Ich wachte auf, als ich merkte wie ich mich im Schlaf auf die verletzte Seite gedreht hatte. Die ganze Nacht über hatte ich schon kaum geschlafen, da ich öfter auf der verletzten Schulter landete und dann jedes Mal wach wurde.
Mein Blick fiel auf das Glas Wasser und die Schmerztabletten, die Will mir in der Nacht hingestellt hatte und ich überlegte, ob ich sie nicht doch nehmen sollte um vielleicht noch ein paar Stunden ohne Zwischenfälle zu schlafen, doch ich entschied mich dagegen.
Seufzend schlug ich die Bettdecke zurück und stand auf, erwartete Will in seinem Bett liegen zu sehen, doch als ich anklopfte und nachsah, war alles leer. Wo war er? Es war immerhin noch recht früh am morgen und für gewöhnlich stand Will selten vor zehn auf. Ich runzelte die Stirn, als ich darüber nachdachte wo er sein könnte. Hatte er vielleicht die Nacht auch außerhalb verbracht? Aber er war pleite und das Geld von dem gestrigen Auftrag hatten wir noch nicht eingefordert.
Gerade als ich mit dem Gedanken spielte ihn anzurufen, glitt die Wohnungstür auf und Will betrat die Wohnung, in einem Arm eine Tüte voller Brötchen, in der anderen eine Einkaufstüte.
»Ich hoffe du hast wenigstens etwas geschlafen?«, fragte er mich und ich schüttelte mit dem Kopf.
»Du hast die Schmerzmittel nicht angerührt. Wie immer.« Er wusste genau, dass ich nur selten Medikamente nahm und Schmerzen lieber aushielt und er hatte es aufgegeben mich vom Gegenteil zu überzeugen.
»Du kannst dich ja nach dem Frühstück noch einmal hinlegen und versuchen dich zu erholen.« Ich betrachtete kritisch die Einkäufe auf dem Tisch, er war in all den Jahren nur selten einkaufen gegangen und normalerweise drückte er sich vor solchen Aufgaben wenn er konnte.
»Ich hatte schon schlimmere Verletzungen und bin trotzdem noch auf Aufträge gegangen. Seit wann gehst du überhaupt so früh schon einkaufen?« Ich ließ mich an den Tisch fallen und bewegte den rechten Arm, doch zuckte da meine Schulter wehtat.
»Ich konnte nicht mehr schlafen und ich wollte das Geld von dem Auftrag abholen. Bevor ich dich kannte habe ich es auch geschafft mich allein zu versorgen.« Er räumte den Kühlschrank ein, dann deckte er den Tisch und kochte Kaffee. Es war seltsam ihn dabei zu sehen, immerhin machte er sonst so gut wie gar nichts, aber ich beschloss es nicht weiter in Frage zustellen.
»Gab es irgendetwas Neues?«
»Nein, Tom meinte im Moment hat er nichts für uns.« Ich nickte, dann begann ich zu Essen. Es gab Zeiten, wo wir von Aufträgen überrannt wurden und Zeiten, wo wir Wochen, manchmal sogar Monate nichts bekamen. Niemand von uns wusste, wie genau Tom Aufträge verteilte – manchmal schien es wahllos zu sein, manchmal wirkte es aber auch als hätte er ein bestimmtes System dahinter. Unter Tom arbeiteten ungefähr sieben Leute, mich und Will eingeschlossen, alle mit besonderen Talenten und bevorzugten Methoden. Ich konnte mich erinnern, dass ich einer sogar mal bei Tom begegnet war – einer Frau, die hauptsächlich reiche Geschäftsmänner verführte und diese dann tötete, oft im Auftrag des Konkurrenten oder einer fallen gelassenen Geliebten. Andere arbeiteten mit verschiedenen Arten von Gift und Chemikalien, wieder andere erledigten Hackerangriffe und räumten Konten leer oder veröffentlichen private Dokumente. Man musste nicht immer jemanden töten, manchmal war der wirtschaftliche und private Schaden wesentlich schlimmer als der Tod.
Ich und Will hingegen waren vor allem auf solche Sachen spezialisiert, die Mafia, Drogenringe, Straßengangs oder irgendwelche reichen Politiker, die irgendwie in so etwas verwickelt waren, betrafen. Ich wusste zwar nicht woher, aber Will besaß ein ausreichendes Wissen was Drogen, Dealer und Menschenhandel betraf und auch ich hatte früher häufig Aufträge in diesem Gebiet erledigt.
»Seth, es gibt da etwas worüber ich mit dir sprechen möchte.« Ich sah Will aufmerksam an, der anscheinend gerade in seinem Kopf nach der richtigen Formulierung seiner Worte suchte. Normalerweise redete er immer ohne groß nachzudenken.
»Nach drei Jahren kommt es etwas spät, aber findest du es nicht besser, wenn wir uns irgendwie orten könnten? Gerade weil wir viel mit gefährlichen Leuten zu tun haben, würde ich es für das Beste halten. Wenn jemandem von uns etwas passieren würde, könnte der andere zumindest versuchen zu helfen.« Ich hob eine Augenbraue. Noch nie hatte Will Interesse an solchen Dingen gezeigt – im Gegenteil, normalerweise war ich ihm genauso egal wie die Farbe seiner Schnürsenkel.
»Woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel?«, fragte ich und er verdrehte die Augen.
»Wir sind schon seit drei Jahren Partner und niemandem vertraue ich so sehr wie dir. Keine Angst – ich werde dir nicht hinterherspionieren, es interessiert mich nicht was du in deiner Freizeit so treibst, aber gerade bei einem Auftrag wäre es doch nur von Vorteil.« Ich ließ mir seinen Vorschlag einen Moment lang durch den Kopf gehen, dann nickte ich langsam.
»Gut. Aber wen sollten wir damit beauftragen? Ich möchte nicht zu einer x-beliebige Person gehen der ich nicht vertrauen kann und die im schlimmsten Fall unseren Aufenthaltsort noch verraten würde.« Will fuhr sich durch die Haare.
»Der Kleine hat dir doch gestern seine private Nummer gegeben. Wäre er nicht geeignet dafür? Ich glaube nicht dass er uns verraten würde, er ist dir echt dankbar dass du ihn gerettet hast und er wirkt wie jemand, der noch Ehre besitzt.« Aus irgendeinem Grund schien es Will nicht so recht zu gefallen, aber da der Vorschlag von ihm kam, stimmte ich zu und kramte den kleinen Notizzettel mit der Nummer heraus.
Ich wählte die Nummer und schon nach dem zweiten Klingeln meldete sich eine verschlafene Stimme.
»Ja?«
»Sebastian? Hier ist Seth, der von gestern.«
»Ich hätte nicht so schnell mit deinem Anruf gerechnet. Ist etwas vorgefallen?«, fragte er, plötzlich hellwach, aber doch mit einem freundlichen Unterton in der Stimme.
»Es gibt da etwas, was wir dich fragen wollten. Ist es okay, wenn wir kurz vorbeikommen?«
»Ich habe heute Abend ab Sechs Zeit, klingelt einfach.«
»Danke.«
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Nameless (Boyslove)
Genç KurguWill und Seth leben in einer Stadt, die unterschiedlicher nicht sein könnte: Es gibt die prachtvollen, schönen Stadtteile, und die verwahrlosten Viertel, wo der Abschaum der Gesellschaft lebt der vermutlich nie eine echte Chance auf ein besseres Leb...