Mellis POV

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Das ist doch wieder viel zu viel. Ich habe für zwei Wochen, die wir am Stück erstmal nur unterwegs sein werden, zwei riesige Reisetaschen. Aber ich muss mich ja auch ein bisschen der Szene entsprechend kleiden.

Chris hat die Jungs in den letzten sechs Wochen seit dem Bandmeeting vollständig in Beschlag genommen, sodass Klaas und ich gar nicht dazu kamen gemeinsam essen zu gehen. Ich bin mir noch nicht ganz schlüssig, ob ich froh darüber oder traurig sein soll.

Ein Schlüssel, der ins Schloss gesteckt wird, reißt mich nur halb aus meinen Gedanken. Da es nur Bo sein kann, bleibe ich mit dem Rücken zur Tür in meinem Flur stehen.

"Guten Morgen, meine Hübsche. Bist du startklar?" flüstert mir allerdings eine ganz andere Stimme ins Ohr.

Wie von der Tarantel gestochen drehe ich mich um. Ich bringe meinen besten Freund irgendwann wirklich noch um. Wie kann er Klaas einfach den Schlüssel für meine Wohnung in die Hand drücken?

"So gut wie. Aber ich glaube, ich habe viel zu viel eingepackt," seufze ich und versuche meine Mordgedanken im Zaum zu halten.

"Mach dir keine Gedanken. Für Gepäck haben wir im Nightliner genug Platz," lächelt Klaas mich verschmitzt an und greift sich schon die beiden Taschen.

Ich schätze, ich will gar nicht wissen, was gerade in seinem Kopf vorgeht. Er ist immerhin auch nur ein Mann. Und jugendfrei sind seine Gedanken wohl kaum, bei dem Blick, mit dem er mich mustert.

Kopfschüttelnd aber grinsend folge ich Klaas aus meiner Wohnung. Vielleicht wird die Tour ja doch ganz lustig. Bo hat mir jedenfalls die letzten Wochen immer wieder versichert, dass er sein Bestes gibt, mir Chris vom Hals zu halten.

Doch gleich nach Verlassen der Haustür versagt Bo schon.

"Na guten Morgen. Hat Dornröschen dann auch endlich mal ausgeschlafen?" fragt Chris mich genervt. Alter, was hat der denn am frühen Morgen schon für ein Problem?

"Fick dich, Chris. Geh mir nicht schon auf die Nerven, bevor ich den Bus betreten habe. Ich könnte immer noch umdrehen und ihr dürft euch den Kopf zerbrechen, wer euren Kram verkaufen soll," erwidere ich gereizt.

Der Vogel muss mich natürlich noch vor meinem ersten Kaffee anquatschen. Er kann froh sein, dass ich ihn dafür nicht kastriere.

Beruhigend legt Klaas mir seine Hand auf die Schulter. Ich muss zugeben, dass mich diese Berührung nicht so stört, wie sie es normalerweise tun würde.

"Ignorier ihn einfach. Er ist gerade auf Sexentzug," grinst Klaas mich verschwörerisch an.

"Das ist ja zum Glück sein Problem und nicht meins," versuche ich mich an einem Lächeln. Mir ist es ziemlich Latte, warum der Arsch noch bekloppter ist als sonst. Wahrscheinlich hat er einfach seine Tage, denke ich amüsiert.

An Bord des Nightliners, der wirklich ziemlich beengt ist, gönne ich mir nun auch endlich einen Kaffee. Anders ist es mit den Chaoten hier vermutlich nicht zu ertragen.

"Guten Morgen, Melli. Schön dich wiederzusehen. Wir sind dir so dankbar, dass du Nadja vertreten kannst. Wie liefen denn deine Prüfungen?" begrüßt mich das Küken in der Runde.

"Selber guten Morgen, Tobi. Lief eigentlich alles ganz gut. In der ein oder anderen Prüfung hätte ich zwar noch etwas besser abschneiden können, aber meine Gedanken waren nicht immer ganz bei der Sache," antworte ich ihm lächelnd.

Mein Blick schweift in Richtung Klaas. Seinem Gesicht nach zu urteilen, hat er entweder nicht gehört was ich gesagt habe, oder er bezieht es nicht auf sich.

Seit fest stand, dass ich Lord of the Lost auf Tour begleite, verirrten sich meine Gedanken immer wieder zu dem langhaarigen Bassisten der Band. Er hat es geschafft mich mit einem einzigen kurzen Kuss vollkommen aus der Fassung zu bringen. Das ist seit Jahren keinem Mann mehr gelungen.

Seit meiner letzten Beziehung habe ich maximal One Night Stands zugelassen. Und ich habe nicht vor das wegen einem Musiker zu ändern.

Gedankenverloren schlürfe ich also an meinem viel zu heißen Kaffee und bemerke gar nicht, dass ich die ganze Zeit Klaas anstarre.

"Du kannst auch mit ihm reden, Kleine. Er beißt nicht," flüstert Bo mir grinsend ins Ohr.

Ich habe gar nicht mitbekommen, dass er sich neben mich gesetzt hat. Irritiert sehe ich ihn an.

"Ich war nur gerade mit den Gedanken woanders. Du interpretierst da mal wieder viel zu viel rein," erwidere ich leise.

"Glaub mir, ich weiß wo du mit deinen Gedanken warst. Es steht dir quasi ins Gesicht geschrieben. Jedenfalls für mich," sieht mich mein bester Freund besorgt an.

"Alles ist gut. Wirklich," versichere ich ihm. Und ich versuche auch selbst daran zu glauben. Doch ich versinke sehr schnell wieder in meine Gedankenwelt.

Rückblende
Es war Sommer vor 7 Jahren. Ich hatte gerade meine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten begonnen. Mein Freund war zu dieser Zeit mit einer wesentlich größeren Band auf Tour. Und das schon seit drei Wochen.

Gesehen haben wir uns in dieser Zeit gar nicht. Und auch die Nachrichten und Telefonate wurden immer seltener. Er war als Drummer ganz schön eingespannt. Ich nahm es ihm nicht übel. Schließlich wusste ich, dass die Jungs alles alleine aufbauen mussten.

Gerade als ich unsere Wohnungstür aufschloss, bekam ich einen Videoanruf von ihm.

"Hallo, Süße. Endlich habe ich ein bisschen Zeit gefunden, um dich anzurufen. Es tut mir so leid, dass du so selten etwas von mir hörst," entschuldigte er sich gleich.

"Alles gut. Ich weiß doch, dass ihr eine Menge zu tun habt. Wie geht es dir, mein Schatz?" grinste ich ihn an.

Doch eine Antwort kam nicht mehr. Alles was ich noch gesehen habe, war, dass sich das Auto, in dem sich mein Freund befand, mehrfach überschlug. Dann war die Verbindung unterbrochen.

Zwei Stunden später jedoch riefen vollkommen aufgelöst die Eltern meines Freundes an. Keiner der Insassen hatte diesen Horrorcrash überlebt...


"Hey, meine Hübsche. Ist alles klar mit dir?" flüstert mir Klaas sanft ins Ohr.

Erschrocken hebe ich den Blick. Wie lange sitzt er denn schon neben mir?

"Ja, sicher. Ich war nur gerade mit meinen Gedanken woanders," antworte ich lächelnd und versuche die Erinnerungen aus meinem Kopf zu verbannen.

"Das war nicht zu übersehen. Du wirktest ganz weit weg von hier. Bereust du es etwa, dass du dich entschieden hast, mit uns auf Tour zu kommen?" fragt er mich mit Blick zu Boden.

"Nein, gar nicht. Jedenfalls bisher noch nicht," antworte ich mit Blick in Richtung Nervensäge Nummer 1.

"Lass ihn einfach links liegen. Chris musste noch nie damit klar kommen, dass eine Frau nicht auf ihn steht und ihm vor allem noch so extrem Konter gibt wie du es machst," feixt er und sieht mich nun auch wieder an.

Und so verbringen wir auch die restliche Fahrt bis nach Dresden. Wir sitzen am Tisch und reden über Belanglosigkeiten. Gerrit und Tobi haben sich in ihre Schlafbuchten zurück gezogen und Bo klimpert auf seiner Gitarre rum. Alles in allem ist es bisher also noch ziemlich entspannt.

You're Sex on LegsWhere stories live. Discover now