7. Kapitel

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Lorelei

„Und dann ist sie in Tränen ausgebrochen." Erzählt Theodora und ich lächle. Die Heilerin hat sich zumindest ein wenig Zeit genommen um mich auf den neusten Stand der eigentlich total unwichtigen Dinge zu bringen. Ich bin froh, dass ich inzwischen ein paar so gute Freund gefunden habe. Generell sieht es bis jetzt gar nicht so schlecht für mich aus. Ich bin wieder einigermaßen gesund und darf die Krankenstation bald verlassen. Außerdem habe ich das erste Mal seit Jahren wieder eine wirkliche Perspektive. Ich habe wieder Hoffnung. Vielleicht kann ich wenn das hier vorbei ist in eine der unzähligen Projekte des Programms einsteigen. Soweit ich weiß suchen die immer Leute. Ob sie wohl schon wissen, was hier passiert ist? Im Moment halten sich noch so ziemlich alle beteiligten auf Berk auf. Auch wenn man das auf diesem Schiff nicht so mitbekommt. Doch nach allem was ich von den Leuten, die mich besucht haben gehört habe, stehen die ersten Hütten bereits wieder. Bis vor gut drei Monaten hat Berk noch gegen die Drachen gekämpft. Die Wikinger sind geübt darin ihre Heimat immer wieder aufs neue aufzubauen. Man muss den Leuten hier ihre Hartnäckigkeit wirklich lassen. Ich weiß nicht, wie viele von den anderen mir bekannten Völker sich Drago auch so entgegengestellt hätten. Wenn ich so darüber nachdenke nicht so viele. „Ich muss dann auch weiter." Sagt Theodora schließlich und steht auf. „Wir müssen bis heute Nachmittag die komplette Station hier geräumt haben. Da nun auch die letzten Berserker zurück nach Hause fahren." Erklärt sie danach noch, während sie schon fast durch die Tür ist. „Halte dich also bereit." Dann ist sie verschwunden und ich bin zur Abwechslung wirklich allein. Ein selteneres Phänomen, seit ich Zugestimmt habe, eine Liste der vermissten und verstorbenen Personen zu machen, ist es hier um einiges voller. Und auch wenn ich es nicht ganz zugeben will, das Schicksal der gefallenen geht mir trotzdem nahe. Ich habe eine Menge Berichte über angeschwemmte Leichen, die noch nicht identifiziert wurden. Es ist schrecklich die Leute, die nach vermissten Fragen, die nicht auf einer Liste zu finden sind, erstmal zu den Leichen schicken zu müssen. Es ist schrecklich die Angst und den Schmerz in ihren Gesichtern zu sehen. Beinahe hätte es mich auch erwischt. Beinahe wäre auch ich gestorben.

Wenn es Nacht wird, wird mir diese Tatsache besonders bewusst. Nachts ist es hier stiller als am Tag. Alle versuchen nur noch einen minimalen Lärm zu machen. Das Einzige, was man trotzdem immer noch, oder genau deswegen hört sind die Schreie. Fast jede Nacht seit ich wieder bei mir bin höre ich zwei oder drei von ihnen. Einige der Verwundeten haben schreckliche Albträume. Sie dürften nicht die Einzigen sein. Ich gehöre trotzdem nicht zu ihnen. Schlafen tue ich eigentlich gut, doch es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich einmal schlafe. Stundenlang wälze ich mich gefühlt im Bett herum und denke darüber nach, was hätte sein Können. Das ist wirklich keine schöne Beschäftigung. Vor allem, weil viele der Varianten mit dem Tod enden.
Eigentlich ist das Geschehene geschehen und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Vergangenheit ist die Vergangenheit, die Gegenwart ist die Gegenwart und die Zukunft ist die Zukunft, so war es bis jetzt immer. Diese schreckliche Schlacht lässt jedoch auch mich nicht einfach so los. Sie ist immer da, bei jeder Handlung von morgens bis abends. Dabei erinnere ich mich gar nicht so sehr an das Geschehen. Theodora nennt es Amnesie. Aber besser machen tut es das nicht. Deshalb frage ich mich nächtelang, was in dieser einen Nacht wirklich passiert ist.

Es gibt allerdings noch eine zweite Sache die mich wachhält. Diese zweite Sache hatte seit ich hier bin nicht einmal den Anstand einmal kurz vorbei zu kommen und zu schauen wie es mir geht. Sie trägt den Namen Tarik und ja, ich habe ihn bei unserem letzten richtigen Gespräch geküsst um ihm dann niederzuschlagen. Aber zu meiner Verteidigung, er wollte mich umbringen. Das sind nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine Beziehung. Die leise Hoffnung, dass wir es beide nicht so gemeint haben, habe ich jedoch immer noch. Zumindest bei mir ist das der Fall.

Gerade als ich das denke geht die Tür zu meinem Zimmer wieder auf. Ich erwarte alles mögliche, Theodora, die sagt es wäre Zeit zum Aufbruch, Hicks, weshalb auch immer, oder irgendwer, der jemanden sucht. Mit dem oder besser derjenigen, die tatsächlich hereinkommt hätte ich nicht gerechnet. Die blauen Augen eines kleinen Mädchens schauen mich an, während es langsam auf mich zukommt. Ich kenne die Augen, auf das Mädchen habe ich schließlich oft genug aufgepasst. Es ist Maya, die Tochter von Tarik, die normalerweise keinen Moment ruhig sein kann. Jetzt steht sie allerdings doch ganz ruhig vor meinem Bett und schaut mich einfach nur an. „Du bist wieder da." Stellt sie schließlich fest. Ich kann nur leicht nicken: „Ja ich bin wieder da." Bestätige ich. „Die Männer haben gesagt du wärst für immer weg." Die Stimme des Kindes bebt. Auch sie hat natürlich etwas von der Schlacht mitbekommen. Sonst wäre sie nicht hier. „Maya" meine Stimme ist kaum mehr als ein flüstern. Dann stelle ich die Frage vor der ich mehr Angst habe als vor jeder anderen: „Wo ist dein Vater?" Jetzt verliert auch Maya die Fassung. Erst rollt nur eine einzelne Träne ihre Wange hinunter. Dann wird sie zu einem Wasserfall und das einzige, was ich wirklich tun kann ist hilflos die Arme auszubreiten. Ich umschließe Maya mit meinen Armen und halte sie fest. Ich versuche ihr halt zu geben, obwohl ich selbst nicht mehr die selbe bin. „Es geht ihm gut." Flüstere ich in ihre Haare. „Du wirst ihn wiedersehen." Dabei weiß ich nicht einmal selbst ob das eine Lüge ist.

Fünf Jahre - Was davon bleibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt