19 Tag Drei

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"Er kommt direkt auf uns zu", flüstert Magda in mein Ohr und kommentiert damit das, was ich und alle anderen im Raum auch beobachten. Pete hat sich einmal kurz umgesehen, mich entdeckt und kommt seither hierher. Dabei muss er sich an einer Gruppe Leute vorbeiquetschen, die ihn perplex anstarren. Es scheint nicht so oft vorzukommen, dass Pete Katsaros auf einer Fachschaftsparty auftaucht. 

"Und er lächelt!", kommentiert Magda erneut. Dieses Mal verdrehe ich die Augen und wende mich von Pete ab, um meine neue Freundin um Hilfe zu beten. In einem Anflug von Verbundenheit habe ich ihr heute beim Vorglühen von Pete erzählt und von der Wette, die wir abgeschlossen haben. Jetzt frage ich sie flehend: "Was soll ich tun?"

"Fabulous sein?", schlägt Magda vor. Nicht hilfreich!

"Hi, wie geht's?" Petes Stimme dringt durch Mark und Bein. Als ich mich zu ihm umdrehe, steht er direkt vor mir. Ziemlich nah, überraschenderweise. Ich starre ihn verwirrt an und kann nicht leugnen, dass mein Puls gerade noch weiter in die Höhe schnellt. Es sind nur wenige Zentimeter zwischen uns! 

Aber sein Verhalten ist komisch und so frage ich etwas plump: "Was ist mit dir los?"

"Was soll los sein?" Er scheint ehrlich verwundert und beugt dabei sein Gesicht etwas herunter, wodurch wir uns noch näher kommen. Ich müsste mich jetzt nur leicht strecken, dann könnte ich ihn küssen. Aber es ist unheimlich und als er ausatmet, rieche ich es. Alkohol. Pete ist betrunken?! Das passt gar nicht zu ihm!

"Ich überprüfe nur, ob du keinen Sex hast", wispert er jetzt und sieht dann auf, um in mehrere Gesichter zu starren. Alle beobachten uns und es ist unheimlich still im Raum. Nur irgendein Mädchen kichert und die Musik läuft natürlich auch noch. 

"Hab ich nicht!", zische ich und drücke ihn ein Stück von mir weg. Seine Nähe raubt mir den Atem und als zwischen uns eine normalere Entfernung ist, kann ich wiederdurchatmen. "Und was bist du so betrunken?"

Jetzt ist es Magda, die kichert. Sie steht direkt neben uns und als sie meinen Blick bemerkt, versteckt sie sofort ihr Grinsen hinter ihrem Plastikbecher. 

"Ich bin nicht betrunken."

"Doch, bist du."

"Und warum darf ich das nicht sein?"

"Es ist nur ... seltsam."

Die Musik wechselt zu etwas Ruhigerem, aber zumindest bemerke ich, dass unter die anderen Leute wieder etwas Bewegung kommt. Sie tuscheln jetzt, hauen ab, tanzen oder prosten sich zu, aber manche starren uns immer noch an.

"Lust zu tanzen?", fragt Pete plötzlich und klopft gegen meinen Plastikbecher, den ich wie ein Schild vor mir halte. Die Flüssigkeit darin schwappt nach oben, ist aber nicht mehr genug, um den Rand zu erreichen.

"Was?"

"Ob du tanzen willst?"

Meint er das ernst? Ich traue ich ihm, gleich laut 'verarscht' zu schreien, aber es passiert nicht. Stattdessen ruht sein Blick auf mir, er wartet auf meine Antwort. Mit zitternden Fingern nehme ich einen letzten großen Schluck, drücke den leeren Becher Magda in die Hand und sage: "Okay. Lass uns tanzen."

...

Seine Hände sind warm und Hitze durchströmt mich dort, wo sie mich berühren. Meine Taille glüht, genau wie meine Wangen, während ich mich leicht hin und her bewege. Mehr Tanz gibt die ruhige Musik nicht her, aber ich will mich gar nicht schneller bewegen. Ich will weiter seine Finger an meiner Hüfte haben und seinen Atem schmecken, wenn er mein Gesicht streift. 

Pete sieht mich die ganze Zeit über an. Seine Augen sind dunkel, aber manchmal fällt etwas Licht von der Partybelichtung auf sie. Dann schimmern sie. 

Ich blinzle und lasse meinen Blick durch den Raum streifen. Die Aufmerksamkeit von vielen liegt auf uns. Jemand macht sogar ein Video, ich kann das Handy deutlich sehen und es beunruhigt mich, aber dann bewegt Pete einen seiner Finger leicht oder er dreht sich und lenkt mich ab, saugt all meine Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Seine Brust und sein Nacken, wo ich ihn berühre, sind heiß. Ich spüre, wie sich sein Körper bewegt, wenn er atmet. Die Brust hebt sich, die Schultern wippen in der Musik. Die Muskeln spannen sich an und entspannen sich erneut. Ich kann sie durch den dünnen Stoff seines Oberteils spüren, aber mehr denke ich darüber nach, wie es wohl ohne der Kleidung wäre. Wie sich seine Haut anfühlt, wenn nichts mehr sie verdeckt.

Er sieht mich immer noch an. Wieder schimmern seine Augen. Ein bisschen glasig sehen sie aus. Wie viel hat er getrunken? Er steht gerade, er verhält sich nicht unüberlegt und gleichzeitig tanzt er mit mir und riecht nach Alkohol. Die Augen sind auch gerötet, er hat ganz sicher etwas genommen, aber vielleicht hat er auch geweint, oder beides. 

"Was ist los, Pete?", flüstere ich. "Sei ehrlich."

Statt einer Antwort zieht er mich näher zu sich. Aus dem braven Abstand ist plötzlich nichts mehr übrig geblieben und meine Brust klebt an seiner. Hitze wallt in mir auf, als ich seinen Duft einsauge. Da ist etwas Süßliches, etwas Exotisches. Da ist Schweiß und natürlich immer noch der Alkohol, da ist etwas Herbes und Männliches und dann wieder dieses Süße, Exotische. All das berauscht mich, lässt mich benommen werden. 

Seine Arme umschließen mich, während wir weiter tanzen. Es fühlt sich mehr an wie eine Umarmung, realisiere ich. Vielleicht ist das, was er gebraucht hat. Sein Kopf legt er auf meinen ab, so viel größer ist er. Er fühlt sich schwer an, seine Schultern sind gesunken und er wirkt kraftlos, erschöpft. 

Vielleicht nur ein langer Tag, rede ich mir ein und befürchte doch schlimmeres. Ich möchte es nicht aussprechen, nicht daran denken, sondern die Augen schließen und den Moment genießen. Noch mehr von ihm einatmen, noch mehr von ihm spüren, noch mehr für immer so sein.

Wir bleiben in der Umarmung, obwohl die Musik wieder zu schnellerem wechselt. Die anderen vergessen uns. Sie lachen und grölen, jemand tanzt auf dem Tisch und Magda verabschiedet sich von mir. Ich nicke ihr nur zu, alles sei gut. Sie geht und ohne ihr fühlt sich Pete noch viel näher an, weil er der letzte ist, den ich hier kenne. 

Irgendwann, es ist wieder ein ruhigeres Lied, löse ich mich aus der Umarmung, um in sein Gesicht zu sehen. Dieses Mal ist es nicht zu übersehen. Seine Augen schimmern vielleicht auch aus Alkohol, aber vor allem schimmern sie, weil dort Tränen sind.

Ich muss nichts sagen, er schweigt auch und ehe wir uns erneut umarmen, flüstert er noch drei Worte. Drei Worte, die mir eine eisige Gänsehaut bereiten und ihn fester an mich drücken lassen. Drei Worte, bei denen mir übel wird und kalt. Bei denen er sich an mich klammert und bei denen ich ihn festhalte, damit er nicht fällt. Drei Worte - "Willy ist tot."

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SIRENEN | Band 1: ANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt