5. Trimester Opening Party

6.2K 89 3
                                    

Draußen ist es inzwischen dunkler geworden und die Straßenlaternen beleuchten das Viertel. Ein wenig ungewohnt sieht alles aus, da ich bisher immer nur bei Tageslicht hier gewesen bin. Es ist ein kleiner Nervenkitzel, alleine in einer unbekannten Region herumzulaufen.

Daheim bin ich das gerne. Habe die Felder überquert und bin durch Wälder spaziert, meist ohne einen Menschen zu begegnen. Hier dagegen tobt noch immer der Feierabendverkehr. Die Luft ist schmutzig und ich realisiere, dass Großstädte auch Nachteile haben, an die ich noch gar nicht gedacht habe.

Meine Füße setzen sich automatisch in Bewegung und ich laufe den Weg, den ich vorher bei Google Maps nachgeschlagen habe. Dabei kann man den Campus gar nicht übersehen und auch die Party erkenne ich schon von weitem, auch wenn ich sie mir etwas größer vorgestellt habe.

Es gibt zwei Lagerfeuer, eines davon ist um Längen größer. Die Flammen jagen hoch in den Himmel, während rund herum sicherlich um die dreißig Leute stehen. Das Lachen, gemischt mit ein paar lauteren Rufen, trägt die ausgelassene Stimmung zu mir, da hat mich noch niemand von ihnen entdeckt.

Erst als ich die erste Gruppe umkreise, um das Feuer komplett zu sehen, werden die ersten auf mich aufmerksam. Zumindest schenken sie mir hier und da einen Blick, aber das ist schon alles. Ich bin niemand Besonderes an diesem Ort, wird mir wieder bewusst.

Zuhause hat mich jeder gekannt. Zwar hat nicht unbedingt jeder meinen Namen gewusst, aber jeder kannte 'die Hure' und das ist schon okay gewesen, dass sie mich so genannt haben. Es trifft ja auf mich zu.

Hier kennt mich niemand.

„Hi!" Ein Junge steht auf einmal neben mir. Er grinst breit und die dicke Brille auf seiner Nase verrutscht dabei fast, aber gerade noch hält er sie fest. „Bist du neu? Da vorne gibt es Bier, aber wenn du noch nicht 21 bist, lass dich nicht erwischen. Ich bin Max, und du?"

„Ana."

„Nice. Willkommen an der Denver University, Ana. Du bist doch neu, oder? Bist mir jedenfalls noch nie aufgefallen."

„Ja, ich bin neu. Heute hierher gezogen. Übermorgen die ersten Kurse", kläre ich ihn auf und lächle.

Eigentlich sieht der Kerl genauso alt wie ich aus, aber er scheint zumindest schon etwas hier zu sein. Im Grunde könnte ich jetzt sofort mit ihm verschwinden, aber andererseits möchte ich noch gar nicht.

Vielleicht, weil noch eine bessere Partie auftauchen könnte. Der Kerl vor mir wackelt zu sehr herum und scheint sich nicht still halten zu können. In den zwei Minuten, die ich jetzt hier bin, hat er sicherlich schon fünfmal seine Brille zurecht gerückt. Diese Unruhe stört mich, obwohl er vielleicht gar nichts dafür kann und ich fühle mich mies, ihn dafür zu verurteilen.

„Und, was ist dein Hauptfach?" Max zappelt weiter herum und ich reiße mich zusammen, ehe ich sage: „Informatik."

„Echt? Siehst gar nicht so aus."

„Ja. Mal sehen, ob es was wird. War das beste, was mir eingefallen ist." Mal abgesehen von der Männerquote in diesem Fach. Oder, dass ich mir mit Zahlen und Logik meistens leichter tue als mit Auswendiglernen oder mit Menschen, mit denen ich nicht schlafen will.

Gerade merke ich es auch wieder, wie mich Max zu langweilen beginnt. Small Talk ist einfach furchtbar und jetzt redet er irgendetwas von seinem Hauptfach, bei dem ich nicht aufgepasst habe. Hat er Marketing gesagt? Oder Management?

Statt ihm zuzuhören, lasse ich meinen Blick über die Anwesenden streifen. Die meisten scheinen gut gelaunt in Gesprächen vertieft zu sein und immer wieder lacht jemand. Einer in kariertem Hemd wirft gerade etwas Holz nach und Mädchen kreischen aus Spaß auf, als die Funken in die Höhe jagen.

Irgendwann bringe ich Max dazu, mir ein Bier zu holen – obwohl ich noch nicht volljährig bin – und sitze später mit ihm an meiner Seite auf einer der Bänke um das Feuer. Die meiste Zeit spricht nur er oder andere, die ich kennen lerne, aber nicht ich. Lieber lasse ich sie und beobachte fasziniert das Feuer und die Stimmung, die diese Menschen um mich herum verbreiten.

Es ist fast so, als gehöre ich dazu. 

Und es ist fast so, als könne ich mich zwischen diesen normalen Menschen wohl fühlen.

Das einzige Problem ist, dass mir wieder bewusst wird, wie müde ich eigentlich bin und dann streifen meine Gedanken auch wieder zu dem Fremden aus dem Aufzug. Ich verfluche mich selbst dafür.

Als ich gähne, stupst mich Max von der Seite an und grinst neckend: „Na, müde?"

„Ja."

„Wir machen hier morgen Abend wieder ein Lagerfeuer und nächstes Wochenende wahrscheinlich auch nochmal. Also so ein Abend wie heute gibt es noch ein paar mal."

Ich nicke und beschließe, tatsächlich in Richtung Bett aufzubrechen. Allerdings bin ich für Sex hierher gekommen und will ohne eigentlich auch noch nicht gehen. Bisher habe ich mich nur mit Max unterhalten, aber er zappelt mir so viel. Vielleicht verführe ich lieber den, der sich ständig ums Feuer kümmert. Er hat etwas Ländliches, das ist mir vertraut.

Nein, rufe ich mir dann ins Gedächtnis. Ich bin endlich in der Großstadt und will mich an den einzigen werfen, der wie die Kerle zu Hause ist? 

Mein Blick streift noch einmal durch die Runde. Da sind auch andere Kerle, die gut aussehen, aber sie sitzen und stehen alle so eng beieinander. Von ihnen kann ich niemanden weglocken. Jedenfalls nicht, ohne alle um sie herum gleich mit zu verführen und für ein Gang Bang ist mir nicht. Generell bin ich heute so lustlos, das gefällt mir nicht. Was ist los mit mir? 

Seufzend wende ich mich an Max. „Magst du mich noch ein Stück nach Hause begleiten?"

„Klar."

Er springt auf, als habe ich ihn schon verführt, aber das stimmt gar nicht. Max scheint mich auch so begleiten zu wollen. Er hält mir die Hand hin und ich rapple mich auf die Beine. Ich spüre das Bier, das ich getrunken habe, als ich loslaufe und hake mich prompt bei Max ein.

„Alles gut bei dir?", fragt er lachend.

Ich nicke. „Ja. Nur müde."

Wir gehen ein Stück und als die Stimmen hinter uns immer leiser werden, erreichen wir auch schon das Ende des Campus. Dort stehen jedoch hinter einem Schild mehrere große Bäume, die völlig im Dunklen liegen.

Abrupt bleibe ich stehen und Max dreht sich verwirrt zu mir um. 

„Weißt du was", flüstere ich und mein Finger streichelt über seine Brust. „Das war ein schöner Abend, aber ich möchte unbedingt noch wissen, ob meine Fähigkeit noch immer da ist. Deshalb ..." Mein Ton ändert sich unmerklich, denn jetzt spricht die Sirene in mir. „... will ich, dass du dich jetzt sofort nackt ausziehst und mit mir dort in die Büsche verschwindest."



SIRENEN | Band 1: ANAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt