24.Kapitel

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Die nächsten Tage werden alles andere als gut und das, obwohl Miss Richter wieder vorbei kommt, um mir die Prothese noch besser anzupassen. Jetzt rutsche ich nicht mehr weiter hinein und fühle mich deutlich sicherer. Doch das ist auch das einzig Positive in diesen Tagen.

Sowohl das Wetter schlägt um, als auch die Stimmung in der Klinik. Obwohl ich in der Therapie Fortschritte mache, habe ich nachts ab und zu schlimme Träume und wache häufig nach Luft schnappend auf. Zweimal mussten die Ärzte mich nach einer Panikattacke beruhigen, die so heftig waren, dass man mir danach ein Medikament zur Ruhigstellung gegeben hat.

Der Schlafmangel setzt Louis langsam wirklich zu. Obwohl er jung ist und es sicher Leute in seinem Alter gibt, die ebenfalls wenig schlafen, weil sie viel feiern gehen, oder nächtelang für die Uni lernen – Louis leidet. Wenn es hochkommt, bekommt er drei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht. Er ist launisch, lustlos und tut sich schwer damit, sich auf die Therapie zu fokussieren. Das geht allerdings auch nicht sonderlich gut, wenn man nachts nicht schlafen kann. Ihn plagen die Albträume und weil er sich weigert, Schlaftabletten zu nehmen, wacht er natürlich ständig auf. Manchmal liegt er stundenlang im Bett und kann nicht schlafen, wälzt das Erlebte im Kopf hin und her und so vergeht eine Nacht nach der anderen. Dadurch sinkt seine Laune und er tut sich schwer, dem Psychologen seine Gedanken anzuvertrauen.

Meine Therapie hingegen läuft gut. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich trainiere eisern, um mich an die Prothese zu gewöhnen. Die eingebauten Sensoren wurden mittlerweile auch aktiviert und helfen mir dabei, den Fuß zu spüren, indem sie den Druck auf den Stumpf übertragen und mittlerweile habe ich die Krücken hinter mir gelassen. Trotzdem verbringe ich die Abende oft noch im Rollstuhl, weil ich den Stumpf natürlich auf keinen Fall überlasten möchte. Wenn das passiert, wirft es mich um Wochen zurück.

Da es mir aber recht gut geht, wenn man von den schlechten Träumen einmal absieht, kann ich mich um Louis kümmern und diese Zeit nutze ich.

Sobald die Therapiestunden des Tages vorbei sind, sehen wir uns, schauen auf einem unserer Zimmer fern, oder streifen über das Gelände der Klinik. Das Grundstück dürfen wir noch nicht verlassen, die äußeren Einflüsse sind noch zu stark und wir sollen langsam und in Ruhe an das normale Leben herantasten. Noch ist nicht die Zeit dazu.

„Hilft deine Therapie?", fragt Louis müde, als wir an einem kühlen Abend in Regenjacken und Hand in Hand ganz hinten im Garten stehen. Ich habe meine Prothese angelassen, um das Laufen auf weichem Erdboden zu üben. Langsam und ein wenig wackelig trete ich ans Ufer des kleinen Flusses, der sich auf dem Gelände befindet und das mit kleinen, flachen Kieselsteinen aufgeschüttet wurde. Ich schaffe es, in die Hocke zu gehen und strecke die Hand aus, um die Finger ins Wasser zu halten.

„Ja, sie hilft. Ich komme sehr gut mit Mr Tennant zurecht...meine Albträume sind auch schon ein bisschen besser geworden", erzähle ich und Louis seufzt neidisch – ja fast schon wütend. Er kneift die Lippen zusammen, stellt sich unter eine große Eiche, einige Meter entfernt. „Bei mir ist es furchtbar", sagt er leise und verliert sich beim Blick ins Wasser. Seine Augen wirken kurz abwesend und er scheint in Gedanken nochmal die Träume der letzten Zeit zu durchleben. Ich beobachte ihn dabei und wir sehen uns in die Augen, dann senkt Louis den Blick, scheint wieder zu sich zu kommen und tritt auf mich zu.

Langsam stellt er sich hinter mich, um sicher zu gehen, dass ich nicht ins Wasser falle. Der feine Regen, der vom Himmel fällt, rauscht in den Blättern der alten Eiche, kommt aber kaum auf dem Boden darunter an, sodass wir trocken bleiben. „Pass auf, dass du nicht baden gehst", sagt er leise und seine Hand streift meine Schulter. Obwohl er nicht gut gelaunt ist, höre ich, dass er lächelt. „Ach, wenn ich reinfalle, dann habe ich einen Freund, der mich bestimmt wieder rausholt", sage ich, hebe den Kopf und sehe ihn an. Seine Hand ballt sich zusammen und er krallt die Finger in meine Schulter.

Heal me • Buch III (Two Hearts Reihe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt