8. Kapitel

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Hicks

„Vater?" Frage ich, als ich die Arena betrete. Astrid hatte gestern Abend schon recht damit, dass wir eigentlich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr richtig miteinander geredet haben. Erst war wegen der Schlacht keine Zeit, jetzt sind es die Aufräumarbeiten, die uns daran hindern. Um ehrlich zu sein war mir jeder Grund recht um nicht mit ihm reden zu müssen. Doch nun muss ich es. Wir haben heute Morgen darüber Abgestimmt, ob wir mit Viggo gehen und das Ergebnis war eindeutig. Jetzt muss irgendwer mit meinem Vater reden und da es mein Vater ist bin ich das.

Die Arena um mich herum ist leer. Sie ist eines der wenigen Gebäude, die kaum von der Schlacht beschädigt wurden, ein Monument für die Ewigkeit. Normalerweise hat die Atmosphäre hier etwas vertrautes. Aber heute verbinde ich sie vor allem mit Lydia. Ich denke an unser Gespräch mit Vater. Damals, als er in diesem Buch gelesen hat. Das war noch, bevor das erste Mal Schiffe an unserer Küste waren. Das war, bevor sich mein Leben so sehr verändert hat. Mehr, als ich es mir hätte jemals vorstellen können.

„Was ist mein Sohn?" Fragt in diesem Moment eine Stimme. Mein Vater kommt aus einem der Lageräume, die die Arena seit je her bietet. Jeder fragt sich, warum wir sie in dieser Notsituation nicht umgenutzt haben. Doch wir haben es nicht und niemand stellt diese Frage laut. Alle sind viel zu sehr damit beschäftigt weiter zu machen, irgendwie. Wie mein Vater so da steht sehe ich, dass er alt geworden ist. Ich habe es vor Monaten schon nicht wahrhaben wollen, ich will es auch jetzt nicht wahrhaben. Wie kann der Mann, der seit ich denken kann für den Job als Oberhaupt lebt, plötzlich darin so alt aussehen, so müde. „Es geht um Viggo." Das war wirklich der beste Anfang den du machen konntest Hicks. „Oh," Der Blick meines Vaters verdunkelt sich. Er ist seit dem ersten Angriff nicht gut auf Viggo zu sprechen. Wahrscheinlich fragt er sich, was der Drachenjäger nun angestellt haben könnte. „Nicht so wie du meinst." Sage ich schnell. Vielleicht etwas zu schnell. Ich weiß nicht wie ich mich verhalten soll. Das war früher alles einfacher. Früher wusste ich wie die Seiten standen. Jetzt bin ich nicht mehr die große Enttäuschung und ich bin auch nicht mehr so wütend auf ihn. Mit der Situation habe ich mich vor Jahren abgefunden. Jetzt hat sie sich komplett verändert. Das ich mir sie mal zurückwünschen könnte hätte ich nie gedacht.

„Was ist dann das Problem?" Fragt mein Vater immer noch misstrauisch. Jetzt heißt es wohl tief durchatmen und dann raus mit der Wahrheit. Oder auch nicht. Aus dem einen Atemzug werden zwei und dann drei. Da kann ich mit so gut wie jedem Wildfremden reden aber bei meinem Vater verschlägt es mir die Sprache. Liegt vielleicht daran, dass er mir früher nie zugehört hat. Da hört man irgendwann auch auf mit zu reden. „Spuck's schon aus, den ganzen Tag habe ich leider nicht Zeit mein Sohn." Nicht nur ich bemerke das leider in dem Satz. In mir kriecht eine Wärme hoch, wie ich sie in seiner Gegenwart selten erlebt habe. „Viggo will nach Fönen. Er ist der Meinung, dass die Leute dort ein Recht haben zu erfahren was passiert ist..." Weiter komme ich nicht, denn Vater fällt mir ins Wort. So viel zum Thema, manche Dinge ändern sich wohl nie. „... Fönen, ist das nicht der Ort wo sie...?" Fragt er und bricht dann aber ab. Anscheinend bringt er es nicht fertig über Lydia zu reden, die immerhin hier geboren ist. „Ja, es ist der Ort an dem Lydia aufgewachsen ist. Der Narbe an ihrem Hals zu urteilen ist sie aber nicht einvernehmlich gegangen." Beantworte ich seine Frage leicht genervt. Auch ich finde es noch nicht einfach über Lydia zu sprechen. Aber je öfter ich es tue, desto besser heilt die Wunde die sich auftut wenn jemand ihren Namen nennt. Als mein Vater mich nun wieder abwartend anschaut fahre ich mit meiner Erklärung fort: „Jedenfalls hat er mich gefragt ob wir mitkommen wollen und..." Ich komme ins stocken. So schwer kann das doch nicht sein. „Und wir haben beschlossen das wir ihn begleiten wollen." Ich rede so schnell, dass ich mir für einen Moment nicht einmal sicher bin, was ich überhaupt gesagt habe. Eine trügerische Ruhe kehrt zwischen durch ein. Es ist nicht das erste Mal, das ich sowas erlebe, weshalb ich weiß was für eine Ruhe das ist. Wider meines Wissens entspanne ich mich und genieße die Ruhe. Ich genieße die Ruhe, während ich auf den Sturm warte.

Lange muss ich nicht warten, da poltert mein Vater auch schon los: „Wir können euch hier nicht entbehren, jetzt während der Aufbau Phase schon gar nicht!" Sofort ist meine Anspannung ebenfalls wieder da. Ich mache mich auf den Schlagabtausch gefasst. Endlich ist alles wieder normal, in diesem Terrain kenne ich mich aus. Auch wenn es in mir brodelt bleibe ich nach außen hin ruhig. „Wir sind längst weit genug, dass ihr auch ohne uns klarkommt. Auch die meisten Anderen werden uns in den nächsten Tagen verlassen." Erkläre ich. Es sind Fakten. Fakten, die ich wahrscheinlich inzwischen besser als jeder Andere kenne. „Und was ist mit der Organisation, den Toten, Vermissten und Verletzten?" „Eine Bekannte ist gerade dabei eine Liste zu erstellen. Sie wurde im Kampf schwer verletzt und wird wohl noch eine Weile hierbleiben." Auch das ist ein Fakt und ich sehe, wie der Gesichtsausdruck meines Vaters härter wird. „Wieso wollt ihr überhaupt dorthin, wenn Lydia die Insel im Streit verlassen hat?" Auf diese Frage habe ich zuerst keine Antwort, weshalb eine angespannte Stille zwischen uns entsteht. Zum Schluss entscheide ich mich die Wahrheit zu sagen. „Es gibt auch Leute, die sie dort unterstützt haben und dieses komische Programm. Außerdem möchte ich mehr über Lydias Hintergrund erfahren. Ich möchte verstehen wieso sie gesprungen ist und ich glaube wir alle brauchen das um diese Schlacht hinter uns zu lassen und irgendwann ein normales Leben zu führen." Als ich meinem Vater nach dieser Rede in die Augen blicke sehe ich, dass sich etwas verändert hat. Irgendwie sieht er liebevoller aus.
Aus einem unergründlichen Drang gehe ich auf ihn zu und umarme ihn. Er erwidert die Umarmung und ich verstehe, dass er sich Sorgen macht, um unsere Gruppe aber auch um mich. Ich verstehe, dass er uns gehen lassen wird, weil er nun versteht wieso wir noch einmal gehen müssen. Das alles sagt mir die Umarmung und ich weiß zum ersten Mal in meinem Leben, dass es mir schwerfallen wird, ihn zu verlassen.

Fünf Jahre - Was davon bleibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt