SIRENEN | Band 1: ANA

26 Du Sirene

"Hattest du wirklich mitten im Hörsaal Sex?", fragt mich Magda mit einer tiefen Falte auf der Stirn. "Wo dir alle zuschauen haben können?"

"Äh. Ja." Ich zucke mit den Schultern, während wir über den Campus laufen. Die meisten starren mich an und ich schenke ihnen mein zufriedenes Grinsen. Denn damn! Fühle ich mich heute wunderbar! 

Magda läuft neben mir her und hat Schwierigkeiten, mit mir Schritt zu halten. Sie hält ihre Umhängetasche schon vor sich, um besser vorwärts zu kommen, also verlangsame ich mich, obwohl mich zu Hause mein Bett erwartet. Und eine Dusche. Vor allem auf die Dusche freue ich mich, denn ... "Ich hatte außerdem danach nochmal in den Cafeteriatoiletten Sex und vorhin mit dem Kerl, der immer so aussieht, als sollte er in Kalifornien Bodybuilder sein und nicht in Denver Computer Science studieren. Dem seine Muskeln sehen viel zu unecht aus. Auch die Muskeln, die man nicht sofort sehen kann."

Der Sex mit ihm ist heftig gewesen. Großartig, aber heftig. Jetzt spüre ich meinen Körper und fühle mich auch dreckig - eben so dreckig, dass ich mich auf das Duschen freue. Und auf mein Bett, wo ich mich einfach nur ausstrecken möchte. Sex ist eben doch eine Sportart und gerade spüre ich es auch, dass ich unbewusst anders gehe, weil zwischen meinen Beinen alles wund ist. Vielleicht auch ein Grund, wieso ich es eilig habe.

Magda räuspert sich. "Was ist mit Pete Katsaros?"

"Was soll mit ihm sein?", antworte ich so normal wie möglich. 

"Na ... ich dachte, du stehst auf ihn."

"Quatsch!" 

Ich bin wohl nicht überzeugend gewesen, denn Magda lacht nur und sagt: "Ist schon okay, wenn du dich selbst belügen willst. Aber wir wissen beide, dass du auf ihn stehst."

"Pff. Männer sind scheiße. Ich bin jetzt eine Amazone, weißt du? Amazonen töten Männer."

Scheinbar ist Magda heute auch gut gelaunt, jedenfalls lacht sie schon wieder. Lacht sie mich jetzt aus? Argh. Ich weiß es nicht und es ärgert mich, dass ich warten muss, bis sie genügend gelacht hat.

"Weißt du, Ana, Sirenen töten auch Männer. Und ich glaube, du bist immer noch mehr Sirene als Amazone."

"Amazonen sind aber stolze Kriegerinnen. Sirenen nur ... sexsüchtig."

"Wer behauptet das?"

"Äh ... Pete. Und meine Großtante. Die von Monsterjägern spricht. Sirenen werden scheinbar als Monster kategorisiert. Amazonen bestimmt nicht."

"Was?" Magda lacht wieder. "Monsterjäger? Ist das dein Ernst?"

"Nein. Der meiner Großtante. Obwohl, Pete hat auch mal was in die Richtung gesagt."

"Es gibt wirklich Monsterjäger? So wie bei Supernatural?"

"Keine Ahnung. Bin noch keinen begegnet."

"Und Amazonen gibt es auch in Echt?" Magda schüttelt gut gelaunt den Kopf. "Ist ja schon bizarr, dass du eine echte Sirene sein sollst. Was gibt es dann noch? Halbgötter? Götter? Zyklopen? Satiren? Zentauren? Medusa? Medusa war cool."

"Kommt da gerade dein Nerd raus, Magda?"

"Das ist basic griechische Mythologie, du Sirene. Das solltest du echt wissen."

"Ne. Fand ich immer langweilig." Ich zucke mit den Schultern. Wir erreichen das Ende des Campus, wo sich unsere Wege trennen. Magda rüber zu den Studentenwohnheimen, ich die Straße weiter entlang bis zu meinem Apartment mit der ersehnten Dusche. 

"Wie kannst du es langweilig finden, wenn du weißt, dass es tatsächlich echt ist?" Magda starrt mich fassungslos an. "Ich meine, was zum Teufel! Nein. Was zum Hades! Scheiße, gab es dann auch Kronos? Gaia? Ist da wirklich Atlas, der die Welt trägt? Und Thanatos?"

"Wovon redest du?"

"Alter, Ana! Lern was über die griechische Mythologie!"

"Hm." 

"Du hast gesagt, Pete ist immun gegen deine Stimme, richtig? Vielleicht ist er ein Halbgott oder so was. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass er was Übernatürliches ist. Aber Halbgötter sind gar nicht immun gegen Sirene, oder?"

"Keine Ahnung. Bisher wusste ich nur, das nahe Familienmitglieder immun sind."

"Dann ist Pete dein verloren gegangener Bruder oder was?" Magda lacht wieder, weil sie das wohl sehr witzig finden würde, aber ich schüttle angewidert den Kopf. Auf Inzucht steh ich definitiv nicht. "Hoffentlich nicht." 

"Das solltest du echt mal abklären."

"Er wollte mir sagen, wer er ist, wenn ich die Wette gewinne. Hab ich aber nicht."

"Tja." Magda schmunzelt. "Eine Woche ohne Sex ist ja jetzt schon etwas, was so schwierig ist. Wenn man mal ignoriert, dass das für den Großteil der Menschen normal ist."

"Haha." Ich verdrehe die Augen. "Ich will jetzt echt duschen. Bis morgen oder so."

"Okay. Bis dann." Wir umarmen uns noch kurz, dann machen wir uns in unterschiedliche Richtungen davon. Meine Beine beschleunigen ganz automatisch, während meine Finger schon nach dem Schlüsselbund tasten. 

Mein Kopf dagegen ist müde und meine Gedanken träge, aber irgendwie muss ich doch an Magdas Worte denken. Griechische Mythologie. Ich hab da echt kein so großes Interesse dran, aber wahrscheinlich hat sie Recht ... Pete ist etwas davon. Und ich werde herausfinden, was er ist - ohne auf Sex zu verzichten. Im besten Fall natürlich ohne auf Sex mit ihm zu verzichten. 

Wie genau ich das anstelle, weiß ich noch nicht, aber zumindest stehe ich bald schon unter dem kalten Wasserstrahl und wasche mich ab. Kurz darauf liege ich ausgestreckt auf meinem Bett, genau so, wie ich wollte, und schließe die Augen. 

Wirklich geschlafen habe ich nicht, aber die Pause hat gut getan. Wenn auch ich jetzt immer noch herumliege und grüble. Wie finde ich heraus, wer oder was Pete ist? Es mir einfach verraten wird er kaum. Und wen anderes fragen kann ich auch nicht. Gegoogelt habe ich ihn schon. Hm. Oh, vielleicht kann ich Willy googlen! Moment, nein, ich hab keine Ahnung mehr, wie dessen griechischer Nachname gelautet hat. Mist. Ob ich dort in dem Hospiz vorbeischauen könnte? Aber wieso sollte mir jemand was verraten über jemanden, der schon tot ist? Der Grabstein! Nur wo finde ich den? Verflucht. Ich weiß nicht weiter.