Als ich nach Hause kam, saß Will am Tisch. Sein Kopf ruhte auf seiner Armbeuge und der Kaffee in seiner Tasse war kalt. Ich weckte ihn mit einem nicht gerade sanften Stoß in die Seite und sofort schreckte er hoch und gähnte, dann musterte er mich.
»Ich habe einen neuen Auftrag. Begleitschutz. Wir sollen einen gewissen Sebastian auf eine Feier begleiten und dafür Sorgen, dass er ohne einen Kratzer wieder nach Hause kommt«, meinte ich und warf ihm den Umschlag vor seiner Nase auf den Tisch. Müde blinzelte er, sein Gehirn brauchte vermutlich eine Weile um die Information zu verarbeiten. Will hasste nichts mehr, als wenn er für irgendjemanden den Babysitter spielen musste und er verzog das Gesicht.
»Und was soll an ihm so wichtig sein? Politiker? Mafiasprössling? Hohes Tier einer Firmenkette?«
»Hacker.«
»Ein Hacker?«, wiederholte Will und zündete sich seufzend eine Zigarette an.
»Es wird behauptet, dass er einer der Besten ist. Er hatte schon in vielen Dingen seine Finger im Spiel und er steht unter dem Schutz eines großen Mafiabosses, ist einer der Top-Informanten, da er dir beinahe alles beschaffen kann. Das macht ihn unglaublich gefährlich – es gibt genug die ihn tot sehen wollen oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten selbst ausnutzen wollen.«
»Wenn er unter einem Mafiaboss arbeitet, hat er da nicht genug eigenes Schutzpersonal? Wenn er gut ist, dann müsste man ihn doch bewachen als wäre er ein Schatz.«
»Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal. Erledigen wir einfach wie immer unseren Auftrag ohne Fragen zu stellen.«
»Wann geht es los?«
»Heute Abend um sechs sollen wir dort sein. Die Adresse steht drin... und ein Anzug ist Pflicht. Also rasier dich und versuch wenigstens etwas gepflegt auszusehen«, wies ich ihn an. Er grummelte, dann verschwand er im Bad aus dem er eine ganze Weile nicht mehr herauskommen würde.
Ich ging zu meinem Kleiderschrank und nahm zwei Anzüge heraus, welche wir nur für solche Aufträge angeschafft hatten. Sie waren ein wenig zerknittert, also bügelte ich sie und legte sie dann ordentlich aufs Bett. Ein Blick in den Spiegel sagte mir, dass ich meinen mittlerweile doch recht gewachsenen Bart auch abrasieren musste und definitiv duschen sollte.
Als Will nach einer gefühlten Ewigkeit fertig war, sprang ich unter die Dusche, rasierte mich und legte ein wenig von dem teuren Parfüm auf, welches ich mir extra für solche Anlässe besorgt hatte. Eigentlich mochte ich künstliche Gerüche nicht – immerhin konnten sie einen genauso verraten – aber bei solchen Aufträgen konnte es nicht schaden, wenn man ein wenig davon auftrug.
»Ohne einen Bart siehst du wirklich sehr jung aus«, meinte Will als ich aus dem Bad kam. Wieder glitt sein Blick von oben bis unten meinen Körper entlang, als nehme er jeden Zentimeter davon genau in Augenschein.
»Wie alt bist du wirklich? Anfang Zwanzig?« Ich verdrehte genervt die Augen. Ich sah ganz bestimmt nicht so jung aus, nie im Leben.
»Mach dich nicht lächerlich, du weißt genau wie alt ich bin.«
»Man würde dich viel jünger schätzen.« Er zog seinen Anzug an, dann betrachtete er sich genau im Spiegel.
»Ganz so schlecht sieht der gar nicht an mir aus... aber mein Bart fehlt mir irgendwie. Findest du nicht auch, dass ich nackt aussehe ohne?« Ohne auf seine Frage zu antworten, schob ich ihn zur Seite damit ich mich ebenfalls nochmal betrachten konnte. Alles saß perfekt, jetzt nur noch ein freundliches und charmantes Lächeln aufsetzen.
»Mit deinem charmanten Lächeln und deinem jungen Aussehen könntest du tatsächlich bei fast jeder Frau landen«, sagte Will und ich warf ihm einen zweifelnden Blick zu. Frauen interessierten mich einfach nicht.
Wir steckten uns beide Waffen unter die Anzüge, dann gingen wir nach draußen. Die Adresse war etwas weiter entfernt, in der besseren Gegend der Stadt. Es war ein gewaltiger Unterschied, wie wir von halb zerfallenen und schäbigen Bauten zu prachtvollen und frisch renovierten Gebäude kamen. Aber auch hier gab es, genauso wie in unserem Viertel, Straßengangs, tägliche Gewalt und Dealer... nur eben nicht so offensichtlich auf der Straße sondern im Verborgenen.
»Okay, dann mal los.« Will klingelte und eine verzerrte Stimme drang aus den Lautsprechern neben der Tür.
»Wer ist da?«
»Die Bodyguards die Sie angeheuert haben.« Ein Surren ertönte und wir warfen uns einen Blick zu, ehe wir die Treppe zu seiner Wohnung nach oben gingen. An der Tür stand ein junger Mann, der uns argwöhnisch betrachtete. Er hatte dunkle Haare, welche ihm in die Augen fielen und trug eine dieser mordernen Brillen, welche ihm sehr gut stand. Auf eine seltsame Art und Weise sah er sogar ziemlich sportlich aus, als würde er tatsächlich auf Bewegung und Ernährung achten. Um ehrlich zu sein hatte ich einen ungepflegten, dürren Typen erwartet, der eine ungesunde blasse Gesichtsfärbung hatte und wirkte als hätte er seit Monaten schon nichts vernünftiges gegessen, doch er schien ganz anders zu sein.
»Genauso wie ihr beschrieben wurdet... ich bin Sebastian«, sagte er und hob eine Augenbraue, als er mich sah.
»Seth und Will«, stellte Will uns vor, doch Sebastian achtete kaum auf ihn. Seine Augen klebten an mir und er musterte mich aufmerksam von oben bis unten.
»Sie sollen ein Auftragsmörder sein? Sie sehen aus als hätten sie gerade erst ihre Ausbildung abgeschlossen«, meint er dann und Will neben mir biss sich auf die Lippe um nicht laut aufzulachen. So jung konnte ich nun wirklich nicht aussehen...
»Dürfen wir nun endlich reinkommen?«, grummelte ich und er trat zur Seite, damit wir eintreten konnten.
»Ich hoffe Sie behindern mich nicht bei meiner Arbeit. Ich gehe davon aus, dass Sie ohnehin nicht viel davon verstehen. Tom sagte mir ihr seid eine der Besten die er zu bieten hat und ich hoffe das stimmt auch.« Er warf mir einen skeptischen Blick zu, als glaubte er nicht wirklich dass wir so gut waren und bereute langsam seine Entscheidung, aber er verkniff sich jeglichen Kommentar dazu.
»Lass dich nicht von seinem Aussehen irritieren, er ist viel älter als er aussieht«, meinte Will, dem der Blick ebenfalls nicht entgangen war und Sebastian schien noch immer zu zweifeln, aber verschwand dann im Bad um sich fertig umziehen. Wir warteten geduldig vor der Tür und wenige Minuten später kam er wieder heraus, in einem teuer wirkenden Anzug und perfekt gestylten Haaren.
Er schnappte sich sein Handy, dann tippte er darauf herum.
»Damit wäre Schritt eins erledigt«, murmelte er zu sich selbst, dann ließ er es zurück in die Tasche gleiten und musterte uns beide noch einmal.
»Ich hoffe ich überlebe den Abend«, sagte er als wir hinaustraten.

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Nameless (Boyslove)
Teen FictionWill und Seth leben in einer Stadt, die unterschiedlicher nicht sein könnte: Es gibt die prachtvollen, schönen Stadtteile, und die verwahrlosten Viertel, wo der Abschaum der Gesellschaft lebt der vermutlich nie eine echte Chance auf ein besseres Leb...