16.Kapitel

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~Rückblende~

»Seven, ist alles okay?« Vines Stimme ließ mich zusammen zucken. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass er plötzlich neben mir stand und mich besorgt von oben bis unten musterte.

»Ich habe nicht das Gefühl, dass irgendetwas okay wäre.« Meine Stimme hörte sich ruhig an, nicht aufgebracht oder dergleichen, aber dennoch schien Vine den Schmerz zu spüren, welcher von mir ausging. Ich war zwar schon seit zwei Tagen wieder aus der Krankenstation entlassen wurden, aber mein Körper schmerzte noch immer bei fast jeder Bewegung und ich hatte mir erst gestern wieder eine der Wunden auf meiner Brust im Schlaf aufgerissen. Vine legte einen Arm um meine Schulter, während er sich auf die Armlehne des Sessels fallen ließ. Nach dem heutigen Training, was für meinen Körper eine einzige Qual gewesen war, hatte ich mich in die sehr kleine Bibliothek gesetzt um eine der Studien zu beenden, die man uns aufgetragen hatte. Auch einige andere aus unserer Gruppe waren hier, die das ebenfalls hinter sich bringen wollten, weshalb der kleine Raum gefüllter war als sonst. Ich war froh dass mich die meisten in Ruhe ließen, ich konnte es definitiv nicht gebrauchen, dass sie auf mich zukamen und versuchten nett zu sein. Zu den meisten von ihnen hatte ich ohnehin keinen guten Draht, es würde für mich also keinen Unterschied machen.

Vine schaute den Stapel Bücher an, sowie das Blatt Papier welches ich zur Hälfte bereits gefüllt hatte. Ich hatte eine saubere und klare Handschrift, während die von Vine eher aussah als wäre ein Tier einmal quer über das Blatt gelaufen.

»Möchtest du darüber reden?« Seine Stimme klang ruhig und er rutschte etwas näher an mich heran, sodass er schon halb auf mir saß. Er nahm sich das obere Buch vom Stapel und betrachtete es, dann blätterte er gelangweilt darin herum.

»Ich glaube die Zeit hier hat mich einfach viel zu sehr verändert.«

»Das ist bei uns allen so.«

»Es ist einfach die Tatsache, dass sie mir Schmerzen zufügen und ich sie hasse, aber gleichzeitig spüre ich auch gar nichts. Normale Menschen würden doch Panik bekommen und leiden... mir ist das beinahe schon gleichgültig. Genauso wie der Gedanke daran, bald richtige Menschen töten zu müssen.«

»Wir werden dazu ausgebildet so zu sein. Schmerzen und Folterung hinzunehmen, damit zu leben. Das verändert uns alle... jeder von uns hat psychisch einen Knacks.«

»Trotzdem...ich weiß, dass wir alle uns einfach nur daran gewöhnt haben, aber... es sollte uns nicht kalt lassen. Bald werden wir Leute umbringen.«

»Viele hier haben begriffen, dass sie sich um sich einzubringen eine Rolle spielen müssen. Sie müssen so tun als wären sie normal, damit es ihnen später nicht schwer fällt sich unbemerkt in die Gesellschaft einzugliedern. Aber jeder von uns hier ist weit davon entfernt normal zu sein.« Ich öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch er war noch lange nicht fertig.

»Ich denke nicht, dass es gut ist ein eiskalter Killer zu sein, man sollte sich schon noch bewusst sein, was es anrichtet wenn man jemandem bei einem Auftrag umbringt. Trotzdem ist es wichtig nicht so viel zu fühlen, wenn wir andere Menschen umbringen. Es würde einen sonst innerlich zerreißen. Dennoch ist es besser, wenn wir nicht einfach nur töten weil man es uns sagt, sondern noch immer unseren Kopf einschalten. Ich weiß nicht ob du verstehst, was ich dir damit sagen will.«

»Ich denke schon, dass ich es verstehe...«, meinte ich leise.

»Bald werden wir richtige Menschen töten müssen, auf echte Missionen gehen müssen und nicht einfach nur trainieren. Keiner von uns tut das alles hier freiwillig, oder wurde aus freien Stücken so. Es gibt viele unter uns, die sich damit abgefunden haben und die Denkweise bereits angenommen haben, aber ich bin froh, dass du zu denen gehörst die ihr eigenständiges Denken noch nicht verlernt haben.« Er lächelte mich an, dann verdrängte er mich von meinem Platz in dem er so weit auf die Sitzfläche (und damit auf mich) rutschte und ich von selbst aufstand.

»Wie wäre es, wenn wir die Aufgabe gemeinsam durchgehen?«, fragte er und ich warf einen Blick auf den Stapel, ehe ich seufzend nickte. Das Gespräch hatte mir gut getan und ich fühlte mich gleich etwas besser. Zu den anderen hatte ich keine so gute Beziehung und hatte auch nicht wirklich vor eine aufzubauen, aber Vine gehörte eben einfach zu den Menschen, die es schafften jeden um seinen Finger zuwickeln.

Ich setzte mich auf die Lehne und zusammen bearbeiteten wir die Aufgabe, was mehrere Stunden Zeit in Anspruch nahm und wir waren erst kurz vor dem Abendessen fertig.

»Es ist kaum zu glauben, obwohl du so jung bist, bist du so intelligent.« Er wuschelte mir durch die Haare und verließ die Bibliothek, während ich noch einen Moment dort blieb und meine Sachen einsammelte. Was auch immer es war was Vine hatte: Ich mochte es. Jemanden wie ihn gab es vermutlich nicht zweimal und insgeheim hoffte ich, dass ich noch eine ganze Weile mit ihm zusammen Zeit verbringen dürfte, einfach weil ich das Gefühl hatte, jemanden zu brauchen der mich daran erinnerte, dass ich noch immer menschlich war.

Mit einem Seufzen ging ich in den Schlafsaal, verstaute meine Blätter in meiner Tasche und ging dann zum Abendessen, wo ich als letzter eintraf und das Essen begutachtete, was es heute gab. Schon nach dem Essen viel ich regelrecht ins Bett und schlief sofort ein. 

Nameless (Boyslove)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt