BROKEN (TRUST)

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Lia ließ sich auf einen gut gepolsterten Gartenstuhl plumpsen. Ihr Mund formte ein übermäßiges Lächeln, das sich jedoch nicht zu einem Grinsen erweiterte. So saß sie da, mit strahlenden Augen, den Blick auf ihr Handy gesenkt. Sie war hin- und hergerissen zwischen zwei Welten. Auf der einen Seite wollte sie kein schlechter Gast sein, auf der anderen Seite...Er war zu interessant.
Widerwillig legte sie ihr Handy auf den Holztisch vor sich. Mit einer Hand strich sie sich eine widerspenstige blonde Locke hinter ihr Ohr. Erst jetzt sah sie sich in der Scheune richtig um. 

Der Raum war nicht riesig, aber angenehm kuschelig für acht Personen. Das Dach war leicht angeschrägt und aus warmen Holz bekleidet. An den Steinmauern zogen sich bunte Glühbirnen entlang - Ihr Licht ließ eine romantische Atmosphäre entstehen. Um den großen Tisch saßen die Teenager nun und im Hintergrund brummten schon die Bässe der Party-Musik...Erst jetzt würde der Abend richtig starten. 

Noch bevor das Essen auf den Tisch kam, hatten die Jungs sich schon Bier aus dem Kühlschrank geholt, der in einer Ecke des Raumes stand. Sie stoßen zusammen an, boxten ihrem Gastgeber Leo herzlich gegen die Schulter und ließen sich schließlich lässig neben Wondermähne und Deodiebin fallen. Klara hatte sich einmal nach dem Sportunterricht so über die beiden Mädchen aufgeregt, dass sie ihnen neue Namen verpasst hatte. Wondermähne hatte ihre braunen Fusel einfach immer im Griff und Deodiebin roch man bereits aus einem Kilometer Entfernung. Außerdem musste man wirklich auf seine eigene Deodose aufpassen, sonst würde sie ganz schnell eine neue Besitzerin finden...

Lia fand es lächerlich, wie die Jungs um die Aufmerksamkeit ihrer weiblichen Gesellschaft buhlten. Sie sprachen noch lauter als sonst, berichteten erneut von ihren Lasertag-Künsten und versuchten, ihre Stimme tiefer als sonst klingen zu lassen. Lia und Jenny, die rechts von ihr saß, warfen sich einen vielsagenden Blick zu. Lia rollte die Augen und griff wieder nach ihrem Smartphone. Stumm las sie erneut den Chatverlauf der letzten paar Minuten. Dieses Mal nicht auf Facebook, sondern WhatsApp.

Paul: "Tja, dann dir mal viel Spaß auf der Party...Hoffentlich läuft wenigstens gute Musik." 

Lia: "Joa, fürs Tanzen passt das schon. ^^ Was machst du so?"

Paul: "Hab gleich Bandprobe. Wird aber heute nicht so gut ohne unseren Sänger...Na dann viel Spaß beim Tanzen. Dich wird man sicher beneiden. ;)"

An diesem Punkt wusste Lia nicht so ganz, wie er das meinte. Er hatte sie noch nie tanzen sehen, oder? Woher wusste er eigentlich, dass sie es tatsächlich konnte? So sehr sie auch in ihrem Gedächtnis kramte, sie konnte sich nicht daran erinnern, ihm von ihrem Training erzählt zu haben. Und außerdem...War das da ein Flirt?

Lia ließ das Handy ein wenig sinken und starrte die gegenüberliegende Wand an. Wondermähne und Deodiebin klimperten die Jungs mit ihren Puppenwimpern nur so an. Lia ignorierte sie - Sie war komplett darauf fokussiert, sich eine ordentliche Antwort zu überlegen. Als sie etwas im Sinn hatte, blickte sie wieder auf den kleinen Bildschirm.  Paul war ihr zuvor gekommen.

Paul: "Du hast doch damals in dem Dorfmusical die verrückte Ökotussi gespielt, oder? Und mit dem Protagonisten getanzt."

Hätte Lia gerade etwas getrunken, sie hätte es wie im Film wieder ausgespuckt. Sie war baff. Er hatte im Publikum gesessen. Er hatte sie schauspielern, singen und tanzen sehen. Und vorallem wusste er ganz genau, dass sie es war. Und das, obwohl das Musical vor zweieinhalb Jahren aufgeführt worden war. Lia war damals dreizehn gewesen. 
Ihr wurde ganz warm ums Herz. Sie malte sich aus, wie Paul im Publikum saß. Vielleicht hatte er erst keinen Bock gehabt, sich das Stück anzusehen. Dann kam Lia auf die Bühne, mit den wuscheligen Haaren und einem riesigen "Atomkraft- Nein Danke" Shirt. Gesungen hatte sie von der Umwelt und der zerstörerischen Kraft der Menschen. Vielleicht fand er sie witzig. Oder mutig? Auf jeden Fall waren die drei Szenen, in denen sie im Rampenlicht stand, genug gewesen, um sich zwei Jahre später genau an ihr Gesicht zu erinnern. 

Eine Frage bohrte sich in ihre Gedanken. Sofort tippte sie los. 

Lia: "Wow...Ja, das war ich. Dass du das noch weißt. ^^' Wie alt bist du eigentlich?"

Ja, das war ziemlich aus dem Kontext gerissen, doch Lia wollte wissen, wie alt der Junge war, als er in dem dunklen, bestuhlten Saal gesessen hatte. Sie wollte ihr Bild von ihm vervollständigen. 

Paul: "Was ein Themenwechsel :D Also wenn ich das nicht mehr wissen würde, würde ich meine Augen und mein Gedächtnis verfluchen. Du warst genial. Du hast doch auch damals auf diesem Konzert von eurem Chor ein Solo gesungen, oder? "Seasons of Love" von dem Musical "Rent", richtig? Du bist wirklich krass gut, Lia. Und ich bin 17 (noch) :D"

Lia musste sich immer wieder daran erinnern, dass sie auf einer Party war und jetzt nicht ihre Kinnlade auf den Boden klappen lassen durfte. Sie fühlte sich auf einmal beobachtet. Vor Jahren schon war Paul ganz in ihrer Nähe gewesen. Er hatte sie wahrgenommen. Und zwar genaustens. 

Vor Schock wusste sie gar nicht, was sie jetzt schreiben sollte. Schnell machte sie einen Screenshot von ihrem Chat mit Paul. Sofort sendete sie das Foto an Klara. Die würde ausflippen und ihr sicherlich helfen können. Klara kann alles, dachte Lia. 

Plötzlich ertönte eine männliche Stimme nahe an ihrem Ohr. Leo hatte sich über ihre Lehne gebeugt, die Hände auf ihre Schultern gepackt und berichtete ihr jetzt säuselnd, dass für sie Grillkäse statt Fleisch gegrillt wurde. Ja, sie war Vegetarierin. Doch im Moment interessierte sie nichts mehr als Leos Griffel: Viel zu nah bei ihr, fast schon besitzergreifend. Und sein Atem an ihrem Ohr ließ sie sich innerlich schütteln. Sie drehte sich ein wenig ruckartig um, lächelte ihn aufgesetzt an und bemühte sich um Ruhe. "Danke, das wäre nicht nötig gewesen." "Für dich doch immer", zwinkerte Leo ihr zu. Daraufhin verging Lia doch glatt jeglicher Appetit. 

"Die Beute ist da!", brüllte der Gastgeber halbstark in den Raum. Dabei starrte er weiterhin Lia an; Sein Blick bohrte sich unnachgiebig in ihre Augen. Na das kann ja ein lustiger Abend werden...