BROKEN (TRUST)

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Mehrere Runden des Spiels waren vergangen. Die beiden Tratschtanten hatten sich gegenseitig auf die Nasenspitze küssen müssen, Marvin hatte in den furchtbarsten Tönen "I Will Always Love You" gegröhlt. Einige peinliche Wahrheit-Fragen wurden stammelnd beantwortet und Lukas musste Jenny sogar einen Heiratsantrag machen. Der Uhrzeiger rannte immer weiter auf dem Ziffernblatt und die Musik wurde nicht gerade leiser.

Lias anfänglicher Zorn war verebbt. Sie hatte ausnahmsweise einmal Spaß an dem Spiel. Sie wurde immer ausgelassener, machte hier und da ein paar freche Anmerkungen, und lachte viel. Ihre Heiterkeit kam sicherlich nicht nur von ihrem dritten Radler (Sie vertrug wirklich nicht viel Alkohol). Doch ihre gute Laune sollte bald einen Dämpfer erfahren.

Die Flasche, die Marvin gedreht hatte, landete auf Leo. Noch bevor das Ding richtig still stand, hatte er laut "Pflicht" verkündet. Da ist aber jemand enthusiastisch.

Der Blickwechsel zwischen Leo und Marvin war unübersehbar. Die beiden schienen wortlos zu kommunizieren, so intensiv starrten sie sich an. Als Leos Blick von Marvin zu Lia wanderte, verkrampfte sich ihr Magen. Hatten sie sich abgesprochen? Bei dem Gedanke wurde ihr direkt noch schlechter.

Langsam atmete Marvin ein und stieß dann schnell, aber deutlich aus: "Leo, du musst Lia fünf Minuten lang auf deinem Schoß sitzen lassen!"

Oh scheiße. Was war das denn für eine Aufgabe?! Bei jedem Anderen wäre ihr das egal gewesen. Doch seit ihr Kindheitsfreund auf einmal so bedrängend geworden war, mied sie ihn, so gut es ging. Erneut verfluchte sie ihre Zusage zur Party. Gerade, als sie antworten wollte, dass sie lieber einen Shot nehmen würde, sagte Leo: "Wenn du nicht willst, musst du einen doppelten Wodka exen. Pur." Allein schon durch den Gedanken an den klaren Alkohol machte ihr Magen Purzelbäume. Zähneknirschend stand sie also auf, seufzte betont laut und schritt selbstbewusst auf den blonden Gastgeber zu. "Alles Gute, Geburtstagskind", zischte sie ihm zu, als sie sich rittlings auf seinen Schoß fallen ließ. Selbstverständlich nicht zu sanft.

Zufrieden hörte sie, dass er ein leises Winseln von sich gab, als sie sich so aggressiv auf seine Beine platschen ließ. Geschieht dir recht. "Du hättest dich auch andersrum setzen können", flüsterte Leo in ihr Ohr. Eine ordentliche Alkoholfahne flog ihr entgegen. Lia verabschiedete die Idee, ihm erklären zu wollen, dass die Lehnen seines Gartenstuhls ihr die Position verwehrt hatte. Ganz unabhängig davon, dass sie es noch weniger ertragen würde, fünf Minuten lang mit ihrer großen Oberweite direkt vor seiner Fratze sitzen zu müssen... Also schluckte sie ihre feixenden Kommentare sorgfältig herunter und drehte für ihr neues Sitzkissen die Flasche.

Die nächsten Runden verliefen ohne unangenehme Zwischenfälle und glücklicherweise ließ Leo seine Griffel bei sich. Lia rechnete dies seinem Alkoholpegel an. Sie versuchte, an alles Mögliche zu denken - bloß nicht an die verkrampften Beine unter ihrem Hintern. Es waren die längsten fünf Minuten ihres Lebens.

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Pünktlich um halb zwölf wurde Lia von ihrem Vater erwartet. Sie war unendlich dankbar, dass er sie um diese Uhrzeit noch abholte und somit vor der sonst nötigen Übernachtung bewahrte. Sie verabschiedete sich ausgiebig von Jenny, die sie ein wenig intensiver musterte als sonst. Hinter ihren Augen verbarg sich eine Kritik, die Lia nicht zuordnen konnte. Dem Rest rief sie ein kurz angebundenes "Ciao, danke für die Einladung" zu, bevor sie aus der Partyscheune floh. Draußen war es kühl geworden und die Herbstnacht hielt ihre versprochenen kalten Temperaturen. Lia stülpte sich den gefütterten Pullover ihrer Mutter über und stapfte zur Straße, auf der ihr Vater auf sie warten würde.