3 Im Fahrstuhl

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Mein Apartment befindet sich im siebten Stock eines Mehrparteienhauses, keine fünf Minuten vom Campus entfernt. Also optimal für mich, insbesondere da es auch einen Fahrstuhl gibt. Ich wollte schon immer einmal im Fahrstuhl Sex haben, aber bisher bin ich noch nicht in vielen Häusern mit Lift gewesen. Bei uns auf dem Kaff ist das höchste Gebäude noch immer die Windmühle und nun ja – dort hatte ich schon einmal Sex.

Letzte Woche haben Dad und ich die meisten meiner Möbel und Sachen schon hochgetragen, weshalb ich heute nur noch ein paar Zimmerpflanzen und Alltagsgegenstände dabei habe. Wahrscheinlich muss ich nur zweimal zwischen Auto und Apartment hin und her laufen. Dann kann ich das auspacken und dekorieren anfangen, darauf freue ich mich schon!

Ich lenke meinen Wagen in die Parklücke, die nun offiziell mir gehört, und stelle den Motor ab. Die Sonne steht tief und wirft die schmutzige Mauer vor mir in ein goldenes Licht, als ich aussteige und mich strecke. Dabei rutscht mein Oberteil ein Stück nach oben und entblößt meinen nackten Bauch.

Ein Jogger, der auf der anderen Straßenseite vorbeirennt, hebt seinen Blick in meine Richtung. Ich lecke mir verführerisch über die Lippen und beobachte, wie er kurz stolpert und aus seinem Takt kommt. Allerdings läuft er dann weiter und lässt mich allein zurück, aber das macht nichts. Ich habe noch viel vor in dieser Stadt, da muss ich nichts überstürzen.

Aus dem Kofferraum hole ich meinen Backpacker-Rucksack und schultere ihn mir auf. Er ist schwer, was vor allem an meinem alten, monströsen Laptop liegt und der riesigen Tupperbox Pfannkuchen, die mir Dad für die ersten Tage gemacht hat. Auf dem Beifahrersitz schnappe ich mir meine Handtasche und hole meinen Schlüsselbund hervor. Seit letzter Woche hängen drei neue daran – Haustür, Kellerbereich und mein Apartment.

Grinsend nehme ich auch noch eine Grünlilie und schließe das Auto, um mich dann auf den Weg zu machen. Die Haustür hat jemand offen gelassen und als ich gerade zum Fahrstuhl trete, öffnet er sich und zwei Handwerker kommen mir entgegen. Der jüngere der beiden wirft mir einen etwas längeren Blick zu, doch im Großen und Ganzen beachten sie mich nicht. Mein Lächeln wird etwas angestrengter, doch dann bin ich im Fahrstuhl und hole tief Luft. Dass ich nicht mehr der Mittelpunkt aller Männer bin, muss ich mich erst gewöhnen. Nicht nur ich profitiere von einer größeren Auswahl in der Großstadt, sondern auch meine Ziele. Aber das macht nichts, da ich noch immer mit meiner Sirenenstimme alle verführen kann, egal ob sie eigentlich jemand anderes lieben, auf das andere Geschlecht stehen oder gar asexuell sind.

Mein Finger drückt die Nummer sieben auf der Anzeige und als der Fahrstuhl aufleuchtet, grinse ich. Mein neues Zuhause! Die Vorfreude packt mich und ich muss aufpassen, keinen Freudentanz abzuhalten. Insbesondere, als sich, gerade als die Türen schließen, sich noch eine Gestalt in den Aufzug drückt.

Und ... wow.

Einfach nur ... wow.

Eine Sekunde bin ich viel zu sprachlos. Wahrscheinlich steht mein Mund offen und Sabber fällt heraus, während der Fremde mich gar nicht beachtet. Sein Finger wandert automatisch zur Nummer Sieben und verharrt dann, als er realisiert, dass sie schon gedrückt worden ist.

Ich habe das Gefühl, die Personifikation des Sexgottes ist gerade zu mir in den Fahrstuhl gestiegen. Jedenfalls ist das mit Abstand der attraktivste Mann, den ich jemals im Leben gesehen habe – Schauspieler, Sänger und andere Stars mit eingeschlossen. Die Hitze steigt mir in den Kopf und ich spüre, dass ich bestimmt knallrot angelaufen bin, während ich versuche, ihn nicht anzustarren.

