7 Das zweite Mal

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Max und ich krabbeln etwa eine halbe Stunde später aus dem Gestrüpp heraus. Mein Körper schmerzt und als ich wieder stehe, muss ich mich erst einmal strecken. Meine Wirbelsäule knackst und ich atme erleichtert auf. Auf dem Waldboden ist es doch nicht so gemütlich. Zu viele Wurzeln, Kiefernadeln und Steine.

Als Max zu lachen beginnt, drehe ich mich zu ihm um. Was hat er? Er strahlt mich mit breiten Grinsen an und sagt: „Du bist ganz schön dreckig. In allen Sinnen des Wortes. Lust noch gemeinsam duschen zu gehen?"

Als ich schmunzelnd nicke, rieselt etwas Erde meinen verschwitzten Rücken hinunter. Eine Dusche wäre jetzt in der Tat optimal. „Zu mir oder zu dir?"

Max zuckt mit den Schultern. „Zu mir ist es eine halbe Stunde Fahrt. Zu dir?"

„Dorthin sind's nur fünf Minuten. Komm."

Wir laufen los. Auf den Straßen ist wenig los und ein wenig gefällt mir das Bild der hohen, beleuchteten Häusern und den Straßenlaternen und der Dunkelheit dazwischen. Meine neue Heimat, realisiere ich einmal mehr. Gefällt mir.

„Sag mal", murmelt Max auf einmal. Er beginnt schon wieder unruhig zu zappeln und zupft an seinem T-Shirt, das er wieder angezogen hat. „Du machst das öfters, oder?"

„Was genau?"

„Männer, die du eigentlich gar nicht kennst, zu verführen? So wie mich? Ich meine, das war krank. Also, auf positive Weise. Ich fühle mich, als sei Weihnachten!" Ein Strahlen legt sich in sein Gesicht, als sei er ein kleiner Junge, der vor einem großen Haufen Geschenke steht, die an ihn gerichtet sind.

Ich zucke schmunzelnd mit den Schultern. „Kann schon sein. Stört es dich?"

„Nein. Ganz und gar nicht!"

Wir erreichen das Gebäude, in dem sich mein Apartment befindet. An der Haustür leuchtet eine verstaubte Lampe, an der ein paar Motten flattern. Ich sperre auf und wir betreten den Hausflur, wo ich abrupt stehen bleibe.

Vor mir steht der Kerl, der mich heute im Aufzug abserviert hat. Er hat uns den Rücken zugedreht und betritt gerade den Fahrstuhl, ohne sich umzusehen.

Reflexartig stolpere ich vorwärts und stoppe die Türen, die sich bereits schließen wollen. Max folgt mir, aber ich ignoriere ihn völlig. Wir steigen zu dem Kerl ein, der kurz mich und dann Max mustert.

Die Hitze steigt mir ins Gesicht und bestimmt bin ich bereits knallrot, während der Mann völlig gelassen zu sein scheint. Er trägt noch immer die selbe edle Kleidung wie heute Nachmittag, doch der oberste Hemdknopf ist geöffnet und lässt meine Fantasie spielen. Meine Fingerspitzen kribbeln, als sie die übrigen Knöpfe öffnen möchten.

Als er noch Max mustert, schmunzelt der Fremde auf einmal. Und das auf eine so attraktive Weise, dass mir beinahe übel wird. Das Lächeln gilt nicht mir, sondern ... ist er schwul? Aber ich habe früher schon Schwule genauso verführen können. Gegen Sirenengesang ist niemand immun. Dachte ich jedenfalls.

„Deine Beute, hm?", sagt der Fremde dann und sieht mich etwas amüsiert, aber auch überheblich an. Mit einem Schlag ist er mir völlig unsympathisch, insbesondere, als er noch belustigt hinzufügt: „Bisschen schmächtig, oder?"

„Was?"

Er dreht sich jetzt ganz zu mir um. Seine breiten Schultern nehmen so viel Raum vor mir ein, dass ich mich beinahe erdrückt fühle, ohne zu wissen, weshalb. Es ist seine Aura, die stärker ist als alles andere. Unbewusst halte ich die Luft an, starre ihn an.

Sein Lächeln verunsichert mich. Da sind Grübchen auf seiner Wange, die mir beim letzten Mal noch nicht aufgefallen sind, und Lachfalten, die ihn noch attraktiver machen.

SIRENEN | Band 1: ANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt