11.Kapitel

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Mittlerweile ist ein Monat vergangen, seitdem ich Forsters Männer habe hochgehen lassen. Mit geht es gut und ich habe Fortschritte gemacht. Von den Verletzungen sieht man kaum noch etwas und ich fühle mich langsam aber sicher wieder wie ein Mensch und keine Dauerbaustelle, auch wenn das Laufen noch ausbaufähig ist.

Zwar habe ich schon seit einigen Tagen eine Übergangsprothese, damit ich das Gehen schon üben kann, doch es ist mühsam und ich verbringe Stunden in der Physiotherapie, wo ich an einer Art Barren stehe und vorsichtig einen Fuß vor den anderen setze.

Endlich wieder aufrecht stehen zu können, tut gut, doch es ist verdammt schwer, ein Gefühl für die Prothese zu bekommen. Wenn ich es mit etwas vergleichen müsste, würde ich sagen, es ist, als ob man versucht mit einem eingeschlafenen Bein zu laufen. Immer wieder verliere ich das Gleichgewicht und muss ständig nach unten sehen, um zu erkennen, was das Bein macht. Das findet der Physiotherapeut natürlich überhaupt nicht gut und versucht mich, davon abzuhalten. Das wiederum ärgert mich und wir blaffen uns mehrmals ziemlich grob an.

Louis kommt jeden Tag vorbei und weil ich mittlerweile keine Gefahr mehr laufe, bei der kleinsten Infektion zu sterben, muss er sich nicht mehr jedes Mal aufwändig desinfizieren. Das erleichtert ihn ungemein und es spart Zeit, denn der Vorgang dauerte jeden Tag fast eine Dreiviertelstunde.

An einem sonnigen Mittwochnachmittag sitze ich zusammen mit Louis am offenen Fenster meines Zimmers. Draußen ist das Wetter wunderschön, aber wir können nicht raus, denn ich werde heute entlassen und muss zum Abschlussgespräch noch bleiben. Mr Tomlinson hat mit Dr MacLeay vereinbart, dass er sich um meine weitere Rehabilitation kümmern wird, weshalb er zugestimmt hat, mich gehen zu lassen. Meine Prothese ist noch nicht fertig, doch ich darf die Übergangsprothese so lange behalten.

„Du siehst heute wieder sehr müde aus, was ist los?", frage ich Louis und mustere sein blasses Gesicht. Bisher weiß ich nur von Mr Tomlinson, dass Louis schlecht schläft. Er selbst hat es mir nicht gesagt, vielleicht weil er nicht will dass ich mir Sorgen mache, oder keine Schwäche zeigen möchte. Er gähnt und nickt, bevor er sich durch die Haare fährt und mich müde anblinzelt. „Ich hab heute Nacht wieder versucht, ohne Schlaftabletten zu schlafen, aber es geht nicht. Ich lag bis vier Uhr wach...unglaublich." Er gähnt erneut, lehnt sich dann zurück und schließt die Augen. „Schlaftabletten?", frage ich besorgt und Louis nickt langsam. „Seit der Entführung habe ich Probleme...ich kann nicht sonderlich gut schlafen und mein Arzt hat mir leichte Tabletten verschrieben, die ich aber nur im Notfall nehmen soll."

„Aber, ist das nicht gefährlich? Davon kann man abhängig werden", frage ich besorgt, denn es beunruhigt mich, dass Louis vielleicht nur noch mit Tabletten schlafen kann. Das sollte auf keinen Fall ein Dauerzustand sein. „Ja ich weiß, deswegen will ich ja auch keine nehmen", gähnt Louis und lehnt sich wieder an den Fensterrahmen. „Hast du denn noch Albträume?" Er nickt knapp und schluckt. Seine Augen fixieren einen Marienkäfer, der am Fensterrahmen hinaufkrabbelt und langsam sagt er: „Sobald ich die Augen zumache, höre ich die Stimmen dieser Typen und habe Angst, dass sie mich wieder überfallen und mitnehmen. Ich weiß, dass es vollkommen hirnrissig ist, weil sie beide tot sind und alle anderen ja auch nicht mehr da sind...aber Angst habe ich trotzdem. "

„Das kann ich vollkommen verstehen. Vielleicht sollten wir mal eine Zeit lang aus London rausfahren, um ein wenig Abstand zu gewinnen", überlege ich. Diese Idee schwirrt mir schon eine ganze Weile im Kopf herum, aber ich weiß, dass mein momentaner Zustand keinen Urlaub erlaubt.

Doch die Pläne, die Mr Tomlinson hat, sind anders und das erfahre ich wenig später, als Mr Tomlinson gemeinsam mit Dr MacLeay das Zimmer betritt.

Der Arzt untersucht mich nochmals gründlich, besieht sich das Glasauge, kontrolliert Puls, Atmung und sieht sich den Stumpf an. Dieser fühlt sich mittlerweile nicht mehr ganz so seltsam an und auch die Phantomschmerzen sind ein wenig seltener geworden. „Machen Sie weiter Ihre Physiotherapie und überanstrengen Sie sich nicht, Mr Styles. Ich wünsche Ihnen alles Gute." Er lächelt mich ehrlich an und schüttelt mir die Hand zum Abschied, dann unterschreibe ich meine Entlassungspapiere und bin offiziell kein Patient dieses Krankenhauses mehr.

Heal me • Buch III (Two Hearts Reihe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt