15. Kapitel

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Astrid

„Lydia ist gesprungen." So viel zu dem neuen etwas mitfühlenderen Viggo. „Noch sensibler hättest du nicht sein können?" Wird er im nächsten Moment von Fischbein zurechtgewiesen. „Nein, das würde sie niemals machen!" Hält Lana dagegen. „Doch, genau das hat sie gemacht." Viggos Stimme klingt bitter. „Das kann man so nicht sagen..." Versucht Hicks die Gemüter zu beruhigen. Leider hören weder Viggo noch Lana auf ihn. „Woher willst du das überhaupt wissen." Ruft sie und funkelt den ehemaligen Drachenjäger an. Dieser schrumpft in seinem Stuhl zusammen. Was hat diese Schlacht nur aus uns allen gemacht? „Weil ich dabei war." Erklärt er. Seine Stimme klingt bitter und resigniert. Ich muss an unser Gespräch auf der Lichtung denken. Für einen Moment meine ich sowas wie Schuldgefühle in seinem Gesicht zu sehen. Doch in diesem Punkt ist er Lydia sehr ähnlich. Seine Maske ist undurchdringlich und das ändert sich an diesem Tag auch nicht. „Und wieso hast du nichts unternommen?" Schreit Lana dieses Mal. Sie ist wieder aufgesprungen und scheint sich nicht darum zu kümmern, dass der ganze Raum uns erneut anstarrt. Viggo schrumpft noch ein wenig mehr. Selbst ihm ist jetzt anzusehen, dass ihm die Aufmerksamkeit nicht gefällt. Er ist damit nicht der Einzige aus unserer Gruppe und doch ist es schon seltsam. Es ist immer noch der selbe Mann, der damals in der großen Halle saß. Es ist der Mann, der damals zugeschaut hat, als ich den Albtraum nicht getötet habe. Mein Gehirn sträubt sich dagegen das zu glauben. Der Widerspruch ist zu groß. Niemand macht in etwas mehr als 3 Monaten eine 180 Grad Wende. Eine Stimme sagt mir, dass dies alles nur eine Falle ist und trotzdem fange ich an den Mann als einen Freund zu sehen. Es ist gruselig. „Wie hätte er das tun sollen? Über dem Meer, auf Lydias Drachen?" Es wundert mich schon fast gar nicht mehr, dass es Hicks ist, der Viggo verteidigt. Er scheint den Drachenjäger auch nicht mehr als Feind zu betrachten. Das heißt, eigentlich war er immer klar der Meinung, Viggo nicht zu hassen. Lana fährt bei seinen Worten erneut zu ihm herum. „Drachen sind die treusten Freunde, die du haben kannst." Erklärt sie mit fester Stimme. Ich kenne diese Art zu sprechen. Man macht es immer dann, wenn man eigentlich lieber weinen will. Auch weiß ich, dass sie mit diesen Worten nicht Hicks zitiert. Es könnte aber schon so sein. Mein Blick kreuzt seinen und ich weiß, dass er den selben Gedanken hatte. „Das Stimmt und genau deshalb wissen sie, dass man manche Entscheidungen allein treffen muss." Sagt mein Freund mit sanfter Stimme. Er legt Lana eine Hand auf die Schulter. Was Empatie angeht war er schon immer der sicherste von uns. „Wieso?" Als Lana die Frage stellt wird uns allen klar, dass dies der Kern des Ganzen ist. Wir haben Berk verlassen, weil wir Abstand gebraucht haben. Aber wir haben Berk auch verlassen, weil wir wissen wollten wieso. Lydia hat auf mich nie einen depressiven Eindruck gemacht. Ich habe es nicht kommen sehen. Manchmal höre ich nach dem aufwachen auch die Stimme. Diese kleine gemeine Stimme, die mir immer wieder zuflüstert, dass es bei meinen anderen Freuden, selbst bei Hicks genauso kommen könnte und das ich es nicht bemerken würde. „Es gibt Grund zu der Annahme, dass sie mit Drago Blutfaust verwandt ist." In Viggos Stimme ist die Sachlichkeit zurückgekehrt. Er blickt wieder zu Lana. „Du weißt wer das ist?" Mit dieser Frage gibt er auch ihr wieder Sicherheit. Sie strafft die Schultern. „Natürlich." In diesem Moment klingt sie wieder so wie Mala, nur ist sie immer noch viel emotionaler. „Wir haben gegen ihn gekämpft..." Beginnt Hicks einen Satz, bricht dann aber ab. Ja, wir haben gegen ihn gekämpft, aber wie sollte der Satz weiter gehen? Wir haben nicht verloren, zumindest theoretisch gesehen nicht. Aber trotzdem ist unsere Heimat fast vollkommen zerstört und wir haben so viele Tote zu verzeichnen, dass noch immer nicht alle Opfer bekannt sind. Nein, gewonnen haben wir diese Schlacht auch nicht, auch wenn es so aussieht. „Sagen wir einfach, dass Drago Blutfaust uns keine Probleme mehr machen wird." Beende ich Hicks' Satz mit fester Stimme. Er schaut mich dankbar an. Wahrscheinlich macht er sich noch immer für den Tod dessen verantwortlich. Ach, was denke ich, natürlich tut er das. Einen Moment lang ist es still. Dann bricht in anderen Ecken des Raumes Jubel aus. Nur Lana bleibt still. Vielleicht hat sie das andere in unserer Botschaft auch verstanden. Lydia war wahrscheinlich Dragos Tochter. Rechtmäßig wäre sie seine Nachfolgerin gewesen und doch, ich kann sie mir nicht an der Spitze einer solchen Organisation vorstellen. Sie ist alleine, nur mit Lyra zu uns gekommen. Dieses Leiten einer großen Organisation, zumal einer solchen entspricht nicht ihrem Stil.

Irgendwo habe ich mal aufgeschnappt, dass Drago auch einmal anders war. Das kann ich mir kaum vorstellen, dabei kannte ich den Mann nichtmal. Ich weiß nur, dass er uns angegriffen hat. Aus den Geschichten über ihn habe ich geschlossen, dass er ein sehr hasserfüllter und harter Anführer war. Es entspricht nicht meiner Vorstellungskraft, zu überlegen was ihn dazu gebracht haben könnte.

Um mich herum ist es wieder still geworden. Die meisten Wikinger wenden sich endgültig ihrem Essen zu und auch an unserem Tisch wird wieder geredet. Ich kann dem Gespräch aber kaum folgen, dieses Gefühl etwas wichtiges vergessen zu haben lässt mich einfach nicht los. Zwischendurch schnappe ich immer wieder Wortfetzen auf. Hicks scheint Lana über dieses und Jenes auszufragen und auch Fischbein beteiligt sich an dem Gespräch. „Wir führen genau Buch darüber, was aus unseren Mitgliedern wird." Erklärt Lana gerade. Genau, es war irgendwas mit einem Buch. Auf einmal stehe ich wieder auf einem halb zerstörten Schiff. Es war das, auf dem wir Jonas und Helena gefunden haben. Wir haben es damals durchsucht und ich bin fündig geworden. In meiner Erinnerung taucht ein etwas zerschundenes Buch auf. Seine Seiten waren mit einer leicht geschwungenen Handschrift bedeckt und dort stand...

... Genau, dort stand, dass Drago nicht mehr der Selbe war. An mehr kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Ich habe nie weitergelesen und doch durchfährt es mich jetzt wie ein Blitz. Es muss noch irgendwo sein. „Das Tagebuch". Flüstere ich und merke nicht, wie sich alle Köpfe an unserem Tisch zu mir umdrehen.

Fünf Jahre - Was davon bleibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt