8. Kapitel

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"Karma?", fragte ich und hob eine Augenbraue. "Was willst du mir damit sagen?" Ich starrte Adrian durchdringend an, doch er machte keine Anstalten seinen Blick vom Fenster zu lösen.

Langsam zuckte er mit den Schultern und sagte, mehr zu sich selbst, als zu mir: "Carma mit C."

Dann drehte er sich langsam zu mir, ein breites Grinsen aufgesetzt und wollte mir vermutlich eine Erläuterung abliefern, als er sich plötzlich dagegen entschied und stattdessen sein Handy herausholte und darauf herumtippte.

Ich biss mir auf die Lippe und versuchte verzweifelt herauszufinden, was er mit "Carma" meinte. War ich die Strafe für etwas, das er getan hatte? Dieser Gedanke tat weh. Er empfand mich also offensichtlich als lästige Bestrafung seiner Sünden. Ich seufzte und schlug mir gleich darauf erschrocken mit der Hand auf dem Mund.

Shit.

Ich erhaschte einen Blick auf Adrian, der den Blick von seinem Handy gehoben hatte und als Reaktion auf mein Seufzen die Nase rümpfte. Kopfschüttelnd wandte er sich wieder seinem Handy zu und lächelte, während er etwas las.

Bestimmt eine Nachricht von Hanna, dachte ich und ein Schmerz fuhr durch meinen Körper. Ich musste aufhören, eifersüchtig zu sein. Ich war diejenige, die ihre Beziehung erschwerte, nicht andersherum.

Trotzdem. Ich flirtete auch nicht einfach mit irgendwelchen Kerlen. Nicht, dass jemand mit mir flirten wollte. Doch wie unecht diese Ehe auch sein mochte, verheiratet war verheiratet und ich hatte im Gegensatz zu Adrian vor, mein Eheversprechen zu halten.

"Na toll", entfuhr es mir. Ich lief rot an, doch Adrian hatte mich zum Glück gar nicht gehört. Oder aber ignoriert. Das wusste ich nie. Na toll, dachte ich wieder. Dann wirst du tatsächlich als einsame Jungfer sterben.

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"Aufstehen! Wir sind da." Ich erkannte Adrians Stimme und spürte seine warme Hand an meinem Arm. Er schaute mich ungläubig an. "Steh auf Carma." Ich hörte ihn murmeln: "Die kann doch tatsächlich innerhalb von zwei Minuten einschlafen."

Ich blickte mich um und konnte die lauten Motorengeräusche von Flugzeugen, die abflogen oder landeten hören. "Flughafen?" sagte ich und unterdrückte ein Gähnen.

Adrian schaute mich an und sagte trocken: "Nein." Dann warf er mir einen entnerften Blick zu und stieg aus dem Wagen.

Ich verdrehte die Augen, reckte mich und sprang ebenfalls aus dem Wagen.

Adrian dachte gar nicht daran auf  mich zu warten und war schon auf dem Weg in den Flughafen. Ich beobachtete ihn, wie er mit dem Fahrer sprach, der unser Gepäck trug, die Hände in den Hosentaschen und sein gerader Rücken gespannt, seine Muskeln klar definiert ...

"Carma!"

Shit.

Schnell schaute ich weg. Ob er bemerkt hatte, dass ich ihn beobachtet hatte? Nun ja, selbst wenn, es war ihm offensichtlich gleichgültig, denn er hatte sich schon wieder abgewandt und lief davon.

Schnell folgte ich ihm.

Er schaute sich kein einziges Mal nach mir um, ich musste beinahe rennen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Erst als wir in seinem riesigen Privatjet saßen, schaute er mich kurz an und sagte mit einer Geste zur Bar: "Mach was du willst. Der Flug dauert ungefähr drei Stunden." Mit diesen Worten, setzte er sich so weit weg von mir wie möglich, holte seinen Laptop hervor und war schon kurz darauf geistig nicht mehr anwesend.

Nachdem wir in der Luft waren, stand ich auf und schaute mich etwas um. Hier konnte man praktisch leben. Es gab nicht nur ein Schlafzimmer, sondern auch eine Dusche. Und die Bar entpuppte sich als kleine Küche. Als mein Magen knurrte, wurde mir klar, dass ich noch gar nichts gegessen hatte. Ich machte mir einen Kaffee und aß eine Schüssel Cornflakes. Während ich mir eine zweite Tasse Kaffee machte, kam Adrian, nahm sich einen Apfel und ein Glas Orangensaft und ging wieder, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Ich sah ihm hinterher und verdrehte die Augen. So ein Freak, dachte ich.

Wie abschätzig er die Cornflakespackung angeschaut hatte. Er selbst ernährte sich offensichtlich lediglich von Obst. Ich zuckte die Achseln und ging zurück an meinen Platz. Während ich meinen leckeren Kaffee trank, hörte ich Musik auf meinem iPod. Ich lauschte der beruhigenden Stimme von Elena Tonra und wippte meine Füße im Takt mit, bis Adrian mir einen gereizten Blick zuwarf. Ich schaute ihn fragend an, doch bevor er reagieren konnte, schloss ich meine Augen. Auf sein Gemecker konnte ich im Moment verzichten.

-----Adrians POV

Ihre Musik war trotz der Kopfhörer laut und deutlich zu hören. Es war einfach unmöglich mich zu konzentrieren und ich musste arbeiten. Ich wollte ihr sagen, dass sie ihre schnulzige Musik leiser machen sollte, doch sie hatte die Augen geschlossen. Schon seit zehn Minuten starrte ich sie an und flehte sie innerlich an, sie zu öffnen. Als sie sie nach weiteren zehn Minuten noch immer nicht geöffnet hatte rief ich nach ihr: "Blake!" Hey, Carma!"

Bei "Carma" musste ich schmunzeln. Ich hatte beschlossen sie so zu nennen. Als ich vorhin im Wagen erfahren hatte, dass sie Carmen mit Zweitnamen hieß, war mir direkt "Carma" in den Sinn gekommen. Ich wusste selbst nicht genau, was es mit diesem Spitznamen auf sich hatte, doch er passte zu ihr.

Natürlich hörte sie mich nicht. Ich rief noch einmal, diesmal lauter: "Blake Carma!"

Keine Reaktion. Natürlich nicht. Bei der Lautstärke.

Ich musste mir von jedem immer anhören, dass ich zu laut Musik hörte, doch sie toppte mich bei Weitem. Mir taten die Ohren schon vom Blick auf die Kopfhörer weh. Ich verdrehte die Augen und stand auf. Ich fasste sie an die Schulter, doch sie rührte sich nicht. Auch nach leichtem Schütteln, keine Regung. Das war so lächerlich, dass ich laut auflachen musste. Sie war schon wieder eingeschlafen.

Kopfschüttlelnd nahm ich ihr die Kopfhörer ab und erkannte den Song. "Come get some". Stirnrunzelnd sah ich die fremde Frau vor mir an. Sie war echt eigenartig. Ich könnte schwören, dass ich vorhin klassische Musik erkannt hatte und jetzt lief so ein verdammt cooler Song auf ihrem iPod? Sie war mir ein Rätsel. Ich stellte den iPod ab, als sie sich plötzlich bewegte und beinahe die Tasse mit ihrem Kaffee verschüttete. Schnell griff ich danach und brachte sie in die Küche. "So ein tiefer Schlaf trotz schwarzem Kaffee?", murmelte ich während ich den Rest in die Spüle schüttete.

Als ich zurück an meinen Platz ging, schlief sie immer noch tief und fest. Die ließ sich echt nicht stören. Ich nahm meinen Laptop, doch statt zu arbeiten musste ich grinsen. Ich machte sie so verdammt nervös, es war lächerlich. War sie tatsächlich so prüde? Sie rief knallrot an, wann immer ich sie anschaute. Es machte echt Spaß, sie so auf den Arm zu nehmen. In Zukunft würde ich sie öfter anschauen, so viele verschiedene Rottöne hatte ich noch nie gesehen. Und wie peinlich ihr die Sache mit der Unterwäsche war! Bei dem Gedanken an ihren Aufschrei, nachdem sie es endlich kapiert hatte, konnte ich ein Auflachen nicht unterdrücken.

Und Ihr Blick, weil ich sie so früh geweckt hatte! Dabei hatte ich nicht einmal gewusst, dass sie so ein Problem mit dem Frühaufstehen hatte. Jetzt hatte ich noch etwas, womit ich sie ärgern konnte. "Ich werd dich nie wieder genug schlafen lassen Carma", sagte ich und schaute in ihre Richtung.

Mit ihrer riesen Brille auf der Nase sah sie aus wie ein perfekter Nerd. Sie war so unscheinbar, beinahe durchsichtig. Sie war so zierlich, dass sie beinahe in ihrem Sitz verschwand.

Ich wandte mich von ihr ab und versuchte mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Doch ich bekam den Song nicht aus dem Kopf und suchte danach auf YouTube. Ich konnte meine Kopfhörer nicht in meiner Laptoptasche finden, also nahm ich Carmas. Während ich den Song hörte, schweiften meine Gedanken ab.

Hoffentlich würde Carma nicht allzu sehr ausrasten. Selbst wenn! Was interessiert mich das? Ich würde meine Woche ohne Arbeit genießen. Sollte sie doch dasselbe tun, nur ohne mich. Das konnte doch nicht allzu schwer sein, oder? Ich zuckte die Achseln und schüttelte den Gedanken an meine "Ehefrau" ab. Sie würde mir meinen Urlaub mit Sicherheit nicht versauen. Ich klickte erneut auf "play" und machte mich an die Arbeit.


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I took my love to, to the mountain,

and you told me I've gotta let it go.

I swear it makes sense,

oh, but it's under the surface.

- This, the silent war: Setting sun

Nein, Ich will.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt