17. Kapitel

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Hicks

Astrid ist kreidebleich geworden. „Das Tagebuch." Murmelt sie erneut, als würden wir wissen, was sie damit meint. Dann steht sie plötzlich auf und rennt aus dem Raum. Ohne ein weiteres Wort lässt sie uns mit der Frage zurück, um welches Tagebuch es sich Bitteschön handelt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Astrid kein Tagebuch führt. Auch bei Lydia würde ich es eher weniger erwarten. Vielleicht heißt es auch hätte ich es eher weniger erwartet. Schließlich kann sie jetzt nicht mehr damit anfangen. Eine Erinnerung an einen Tag mit ihr und meinem Vater kommt mir wieder in den Sinn. Er war irgendwie ziemlich komisch drauf und hat mit ihr über ihre Herkunft geredet. Generell wusste er mehr als er zugeben wollte und da war dieses Buch. Hätte es ein Tagebuch sein können?
Theoretisch schon, aber er hat es meines Wissens nach verbrannt. In ihm werden wir sicher keine Antworten mehr finden. In dem Moment kommt Astrid zurück. In der Hand hält sie eine Art Heft und ihr Gesicht strahlt triumphierend. Sie wedelt mit dem Heft in der Luft herum, während sie zu unserem Tisch kommt. „Das hier habe ich auf dem Schiff gefunden." Verkündet sie und legt das Heft auf den Tisch. Die Worte haben eine ganz unterschiedliche Wirkung auf die Anwesenden. Ich verstehe sofort worum es geht, so viele Schiffe haben wir in letzter Zeit schließlich nicht betreten. Auch die Zwillinge scheinen es sofort verstanden zu haben. Mich wundert das nicht mehr, die Beiden überraschen einen immer wieder. Fischbein hat die Stirn in Falten gezogen und Rotzbacke scheint sich nicht darauf konzentrieren zu können. Viggo und Lana können eigentlich nicht wissen, was gemeint ist, sehen auch entsprechend aus. Bevor sie aber nachfragen können hat Astrid das Heft auch schon aufgeschlagen. Tagebuch von Eva Mai steht dort in schönen geschwungenen Buchstaben. Einen Moment halte ich inne und überlege, ob mir der Name bekannt vorkommt. Doch das tut er nicht. Astrid lächelt mich wissend an. Sie scheint meine Gedanken erraten zu können. „Ich habe es nur kurz aufgeschlagen und bin dann wieder hoch. Als wir Helena und Jona gefunden haben, habe ich es einfach vergessen und danach war einfach keine Zeit mehr." Erklärt meine Verlobte nun. „Aber vielleicht erklärt es uns diese ganze Geschichte genauer." Wieder bleibt keine Zeit um irgendwie zu reagieren. Astrid schlägt die nächste Doppelseite auf und beginnt zu lesen: „Tag 690
Drago und ich waren jetzt mehr als zwei Jahre getrennt. Seit zwei Monaten haben wir uns wieder. Doch erst jetzt wird mir die Kluft, die diese zwei Jahre zwischen uns getrieben haben richtig bewusst. Deshalb habe ich auch beschlossen weiter Tagebuch zu führen, es hilft mir meine Gedanken zu ordnen. Seit seine Familie bei einem Angriff der Drachen ums Leben kam ist Drago für jedes vernünftige Argument taub geworden. So verbittert wie er kann man eigentlich garnicht sein." Im ganzen Schankraum ist es jetzt totenstill. Es fühlt sich falsch an so tief in die Privatsphäre einer Person einzudringen. Gleichzeitig ist es so ziemlich die einzige Chance mehr herauszufinden. Wer auch immer diese Eva Mai war oder ist, sie kannte Drago und wie es scheint hatte sie auch eine Beziehung mit ihm. Vielleicht ist sie sogar...

Ich sehe, dass Viggo einen ähnlichen Gedanken hatte. Dann nehme ich Astrid das Heft aus der Hand und schlage es irgendwo in der Mitte auf. „Tag 756
So wird das nichts mehr. Drago und ich wissen es beide und doch können wir oder besser kann er nicht loslassen. Er ist geradezu besessen, seit die Drachen über seinem Dorf waren. Dabei ist es klar, dass seine Methode falsch ist. Die Person, die ich geliebt habe gibt es nicht mehr. Im Moment habe ich das Gefühl, dass nur Nicolas mich wirklich versteht.
Ich muss es beenden."

Lese ich vor und schaue in die Runde. „Kennt jemand von euch einen Nicolas?" Einen Moment herrscht Stille. Dann ergreift Viggo das Wort: „Ich habe mal von einem Nicolas gehört. Er ist aber eher so eine art Legende. Eine Person von der niemand so recht wusste ob sie existiert." Seinem Gesicht sieht man deutlich an, wie angestrengt er nachdenkt. Dieses Mal fährt aber Fischbein dazwischen. „Jona und Helena haben den Namen erwähnt." Ruft er aus. Sodass die Köpfe der Wikinger sich mal wieder zu uns drehen. Bei den Namen sind dieses Mal Lana und Viggo zusammengezuckt. Lana ist erneut kalk weiß geworden. „Hast du gerade Helena gesagt?" Fragt sie und Viggo seufzt. „Ich glaube nicht, dass er die Helena meint." Sagt er dann und klingt wieder so behutsam. In der Gegenwart dieser Lana scheint er wieder wie ausgewechselt. „Welche Helena?" Fragt nun Taffnuss und macht sein bestes Spürhund Gesicht. Wäre die Situation nicht so ernst, hätte ich darüber gelacht. „Meine Mutter." Antwortet Lana schlicht. „Sie ist bei einem Angriff ums Leben gekommen, als ich drei war. Mein Vater hat sich nie davon erholt." Sie spricht langsam und gefasst. Aber auf ihrem Gesicht kann man deutlich sehen wie nah ihr das immer noch geht. Dabei hat sie gerade gefühlt meine Lebensgeschichte erzählt. Nur, dass sie älter war als ihre Mutter starb. „Es war kein Drachenangriff." Fügt Viggo noch mit einem Blick auf mich hinzu und wendet sich an Fischbein. „War die Helena zufällig blind?" Fragt er und Fischbein nickt unsicher. „Ja war sie." Antwortet Rotzbacke an seiner Stelle. Er klingt leicht genervt, vielleicht versteckt er allerdings auch nur seine eigenen Emotionen dahinter. Mein Blick wandert zurück zu Lana, deren Schultern nach unten hängen. Das bedeutet wohl, dass Helena nicht ihre Mutter ist. Viggo hingegen hat eher einen interessierten Gesichtsausdruck aufgesetzt. „Ich habe von dieser Helena gehört. Sie soll eine ziemlich außergewöhnliche Persönlichkeit sein." Wirft er ein und nimmt einen Schluck von seinem Getränk. „Und sie war bei den Kriegern des Forseti." Meint Astrid dazu nur. „Blätter mal weiter." Die letzten Worte sind an mich gerichtet und so tue ich wie geheißen. Eine Seite ziemlich am Ende ist umgeknickt. Ich schlage das Heft an der Stelle auf und beginne zu lesen: „Tag 792
Ich bin wieder verliebt. Eindeutig. Jetzt muss ich nur schauen, wie ich da wieder lebend rauskomme.

Ich wollte die Gelegenheit nutzen und euch allen frohe Ostern wünschen, sofern ihr es feiert. Hoffentlich ist bei euch auch so schönes Wetter wie bei mir und ihr habt einen schönen Sonntag/ein schönes Fest. Bis dann, jolannasa

Fünf Jahre - Was davon bleibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt