11.Kapitel

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~Rückblick~

Ich wachte schweißgebadet auf. Mein Puls raste und ich atmete schwer, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen, obwohl ich noch immer in meinem, eher unbequemen Bett lag und das alles einzig und allein in meinem Traum passiert war.

In meinem Traum war ich in einem Haus gewesen. Es war riesig, modern eingerichtet und wirkte beinahe wie als wäre es aus einem Möbelkatalog entsprungen, alles war sauber und wirkte hell und freundlich. Den Leuten die hier wohnte schien es nicht an Geld zu mangeln, viel mehr schienen sie mehr zu besitzen als sie wirklich benötigten.

Ich sah ein Sofa, einen weißen, flauschigen Teppich und bog dann um die Ecke.

Auf dem Boden lag eine Frau, bewegungslos, und eine Blutlache breitete sich langsam auf dem weißen Teppich aus und färbten ihn in einem unheimlichen rot. Das passte so gar nicht in das perfekte Bild dieses Wohnzimmers, es wirkte fast schon unecht.

Obwohl mich der Anblick aus irgendeinem Grund traurig machen sollte – immerhin war ein Mensch tot – spürte ich nicht das geringste, es war mir völlig gleichgültig als hätte weder ihr Leben noch ihr Tod für mich irgendeine Bedeutung.

Langsam ging ich zu der Leiche, kniete mich hin und berührte die Frau vorsichtig, drehte sie so dass ich ihr Gesicht sehen konnte. Blut klebte an meinen Fingern und bei dem Anblick von ihren Augen, welche starr und leblos ins Nichts starrten, fühlte ich ebenfalls nichts das geringste. Ich hörte einen Schlüssel der im Schloss umhergedreht wurde und sprang auf, begann zu rennen, solange bis meine Lungen schon brannten.

Schlagartig wurde ich dann aus meinem Traum gerissen. Ich atmete tief ein und aus, versuchte mich wieder zu beruhigen. Das erschreckende an diesem Traum war nicht die Situation als solche gewesen, sondern viel mehr die Tatsache, dass es sich verdammt real angefühlt hatte. Als würde ich das Blut wirklich auf meinen Händen fühlen... etwas daran stimmte einfach nicht, ich wusste nur nicht was genau es war.

Mein Blick fiel auf das Bett in welchem Vine schlief. Normalerweise sollte ich alleine damit klar kommen, mich in meine Decke einrollen und hoffen dass ich wieder einschlafen würde, aber der Drang mit jemandem darüber zureden war dann doch zu groß und der Einzige der mir einfiel war Vine.

Leise kletterte ich aus meinem Bett, ging zu seinem hinüber und rüttelte ihn sanft wach.

»Vine...«, flüsterte ich und er gab ein leises Murren von sich.

»Hmh?«, murmelte er dann verschlafen, blinzelte ein paar Mal und schaute mich dann an.

»Seven, was ist los?«, fragte er dann besorgt.

»Ich weiß nicht, ich habe einfach nur schlecht geschlafen. Ich hatte einen seltsamen Traum, der richtig real war...« Obwohl ich immer leiser wurde verstand er mich gut genug. Er sah sich um, dann schwang er die Beine über den Bettrand.

»Lass uns zum Reden auf die Toiletten gehen«, meinte er und ich nickte. Leise schlichen wir uns nach draußen und in die Toiletten, welche nur aus drei Toilettenkabinen und drei Duschen bestand, alles war mit erdrückend wirkenden, braunen Fließen belegt.

Vine lehnte sich an die Wand, während ich mir erst einmal kaltes Wasser ins Gesicht spritzte um etwas klarer zu werden.

»Möchtest du darüber reden?« Seine Stimme war ruhig und jetzt im Nachhinein kam mir meine Reaktion schon wieder übertrieben vor, immerhin war es nur ein Albtraum gewesen, etwas was ich durchaus schon vorher desöfteren gehabt hatte.

»Es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, es war nur ein blöder Albtraum.« Vine starrte mich an, dann legte er den Kopf schief. In kurzen Sätzen erzählte ich ihm was in meinem Traum passiert war und er betrachtete mich die ganze Zeit nachdenklich.

»Du bist einer der wenigen von uns, der sich wirklich an gar nichts mehr aus seinem früheren Leben erinnern kann. Vielleicht war es kein Traum, sondern ein Ereignis, was du bis eben verdrängt hast? Das würde erklären warum es sich so real angefühlt hat.«

»Nein, das kann nicht sein.« Ich hätte doch nicht so gleichgültig und gefasst reagiert, wenn ich eine Leiche sehen würde... oder doch? Hatte die Zeit hier mich schon so sehr verändert, mich schon so sehr abgestumpft? Aber wenn dann war es etwas vor meiner Zeit hier und da konnte ich unmöglich schon so gewesen sein.

»Ich kann dir deine Dämonen leider nicht nehmen.« Vine trat nun einen Schritt auf mich zu und klopfte mir beruhigend auf die Schulter.

»Danke, dass du mir zugehört hast.«

»Das du über diesen Traum nachdenkst, zeigt nur dass du noch lange nicht so abgestumpft und emotionslos bist wie einige der anderen hier. Auch wenn sie uns versuchen einzureden es wäre schlecht, ist es etwas gutes.« Ich nickte, dann drehte ich mich um und wollte die Toilette verlassen, doch Vine hielt mich am Ellbogen zurück. Sein Blick war todernst, fast schon unheimlich.

»Der morgige Tag wird sehr, sehr hart. Nicht wie das übliche Training.« Er klang ehrlich besorgt. Es stimmte zwar, dass unser Training oft sehr hart an einer Grenze war, aber bisher war noch nie jemand zu Tode gekommen oder hatte Lebensgefährliche Verletzungen erlittern, auch wenn viele kurz davor gewesen waren.

»Woher...?« Wir bekamen normalerweise nie gesagt, was auf dem Programm stand, es war jeden Morgen unerwartet.

»Ich habe ein Gespräch belauscht, aber das ist nicht wichtig. Bitte pass morgen auf dich auf, auch wenn ich denke, dass du es schaffen wirst. Du bist viel stärker, als du oder irgendeiner der Anderen hier glaubt und schon lange nicht mehr so schwach wie du denkst.«

»Danke für deine aufbauenden Worte und die Warnung.« Er lächelte mich an und ließ mich los.

»Wir beide sind uns viel ähnlicher als du glaubst.« Mit diesen Worten verschwand er nach draußen, ich wartete einen Moment, bis ich ihm folgte und zurück ins Bett ging, wo ich mich in die dünne Decke einwickelte und kurz danach einschlief.

~~~

Am nächsten Morgen stand ich ganz normal auf, ging zum Frühstück, wo ich lustlos in dem Essen umherstocherte und versuchte mich innerlich auf das vorzubereiten, was auch immer heute kommen mochte. Ich vertraute Vine und wusste, dass er das nicht nur gesagt hatte um mir Angst zu machen sondern dass diesmal wirklich etwas ernstes sein würde. Wie immer gingen wir nach draußen, stellten uns in einer geraden Reihe auf, wie die Hühner auf der Stange.

»Heute erwartet euch ein besonderes Training. Einige von euch kennen es schon, für andere dürfte es das erste Mal sein. Ihr werdet euch in Gruppen aufteilen und euch im angrenzenden Waldgebiet verteilen. Alle von euch bekommen streng vertrauliche Informationen und ihr sollt solange wie möglich überleben, ohne geschnappt zu werden.« Wir alle nickten, dann bildeten sich schon die ersten Gruppen und ich blieb mit einem flauen Gefühl im Magen stehen, hoffend dass ich den heutigen Tag überstehen würde.



Nameless (Boyslove)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt