1.Kapitel

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Es regnete in Strömen, als ich durch die dreckigen und nach Abfall stinkenden Straßen der Stadt lief und die Tüte mit den Brötchen unter meiner Jacke steckte, damit diese nicht nass wurden. Ich lebte in einer Stadt, die gegensätzlicher nicht sein konnte: Es gab fröhliche, prachtvolle und schön aussehende Stadtteile, für Touristen und die Leute mit Geld, und es gab die Viertel die nach Abfall rochen, Teile der Stadt wo die armen Leute mit nur wenig oder keinem Geld lebten, Prostituierte, Schläger, Obdachlose, Alkoholiker... Menschen die zu einer Straßengang gehörten und ständig Bandenkriege anzettelten...

Es war der Rand der Gesellschaft, Abschaum dem niemand half ein besseres Leben zu führen, niemand der sich um diese Stadtteile kümmerte oder auch nur Interesse an ihnen zeigte, der auch nur versuchte etwas daran zu bessern. Wer einmal hier landete blieb meistens auch den Rest seines Lebens und es gab nur wenige welche den Sprung in eine bessere Zukunft schafften oder diese verseuchte Stadt verließen.

Meine Wohnung befand sich in einem Gebäude, das von außen aussah als würde es bald in sich zusammen fallen, mit schiefen undichten Fenstern, ohne Heizung und einer Treppe, die auch schon bessere Tage gesehen hatte und bei der man das Gefühl bekam, sie würden jeden Moment unter einem zusammen brechen. Erstaunlicherweise waren im Gegensatz dazu die Türen der Wohnungen erstaunlich stabil, man brauchte schon mehr als einen kräftigen Tritt um sie gewaltsam zu öffnen. Mit dem Geld was wir hatten konnten wir uns durchaus auch etwas besseres leisten, aber Will zog es vor in solchen Gegenden zu bleiben, auch wenn ich nicht ganz nachvollziehen konnte weshalb.

Ich kramte den Schlüssel aus meiner Jackentasche und schloss dann die Tür auf, atmete einmal tief durch.

»Bin wieder da«, sagte ich. Es war niemand in dem großen Raum, der Wohnzimmer und Küche in einem war, also ließ ich die Tüte mit den Brötchen auf den Tisch fallen und klopfte an Wills Zimmer an.

»Will. Bist du wach?« Ohne seine Antwort abzuwarten, öffnete ich die Tür und erstarrte, als mein Blick auf das Bett fiel. Dort lag eine Frau drin, offensichtlich eine Prostituierte, welche gerade erschrocken aufquickte. Beinahe zeitgleich öffnete sich die Tür zum Badezimmer und Will kam heraus, mit einer lockeren Jogginghose und einem Handtuch, mit dem er sich seine kurzen, dunkelblonden Haare trocken rubbelte.

»Hey, Jenna! Ich hab dir doch gesagt du sollst hier raus sein, bevor ich fertig bin«, sagte Will zu der Frau, welche nun hastig ihre Sachen anzog und dann an mir vorbei zur Tür hinaus verschwand. Ekliges, süßes Parfüm stieg mir in die Nase und ich seufzte genervt auf.

»Ich habe es dir schon einmal gesagt, dass ich es nicht gut finde wenn du ständig die ganzen Huren anschleppst. Eines Tages fängst du dir noch eine Krankheit ein oder eine von denen überfällt dich.«

»Lass das mal meine Sorge sein«, sagte Will und zuckte desinteressiert mit der Schulter. Er war ziemlich muskulös und auf seinem Rücken konnte ich die verschlungenen Muster eines Tattoos erkennen, welches sich über seine Schultern zog.

»Ich wohne aber ebenfalls noch hier und ich will die nicht hier haben«, fuhr ich fort und tat so, als hätte ich ihn nicht gehört, doch Will machte nur eine wegwerfende Bewegung.

»Seit wann hast du denn das Recht Anforderungen zu stellen? Ich kann tun und lassen was ich will auch ohne deine Erlaubnis. Nur weil wir Partner sind und zusammen leben, heißt dass nicht das du mir auf den Sack gehen darfst.«

Ich zuckte mit der Schulter. Eine Diskussion war vollkommen sinnlos, Will machte ohnehin was er wollte und für ihn war ich nicht mehr als ein Partner, mit dem er zusammen Aufträge erledigte und würde nie mehr als das sein.

»Vielleicht interessiert es dich ja, aber ich habe uns immerhin einen neuen Auftrag besorgt, während du gestern mal wieder einfach verschwunden warst.« Will warf einen großen, braunen Umschlag auf den Tisch und ging dann zum Kühlschrank, wo er etwas zum Essen herausholte damit wir die Brötchen essen konnten. Ich ließ mich auf einen der alten Holzstühle fallen und zog ein Bild aus dem Umschlag, das einen blonden Jungen, höchstens vierzehn Jahre alt zeigte. Ich hob eine Augenbraue.

»Anscheinend ist er der Sohn von irgendeinem Politiker und wurde entführt. Sie vermuten dass es eine der Gangs war, da der Typ versucht ein„Säuberungsprogramm" ins Leben zu rufen, womit er versucht die ganzen kleineren Banden zu eliminieren um gegen Kriminalität vorzugehen, auch wenn der sich vermutlich niemals an die großen Drogenbosse rantrauen wird. Jedenfalls sollen wir herausfinden wo er ist und ihn befreien, möglichst ohne ihm Schaden zuzufügen und dann an einem sicheren Ort absetzen. Wir haben jegliches Sonderrecht ihn zu befreien«, sagte Will und nahm sich ein Brötchen, während ich das Bild genau betrachtete und es mir einprägte. Sonderrecht hieß, dass wir nicht darauf achten mussten die Entführer unverletzt oder am Leben zu lassen, sondern einfach alles tun konnten was nötig war um den Jungen möglichst lebend zu befreien. Diese Aufträge waren meistens sogar angenehmer, es war schwieriger darauf zu achten niemanden stark zu verletzen und nur bewusstlos zu schlagen.

»Anhaltspunkte gibt es nicht wirklich, aber man vermutet dass es welche von den Reaper waren, keine aus der Führungsebene, eher kleine Fische die versuchen damit Eindruck bei ihrem Boss zu machen.« Ich betrachtete das Foto noch einmal kurz, dann schob ich es in den Umschlag zurück, holte mein Feuerzeug heraus und verbrannte alles, damit keine Spuren zurück blieben. 

»Das hier ist übrigens das Geld für unseren letzten Auftrag. Meinen Anteil habe ich schon genommen«, meinte er dann und warf mir ein dickes Bündel Geld zu. Es war genau die Hälfte, so wie ich es von ihm gewohnt war und ich verstaute es zusammen mit dem anderen Geld in meiner kleinen, verschließbaren Kiste die unter meinem Bett stand. Will hingegen gab sein Geld fast immer für Alkohol, Tabak und Prostituierten aus und die Tage nach einem Auftrag ließ er es sich richtig gut gehen, während ich überhaupt nicht wusste was ich mit dem Geld alles tun sollte. Manchmal mussten wir in andere Städte und uns dort Hotels nehmen, dafür ging oft viel Geld drauf, aber ich hatte dennoch immer etwas übrig.

»Hast du eine Ahnung wie wir vorgehen?«, fragte Will und ich schüttelte mit dem Kopf.

»Sie werden sicherlich im Gebiet der Reaper sein, aber entfernt von der Führungsebene. Ich denke irgendein verlassenes Fabrikgelände. Wenn wir Pech haben, dann haben die Bosse schon mitbekommen was sie getan haben und werden das alles selbst beendet haben, dann sinken die Chancen dass der Junge unversehrt ist oder noch lebt.« Will verzog das Gesicht.

»Dann wollen wir mal hoffen, dass wir Glück haben und die Entführer nicht so dumm waren mit ihm sofort zu ihrem Boss zu rennen. Wie ich das hasse.«  

Nameless (Boyslove)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt