19.Kapitel

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Draußen scheint die Sonne und ich nicke zur Eingangstür. „Wollen wir vielleicht raus in den Garten gehen?", schlage ich vor und sie folgt meinem Blick hinaus auf das Gelände, nickt unsicher. Wenn wir jetzt da raus gehen, wird sie mir sagen müssen, weshalb sie hier ist und das scheint ihr ein wenig Angst zu machen. Um ihr diese Entscheidung zu erleichtern, gehe ich einfach los, steige vorsichtig die Steinstufen hinunter und trete in die Sonne, die auf den Vorplatz scheint.

Wir gehen langsam auf dem Kiesweg um das Haus herum, bis wir auf der Rückseite ankommen. Dort erstreckt sich der weitläufige Garten, den ich bisher nur vom Fenster aus gesehen habe und er ist wesentlich beeindruckender, wenn man direkt davor steht.
„Es ist schön hier", sagt Emilia leise und zieht ein wenig die Schultern hoch. Ihre Augen folgen einer kleinen Gruppe Patienten, die wieder mit den Cricketschlägern unterwegs sind. Ob die jeden Tag hier draußen spielen? Vielleicht ist das ein Teil einer Therapie.

Die ersten 500 Meter über das dichte, weiche Gras, legen wir schweigend zurück, erst dann fragt sie mich leise, wie es mir geht. „Den Umständen entsprechend", antworte ich ausweichend. Was will sie hören? Dass ich 'gut' sage? Ganz sicher nicht. Denn es geht mir nicht gut.

„Was ist mit Louis?"

„Was weißt du denn alles?", stelle ich die Gegenfrage. Bevor ich ihr von Louis erzähle, will ich wissen, wie viel sie mitbekommen hat.
„Ich habe mit Marc gesprochen. Nachdem mein Vater festgenommen wurde, hatte ich endlich den Mut, mich mit Louis in Verbindung zu setzen. Doch als ich endlich bis zu Marc durchgekommen bin, sagte er mir, was alles passiert ist und ich..."

„Moment mal", unterbreche ich sie und bleibe stehen. „Du hattest endlich den Mut, dich mit Louis in Verbindung zu setzen? Hattest du das nicht, solange dein Vater noch auf freiem Fuß war?"

Ich erinnere mich, dass sie sagte, sie hatte Louis freiwillig abgegeben. Irgendwas in mir, sagt mir gerade, dass das nicht so ganz gestimmt haben kann. Tatsächlich senkt Emilia den Kopf und weicht meinem Blick aus.

Was genau ist hier los?

„Ich habe dir nicht ganz die Wahrheit gesagt", fängt sie an, holt zitternd Luft und ihre Augen schimmern schon wieder feucht. Wie gerne würde ich sie jetzt in den Arm nehmen, aber ich weiß gerade nicht wirklich woran ich an ihr bin, weshalb ich mich zurückhalte. Langsam gehen wir weiter, allerdings in einem Schneckentempo. Genauso langsam spricht sie, als sie anfängt zu erzählen.

„Mein Vater hat mich damals gezwungen, Louis abzugeben. Er konnte Mr Tomlinson Senior nicht leiden. Ich habe nie herausgefunden, was zwischen den beiden nicht gepasst hat, vielleicht ging es um eine Frau – keine Ahnung. Jedenfalls wollte er mit der Familie nichts zu tun haben. Dass ich dann ausgerechnet mit dem Sprössling des Mannes, den er so verabscheut, ein Kind bekomme, hat ihm nicht gepasst. Vermutlich hätte er mich sogar zur Abtreibung gezwungen, allerdings habe ich die Schwangerschaft erst bemerkt, als es dafür bereits zu spät war und weil mein Vater meine Gesundheit niemals aufs Spiel gesetzt hätte, ließ er mich das Kind gezwungenermaßen austragen. Als Louis dann geboren wurde, habe ich ihn kurz gesehen, dann hat mein Vater ihn genommen und abgegeben."

Sie versucht alles, um Haltung zu wahren, doch ich sehe ihr an, dass sie sich verdammt schwer damit tut. Sie zittert regelrecht, blinzelt die Tränen weg und weicht meinem Blick aus.

Scheiße, sie tut mir so leid. Diese Frau ist gebrochener, als ich je angenommen hatte. Interessant, wie gut sie es bisher verbergen konnte.

„Ich hatte keine Zeit, ihn genau anzusehen und mich zu verabschieden...mir ging es danach so dermaßen schlecht. Wie soll man damit umgehen, wenn man sein Kind nicht einmal kurz auf der Welt willkommen heißen darf?" Sie klingt fast schon pampig und wird sogar kurz laut. „Entschuldige bitte, dass ich mich so aufführe...das ist immerhin schon 18 Jahre her, da sollte man meinen, ich sei drüber hinweg." Jetzt gibt sie den Tränen nach und ich lasse die Krücken fallen, um sie doch in den Arm zu nehmen. In dem Moment brechen alle Dämme bei der zierlichen Frau und sie fast zusammen.

Heal me • Buch III (Two Hearts Reihe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt