte Narben. Ich stärkte sein Band zu seinem Element und ließ nicht von ihm ab, ehe die Energie ihn durchströmte und er die Augen aufschlug. Meine Tränen tropften auf seine Wangen und ich lächelte ihn ebenso wie Tae voller Reue und Zuneigung an. Er betrachtete nur wissend mein Gesicht. Er wusste, was mit mir geschehen war.
Und er verzieh mir.

,Danke.', wisperte ich.
Ein winziges Lächeln umspielte seine vollen Lippen. Dann schloss er die Augen und fiel augenblicklich in einen tiefen Schlag, aus dem er hoffentlich voller Energie wieder aufwachen würde.

Ich strich meine Tränen von seiner Wange und stand vorsichtig auf. Jimin legte eine Hand auf meine Schulter.
,Kümmere dich um Yoongi. Ich bring ihn ins Bett.', sagte er leise und hockte sich neben den schlafenden Jin.
Ich nickte leicht und ließ mich nicht weit entfernt neben Yoongi auf den Boden sinken. Seine Mimik war gequält. Als würde er selbst ohne bei Bewusstsein zu sein, leiden. Ich legte meine Hand auf die frisch verheilte Wunde und ließ meine Macht in ihn fließen. Mit Schrecken stellte ich fest, dass die Verbindung zu seinem Element zerstört war und somit seine Lebenskraft fast vollständig ausgeschöpft war. Ich zwang mich zu einem klaren, sachlichen Verstand und knüpfte sorgfältig das Band neu. Als wäre es nie getrennt gewesen, fügten sich die beiden Enden zusammen und ich sah ein schwaches Aufblitzen. Ich musste das neue Band noch etwas perfektionieren, dann floss die leuchtende, blaue Energie ungehindert in ihn hinein. Mit Freude stellte ich fest, das sein Herzschlag kräftiger wurde und Farbe in seinen leichenblassen Körper zurückkehrte.
Während sein Körper dabei war sich zu regenerieren, tastete ich mich zu seiner Seele vor und heilte seine tiefsitzenden Wunden und Narben. Wie bei Jin und Tae ließ ich ihm jedoch die Erinnerung.

Ich nahm meine Hand von seiner Brust und erhob mich. In diesem Moment schlug er die Augen auf.
Ich schluckte, als ich den Schmerz in seinen Augen sah und weitere Tränen suchten sich einen Weg meine Wange hinunter.

Warum?', sagte er nur.

Ich schloss gequält die Augen.
,Weil ich ein Hybrid bin.'
Ich öffnete sie wieder und sah in seine Augen.
,Und weil ich schwach bin.'

Ich wandte mich ab. Ich konnte diesen Schmerz, diese Enttäuschung in Yoongis Augen nicht ertragen.

Ich musste bei dem Geschäftlichen bleiben. Nicht bei den Gefühlen. Dann konnte ich keinem helfen und meine Schuld begleichen.

Und ich spürte, dass es mit Jungkook bald zuende ging. Ich musste so schnell wie möglich die Qualen von ihm nehmen, sonst würde es ihn umbringen.

Ich verwandelte mich in einen Strahl aus Licht und innerhalb eines Wimpernschlages stand ich vor Jungkooks Tür.

Er war weg.

Es war unmöglich, dass er sich alleine wegbewegen konnte, das würden die Schmerzen nicht zulassen. Also musste ihn jemand weggebracht haben.

Ich schraubte meine aufkommende Panik hinunter.

Vielleicht hat ihn Jimin auf dem Weg nach oben gefunden und ihn in sein Zimmer gebracht.

Ich musste nüchtern bleiben, mich auf das Wieder-gut-machen konzentrieren. Ich schluckte meine aufkommende Gefühle hinunter und öffnete Jungkooks Tür.

Tatsächlich. Er lag auf dem Bett. Das Gesicht vor Schmerz verzerrt, der Mund zu einem stummen Schrei weit aufgerissen.
Sein Anblick war grauenhaft.

Aber er war nicht allein. Jimin saß auf einem Stuhl neben seinen Bett, das Gesicht in den Händen vergraben. Obwohl ich lautlos in das Zimmer geschlüpft war, drehte er sich zu mir um. Ich konnte nicht zuordnen, was ich in seinen Augen sah. War es Zorn - oder schlimmer, Hass? Nein, dazu war das Funkeln nicht intensiv genug. War es vielleicht Schmerz? Oder Mitleid?
Wie so oft wurde ich aus ihm nicht schlau.

Jimin ließ Jungkooks Hand los, erhob sich und ging, ohne mir noch eines Blickes zu würdigen, an mir vorbei. Schmerz durchzuckte mich, und neue Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich schluckte und riss mich zusammen.

Du musst Jungkook helfen!

Ich eilte zu ihm, klettere neben ihn aufs Bett und zog ihn zu mir. Dann wiegte ich ihn wie ein Baby in meinen Armen, drückte ihn gegen meine Brust und summte leise. Ich nahm das Leid von ihn, ließ ihn müde und träge werden, verstärkte aber gleichzeitig das Band zu seinem Element. Die Starre ließ sich nur langsam entfernen und ich schluchzte auf, als er leise anfing zu wimmern und sich in mein T-Shirt krallte. Ich versenkte mein Gesicht in seinen dichten Haaren und erstickte so meine Schluchzer.
‚Es tut mir so leid!', schluchzte ich.
'So unendlich leid!'

Ich ließ die letzten Reste meiner Macht durch seinen Körper fließen und nutzte sie, um die tiefe Wunde zu heilen, die ich in seine Seele gerissen habe. Die Ränder schlossen sich, aber ich konnte nicht verhindern, dass eine Narbe zurück blieb. Er würde sich für immer daran erinnern und immer werden die Schmerzen zurückkommen, wenn er daran denken würde. Das konnte ich nicht verhindern.
Das war meine Schuld.

Alles war nur meine Schuld.

Jungkook war still geworden, entzog sich aber nicht meiner Umklammerung. Ich war ihn dankbar dafür. Ich hatte mein Geschäft erledigt. Ich hatte jeden geheilt und die Wunden geschlossen. Nun kamen die Gefühle.

Es war schrecklich.

Wie eine mächtige Lawine rollten sie über mich hinweg und begruben mich zu einem winzigen Häufchen Elend.

Jungkook war da. Er hörte mir schweigend zu, schenkte mir Trost, indem er einfach nur da war und sich knuddeln ließ. Ich hatte das nicht verdient. Ich hatte die ganze Zuneigung nicht verdient. Aber ich war zu egoistisch, um ihn abzuweisen.
Ich brauchte es einfach.

So legte sich die Dunkelheit wie eine Decke auf die Welt und wie ein Vorhang aus Blei auf mein Herz.

War of Hormone [BTS]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt