Lia versuchte mühsam, ihr Herz zu beruhigen. Leo, der sie vorhin so grob angemacht hatte, hatte sich an die andere Ecke des Raumes verkrochen und sabberte nun wütend in sein Bier. Seine Blicke schnitten durch die stickige Luft wie eine scharfe Klinge, und die Wut in seinen Augen brannte sich in Pauls Rücken. Dieser hatte jedoch eine Mauer aus Eis aufgebaut und würdigte den jüngeren Schüler keines Blickes. Etwas peinlich berührt griff Paul nach seiner blauen Mütze, rückte sie zurecht und fuhr sich durch die braunen Haare, die vorne hervorstanden. "Alles okay bei dir?", fragte er einfühlsam. Seine Augenbrauen zogen sich leicht zusammen, und sein Blick wurde weich.
Lias Puls wollte sich nicht wieder senken. Pauls besorgter Blick jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie spürte, wie ihr Körper vor Adrenalin kribbelte. Aufgeregt verschränkte sie ihre Hände ineinander, um deren Zittern zu stoppen. "Ja, alles okay...Danke. Wie geht es dir?", brachte sie hervor. Paul setzte sein breitestes Grinsen auf und lehnte sich nun selbst auf die Theke. Was bei Leo lächerlich und unangenehm gewirkt hatte, sah nun verdammt cool und sexy aus. "Jetzt geht es mir wieder besser. Das war vorhin nicht so schön...Wie dieser Schlappschwanz-Macho dich angebaggert hat, war schon eklig." Abschätzig blickte Paul über die Schulter. Er starrte Leo lange genug an, sodass dieser schließlich seinen hochroten Kopf einzog.
Erneut drehte sich Paul grinsend zu Lia. "Du siehst echt schön aus heute Abend. Vielleicht ein bisschen gestresst, aber doch wirklich schön", sagte er gerade heraus. Hätte Lia etwas getrunken, hätte sie es wohl in diesem Moment wieder ausgespuckt. Die Hitze, die sich auf ihre Wangen legte, würde sicherlich den ganzen Raum beheizen können. Sie senkte den Blick und schaute durch ihre dichten Wimpern zu dem jungen Mann hinauf. "Danke", flüsterte sie, unfähig, Paul lange in die Augen zu schauen. "Was machst du heute Abend noch?", fragte Paul, als er sein Kinn auf seine Hand abstützte. Sein Blick ruhte auf ihr, ihn seinen Augen funkelte Amüsement.
"Äh, ich weiß nicht. Also jetzt habe ich noch Schicht, aber später..." - "feiern wir zusammen", beendete Paul ihren Satz. Lias Augen drohten, aus ihrem Schädel zu kullern. Ihr Herz pumpte immer schneller und das blöde Zittern ließ auch nicht nach. Wäre das ein Date? Nur sie zwei, auf dem Winterfest? Überall Lichterketten und Musik? In dieser Sekunde rollten ihr tausend Fragen durch den Kopf. Seit wann war Paul so direkt? Er bewarf sie ja förmlich mit Romantik und Komplimenten. Konnte Lia das überhaupt? Wäre das nicht zu viel? Könnte sie das schaffen?
Vehement verbannte sie ihre Zweifel aus ihren Gedanken. Sie hörte sich selbst "Okay" sagen, und dann konnte auch sie ein gigantisches Grinsen nicht unterdrücken. Zittrig strich sie sich ihre blonden Strähnen hinters Ohr, dann murmelte sie: "Dann bis später.""Möchtest du mich etwa schon los werden?", lachte Paul. "Ich mag noch ein bisschen hier bleiben und dich anschauen." Lias Herz rutschte ihr bis in die Füße. Mochte Paul sie wirklich so sehr? Sie konnte seinen Worten gar keinen Glauben schenken. Als hätte er ihre Gedanken lesen können, sagte er: "Du glaubst mir nicht, oder? Das müssen wir ändern." Er holte sein Handy hervor und machte ohne ihre Einwilligung ein Foto von ihr. "So, das schicke ich dir jetzt, dann hast du einen Beweis. Und das hier kommt noch dazu." Er ließ seinen Daumen auf dem Display liegen und begann, laut zu reden: "Lia, du musst mir wirklich glauben, dass du echt richtig schön bist. Du solltest dich nicht verstecken. Ich freue mich, wenn wir später zusammen feiern. Noch lustiger wird es, wenn du dir morgen oder so das Gelaber hier anhörst. Ach ja...Ich mag dich!"
Einige Blicke im Raum waren bereits auf Paul gelandet, der in großer Lautstärke - und in der Öffentlichkeit - eine Sprachnachricht an Lia aufgenommen hatte. Das Mädchen stand völlig perplex hinter der Theke - Ihre Schichtarbeit war komplett vergessen. Jetzt war sie sich sicher, dass mit Paul etwas nicht stimmte. Er war sonst nicht so direkt oder brachte sie öffentlich in Verlegenheit. Ihre Aufregung erfuhr einen kleinen Dämpfer, als sie sich schließlich eingestehen musste, dass Paul vermutlich auch getrunken hatte. Warum auch nicht? Er ist ja schließlich schon fast 18, versuchte Lia ihre Abneigung gegenüber Alkohol zu unterdrücken. Trotzdem wusste sie nicht so ganz, wie sie damit umgehen sollte. Sie war wirklich kein Fan von dem Zeug, und dass ihr Schwarm vor ihr stand und sich offensichtlich nicht mehr normal benahm, verunsicherte sie.
Wie immer, wenn Lia nicht mehr weiter wusste, war Klara zur Stelle. Sie hatte weiterhin Getränke ausgegeben, jedoch mit einem Ohr der Konversation ihrer besten Freundin gelauscht. Pauls Sprachnachricht war natürlich nicht zu überhören gewesen. Also lehnte sich die Brünette nun zu den beiden herüber und lächelte Paul an: "Hey, ich weiß, wie toll Lia ist. Aber vielleicht sparst du dir deine Komplimente für später auf, damit ich hier nicht alleine Schicht machen muss." Sie zwinkerte den großen Jungen an und stellte Lia zwei Radler vor die Nase. "Für die zwei Damen da, denk an den Pfand". Und somit war Lia wieder in das Geschehen des Winterfestes eingespannt. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Paul mit einem Lächeln auf den Lippen aus dem Klassenzimmer schlenderte. In ihren Gedanken formte sich ein riesiges Wort wie ein Versprechen. Später...

DU LIEST GERADE
BROKEN (TRUST)
Teen FictionJa, es ist schon seltsam, wie sich Lia und Paul kennen lernen. Es erscheint wie Ironie des Schicksals, dass sich ihre Wege so oft berührt, aber nie gekreuzt hatten. Und als sich ihre Welten endlich vermischen, wird ihre Beziehung zueinander noch ku...