Aber es geht nicht.

Ich muss ihn anstarren.

Sein Duft weht zu mir herüber. Es erinnert mich an die Luft nach einem Sommergewitter, wenn der Wind geht und man nur seine Arme ausstrecken muss, um die Freiheit zu spüren. Dazu kommt etwas, was ich nicht zuordnen kann. Es ist etwas Herbes und Männliches, und irgendwie auch etwas Kühles.

Über seinen breiten Schultern trägt er eine Laptoptasche, die schwer aussieht, als seien darin auch noch unzählige Unterlagen und Papiere. Seine Hand, auf dessen Rücken zarte, golden schimmernde Härchen wachsen, halten sie fest, als würde sie ihm sonst auskommen.

Er trägt einen dunklen Anzug, ledern schimmernde Schuhe und ich erinnere mich daran, wie ich mir vorgestellt habe, mit jemanden zu schlafen, dessen Kleidung mehr wert als ein Traktor ist. Mein Bauch kribbelt voller Vorfreude.

Als ich höher schaue – und ich muss zu ihm aufsehen – ist da ein markantes Gesicht mit hohen Wangenknochen, versteckt unter einem sexy Dreitagesbart, der ebenso golden schimmert wie die Härchen an seinem Handrücken und wie die dichten Locken auf seinem Kopf. Sie sind kürzer als Yanniks und etwas dunkler, gehen ins Goldbraune, fast schon Rötliche.

Eine feine Falte legt sich auf seine Stirn, an der ich ein paar vereinzelte Sommersprossen entdecken kann, dann dreht er seinen Kopf und sieht mich an. Die Augen sind hell, und mehr gräulich als blau, dann grinst er und sie formen sich zu lächelnden Mondsicheln.

Mein Herz schlägt mir bis zur Brust, die ich unbewusst herausstrecke. Mein ganzer Körper reagiert bereits auf ihn, ohne dass wir ein Wort gewechselt hätten, ohne dass er mich länger als eine halbe Sekunde angesehen hätte.

Ich weiß nur eines: ich muss mit ihm schlafen. Möglichst sofort, hier und jetzt, im Fahrstuhl, wie ich schon immer wollte, doch der Ort ist mir völlig egal. Es muss nur dieser Mann sein, einen anderen kann ich mir gar nicht mehr vorstellen. Seine Präsenz füllt den gesamten Fahrstuhl. Ich kann spüren, wie er immer mehr von dem Raum ausfüllt und wie ich mich immer kleiner neben ihm fühle.

„Du bist die Neue von Apartment 73, kann das sein?", sagt er auf einmal und ich spüre, wie sich die Feuchtigkeit in meinem Slip sammelt. Seine tiefe Stimme lässt mich erschaudern und ich muss mich anstrengen, nicht komplett in seiner Anwesenheit zu erstarren.

„Äh – j-ja. Das – das bin ich." Hilfe, seit wann stammle ich so? Das ist doch nicht mehr normal!

Ich blinzle und sehe weg von ihm. Die Anzeige des Fahrstuhls zeigt an, dass wir jede Sekunde die siebte Etage erreichen. Gleich werden wir aussteigen und getrennte Wege gehen, wenn ich mich nicht sofort zusammenreiße!

„Cool." Obwohl ich ihn nicht anschaue, spüre ich, dass er amüsiert ist, und als ich wieder zu ihm aufsehe, bemerke ich sein Grinsen, das mir zu gelten scheint.

Der Fahrstuhl stoppt, die Türen öffnen sich. In der Sekunde, als er einen Schritt machen möchte, hole ich tief Luft und konzentriere mich. Auf meine Sirenenstimme, auf die Verführung, und genau im richtigen Ton rufe ich ihm zu: „Fick mich! Hier und jetzt!"

Er lacht, als er aus dem Fahrstuhl tritt.

Dann stoppt er, sieht kurz zu mir um und schüttelt den Kopf. „Sorry, ich passe."

„Was?"

„Hast mich schon richtig verstanden." 

Er dreht mir den Rücken zu und macht sich davon, während sich die Fahrstuhltüren wieder schließen und mich einsperren. Und während ich völlig überfordert die erste Abfuhr meines Lebens realisiere, geht es abwärts. 


SIRENEN | Band 1: ANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt